5 | Valeria

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Nur wenige Tage später bin ich wieder vollkommen gesund, Jolanda ist wirklich die geborene Heilerin! Nach und nach habe ich mich auch an meine etwas schräge Umgebung gewöhnt und mir die Zeit damit vertrieben, die verschiedenen Pflanzen genauer zu betrachten.

Immer öfter hat sich Jolanda zu mir gesetzt und mir die unterschiedlichen Kräfte der Blüten und Blätter genauer erläutert. Viele helfen gegen Krankheiten oder Beschwerden, von denen ich noch nie gehört habe, was vermutlich daran liegt, dass es sie in unserer Welt schlichtweg nicht gibt.

Zum Beispiel konnte ich mir nicht vorstellen was bitte eine „Calimea Überdosis" sei, bis Jolanda mir erklärte, dass Calimea der Fachbegriff für die bunten Gräser war, aus denen ich mir das Armband in der Prärie geflochten hatte.

Als ich Jolanda dies erzählte, nickte sie wissend und erzählte mir mehr darüber. Anscheinend hatte dieses Wundergras tatsächlich so etwas wie magische Kräfte, allerdings klingt das ziemlich rosig, im Vergleich zu dem was sie wirklich tun.

Sie sorgen dafür, dass man kurzzeitig einen gewaltigen Energieschub erlebt, der auch die Sinne betrifft, aber im wahrsten Sinne des Wortes auf Kosten des eigenen Körpers. Diese Gräser entziehen ihm einfach die gesamte Kraft auf einmal und stellen sie sofort zur Verfügung, was keiner auf Dauer durchhält. Daher ist es extrem gefährlich, wenn man sich nicht kurze Zeit später erholen und das Gegenmittel nehmen kann, und nicht selten hat das zu lange tragen dieser Gräser schon zum Tod geführt.

Das heißt, meine Sinne und meine Kraft haben kurzzeitig einen Höhepunkt erlebt, schwanden danach aber umso schneller, was vielleicht meine völlig irrsinnige Kletterei erklärt.

„Normalerweise überlebt es kein Wesen, ein solches Band so lange zu tragen wie du es getan hast. Das kann ich mir wirklich nicht erklären.", fährt Jolanda nach einer Weile fort. „Direkt nachdem man dich zu mir gebracht, habe ich dir unteranderem eine eigentlich viel große Dosis des Gegenmittels gegeben, aber offensichtlich war es das einzig Richtige."

Sie zeigt auf eine der Pflanzen, die gegenüber von meinem Bett steht. „Da siehst du das kleine Wundermittel." Die Pflanze sieht total unscheinbar aus, kaum 30 Zentimeter hoch, kleine, dunkle Blätter mit rosa Kugeln, bei denen ich nicht erkennen kann ob es sich um Beeren oder Blüten handelt.

Während der letzten paar Tage habe ich mich bereits mehrmals bei Jolanda bedankt, denn mir ist sehr wohl bewusst, dass ich ohne sie wohl kaum noch am Leben wäre und hätte sie mir nicht strengstens untersagt mich noch ein weiteres Mal für „eine solche Selbstverständlichkeit" -ihre Worte, nicht meine- zu bedanken, hätte ich es jetzt wohl wieder getan.

Immer noch habe ich viele Fragen, immer noch viel zu wenig Antworten.
Jolanda kann sich auf die meisten Dinge auch keinen Reim machen und hat gemeint, es sei wohl das Beste, mich nach meiner vollständigen Genesung in die Hauptstadt zum Tribunal zu schicken und dort alles zu klären. 

Irgendwie beruhigt mich der Gedanke, dass mir jemand helfen kann und ich nicht auf mich allein gestellt bin, dass irgendjemand sicherlich weiß, was zu tun ist.

Dieser Gedanke beruhigt mich sogar soweit, dass ich nicht allzu oft über das was passiert ist nachdenken muss. Natürlich mache ich mir trotzdem Sorgen, natürlich frage ich mich, wie es meinen Eltern geht, natürlich denke ich manchmal immer noch, dass das hier alles nicht echt sein kann.

Aber irgendwann habe ich akzeptiert, dass das hier echt sein muss.

Es fühlt sich zu real, es ist einfach zu real.

So schön das Zimmer auch ist, irgendwann fange ich an, mich eingeengt zu fühlen, was vermutlich auch daran liegt, dass immer noch den Großteil des Tages im Bett verbringe.

Jolanda ist der Meinung, dass wir nicht einschätzen können, wie ich nach der Überdosis auf Kraftanstrengungen jeglicher Art reagieren werde. Doch nachdem fast zwei Wochen vergangen sind, halte ich es einfach nicht mehr aus und fange an, tägliche Spaziergänge zu unternehmen und kümmere mich tagsüber um einen Teil der vielen Pflanzen.

Es dauert, bis ich wieder richtig hergestellt bin und mir nach 20 Minuten gehen nicht völlig die Kräfte fehlen. Ich habe unterschätzt, wie heftig mir dieses scheußliche Gras zugesetzt hat und wie lange es dauert, sich davon zu erholen.

Als ich einige Zeit später endlich wieder ganz gesund bin und inzwischen auch wieder joggen und sogar kurze Strecken rennen kann, könnte ich ganze Lexika mit dem Wissen über die verschiedenen Gewächse verfassen, welches ich inzwischen erworben habe.

Allerdings werde ich das Gefühl nicht los, dass Jolanda mir all das nicht zufällig erzählt und beibringt, sondern versucht, mich auf irgendetwas vorzubereiten. Als sich ihre kryptischen Andeutungen häufen, welche irgendwie immer unheilvoller klingen, spreche ich sie darauf an, doch sie streitet es vehement ab, wenn auch nicht sehr glaubhaft.

Mich überkommt die ungute Vorahnung, dass sie mir einen Großteil der Gefahren verschweigt, die mich außerhalb ihrer vier Wände erwarten, doch da sie bei diesem Thema so heftig abblockt und ich keine andere Möglichkeit sehe, als das Tribunal aufzusuchen und um Hilfe zu bitten, versuche ich, nicht allzu schwarz zu sehen.

Dennoch präge ich mir ihre Erklärungen, und vor allem ihre seltsamen Andeutungen, so genau wie möglich ein.

Das Tribunal ist etwa zwei Tagesreisen entfernt, zumindest mit den hier üblichen Transportmitteln -was auch immer darunter zu verstehen ist- doch laut Jolanda ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass ich von einer der Pegasus Kutschen des Tribunals abgeholt werde, da die Nachricht vom Eindringen eines Menschen dort offensichtlich bereits die Runde gemacht hat.
Mit einer jener Kutschen soll die Reise nur wenige Stunden dauern, was mir natürlich sehr entgegen käme.

Doch als immer mehr Zeit vergeht, fange ich an stutzig zu werden.
Wenn ich auch nur einen Bruchteil von dem verstanden habe, wie diese Gesellschaft aufgebaut ist und funktioniert, so ist mir doch eines klar geworden: 

Hier einzudringen ist praktisch unmöglich.
Zumindest dachte man das.
Und da ich der lebende Gegenbeweis bin, wird das Tribunal alle Hebel in Bewegung setzen, um mit mir in Kontakt zu treten.

Jolanda scheint zu ahnen, dass ich misstrauisch geworden bin, denn mit einem leicht zerknirschten Gesichtsausdruck überreicht sie mir schließlich eine große Pergamentrolle. Dort vermischen sich verständliche Sprache, irgendwelche Schriftzeichen und gestelzte Redewendungen zu einem unverständlichen, viel zu langen Text, aus dem eines aber klar hervorgeht:

Das Tribunal weiß von mir.

Keine zwei Tage nach meinem Auftauchen, hat es bereits einen Kurier zu Jolanda geschickt, mit dem Auftrag, dass ich mich sobald wie möglich melden sollte, wenn ich wieder bei Kräften bin.

Wieder einmal werde ich einfach nicht schlau aus Jolanda, denn wieso sollte sie mir das verheimlichen? Das ist doch etwas Gutes, oder?

Offenbar wollte sie sicher gehen, dass es mir auch wirklich gut geht und mir nicht einfach nur die Decke auf den Kopf fällt, daher tue ich den Vorfall bloß Kopfschüttelnd ab, während Jolanda einen Kurier in Richtung Hauptstadt schickt, mit der Bitte, eine Kutsche zu senden.


MEYRASIA - Falsches SpielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt