POV Josephine
„Hast du den Müll rausgebracht?" Meine Mutter kommt langsam in die Wohnung getreten, mit müdem Blick, unsicheren wankenden Schritten. Die Fahne kann ich bis hierher riechen und das gebe ich ihr mit meinem bekannten Augenrollen zu verstehen. Sie achtet auf sich, indem sie ihre Sorgen wegtrinkt, und das jeden erdenklichen Tag.
Sie schämt sich nicht mal dafür, stützt sich am Türrahmen ab und möchte, dass ich ihre Frage bezüglich des Mülls beantworte. Ich schüttele den Kopf. Sie nickt unbeeindruckt . „Dann guck zu, dass du den heute noch runterbringst, es müffelt."
Ohne weitere Worte, ohne Hallo, oder wie war dein Tag, schleicht sie sich wie jeden Abend in ihr Zimmer mit den viel zu vielen Decken, die seit Monaten nicht mehr in der Reinigung waren und lässt sich erschöpft ins Bett fallen. Ihre Unterwäsche liegt verteilt, überall auf dem Boden. Es sieht hier aus, als hätten wir einen tollwütigen Hund, der den ganzen Tag nichts anderes tut, als die Wohnung zu verwüsten.
Dabei realisiert keiner außer mir, dass wir in Wahrheit die tollwütigen Hunde sind.
Für mich war es ja bereits Überraschung genug, dass Mom erstens an den Müll gedacht hat und zweitens ihn überhaupt riechen konnte, dabei dachte ich sie sei an den Geruch schon gewöhnt oder der Gestank ihrer Fahne würde ihn überdecken.
Vielleicht versucht sie auch einfach nur den Anschein zu vermitteln, sie würde sich für das interessieren, was ich hier jeden Tag durchmache, vielleicht ist ihr langsam arbeitendes Hirn auch mal auf die Idee gekommen, Initiative im Haushalt zu ergreifen oder sowas....aber das wäre nur wieder eine meiner leeren Hoffnungen.
Alles was meine Mutter tut, ist, Kunde für Kunde abarbeiten und ich glaube, dass sie mir leidtut. Tagein tagaus derselbe körperliche Schmerz, das zieht sich bis in die Knochen und zerrt an ihrem Gewissen. Doch ohne gescheite Bildung blieben ihr viele gute Jobs vorenthalten und so zog sie ihr Überlebenswillen mitten hinein in den Teufelskreis der Prostitution. Schnelles Geld schätze ich.
Aber sie ist selbst Schuld, denn sie hatte eine Wahl. Jeder hat immer eine Wahl. Wieso konnte sie nicht Putzfrau werden oder so etwas in der Art, wieso legt sie mir den unerträglichen Fluch auf, dass die gesamte Nachbarschaft weiß, wer sie durchgenommen hat und dass sie alle wie Lästermäuler darüber spekulieren, dass ich wahrscheinlich ganz genauso enden werde. Als eine billige, abhängige Nutte ohne Stolz und müden Augen, benutzte Unterwäsche und einer ganzer Menge wechselnder Geschlechtskrankheiten.
Dabei wissen sie alle nicht, dass ich praktisch noch eine Jungfrau bin. Wie auch immer, das spielt sowieso keine Rolle. Sie sehen mich als das, was sie von meiner Mutter kennen. Keinen interessiert die Wahrheit, hier lechzt ein jeder bloß nach Klatsch und Tratsch, den man über den gesamten langen Tag hinweg erzählen kann, während im Hintergrund Trash-TV läuft und die fertigen Chicken Nuggets in der Mikrowelle langsam vergammeln.
~
Als es immer dämmriger wird und Mom in den Tiefschlaf gefallen ist, betrete ich ihr Zimmer und öffne das Fenster, damit die Wohnung endlich etwas durchlüftet wird. Sie schließt es immer absichtlich und schiebt die Vorhänge davor, sie meint der Staat würde sie beobachten und verfolgen. Manchmal, da hört sie Stimmen und sieht Dinge, die ein normaler Mensch nicht sieht. Es sind böse, dunkle Dinge hat sie mir als Kind immer erzählt. Böser und dunkler als alles, was sich im Plattenbau Berlins herumtreibt.
Sie will das alles jedoch nicht wahrhaben, sie meint das hängt bloß mit ihrer ausschweifenden Fantasie zusammen, wann immer sie beschwipst ist. Ich denke nicht, denn welcher betrunkene Mensch hört Stimmen, die einem im Kopf herumtanzen und drohende Befehle ausüben.
Das klingt krank, mehr als krank, wahrscheinlich noch kränker als unser guter Tommy ist, der letztens auf den Badezimmerboden gekotzt hat.
// was sagt ihr zum Kapitel?
Eure Meinung zur Mom?
DU LIEST GERADE
Die haarlose Josephine
ChickLit„Was machst du hier?" Ertönt eine tiefe Stimme hinter mir und ich schrecke auf, drehe mich um und starre einem großen Typ mitten in sein markantes Gesicht. Er steht an dem offenen Fenster, in seiner Hand eine Kippe. „Wer zur Hölle bist du?" Frage ic...