Verlorene Zukunft

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Nathan saß allein in seinem Büro, das Licht gedämpft und die Vorhänge zugezogen. Der Raum, der einst vor Energie und Macht vibriert hatte, fühlte sich nun leblos und kalt an.

Auf dem schweren Mahagonischreibtisch vor ihm lagen ungeöffnete Briefe und Akten, aber er konnte sich nicht dazu bringen, sie zu lesen. Alles, was er sah, war das Blut, das sich auf dem Boden ausgebreitet hatte, als Eleanor in seinen Armen zusammengebrochen war.

Die Erinnerungen an den Tag, an dem sie gestorben war, hatten sich in seinen Verstand eingebrannt, wiederholten sich in endloser Schleife, quälend und unnachgiebig. 


Er hatte sie nicht schützen können.

Die Schüsse waren schnell und chaotisch gefallen, das Echo hallte noch in seinen Ohren nach. In dem Tumult hatte Nathan versucht, Eleanor zu erreichen, seine Augen suchten verzweifelt nach ihrem vertrauten Gesicht, aber dann... dann hatte er den Schrei gehört. Einen Schrei, der durch Mark und Bein ging und sich tief in sein Herz bohrte.

Als er sie fand, lag sie am Boden, eine rote Blume breitete sich auf ihrem weißen Hemd aus. Das Blut quoll unaufhaltsam aus der Wunde in ihrer Brust, als er sich über sie kniete, unfähig zu begreifen, was gerade geschehen war.

„Eleanor!" hatte er geschrien, seine Hände zitterten, als er versuchte, die Blutung zu stoppen. Doch es war zu spät. Ihre Augen hatten den Glanz des Lebens verloren, und das Lächeln, das er so liebte, war für immer erloschen. Er konnte nichts tun, außer sie festzuhalten, als das Leben aus ihr wich. Ihre letzten Worte waren ein Flüstern gewesen, so leise, dass er sich nicht sicher war, ob er sie wirklich gehört hatte.

„Es ist nicht deine Schuld," hatte sie gesagt, oder hatte sie es gedacht? Er wusste es nicht. Aber diese Worte waren ihm seither ein ständiger Begleiter, ein leises Echo, das durch seinen Verstand geisterte, während die Tage vergingen.

Seit diesem Tag hatte Nathan sich in seinem Schmerz vergraben, unfähig, weiterzumachen. Die Welt um ihn herum hatte ihren Sinn verloren, und alles, was ihm geblieben war, war der Kummer, der wie ein dunkler Schatten über ihm hing.

Er hatte sich von allen zurückgezogen, hatte die Kontrolle über seine Organisation an seinen Stellvertreter übergeben und verbrachte die Tage und Nächte allein, in Gedanken an Eleanor.

Auf dem Tisch vor ihm lag ein Foto von ihr, das in glücklicheren Zeiten aufgenommen worden war. Es zeigte sie in einem Garten, die Sonne glitzerte in ihrem Haar, und ihr Lächeln war so hell wie der Sommerhimmel.

Dieses Bild war alles, was ihm geblieben war, das einzige, was ihn noch mit ihr verband. Er starrte auf das Foto, seine Augen brannten von den ungeweinten Tränen, die er nicht zulassen konnte.

Der Gedanke, dass er sie nie wiedersehen würde, war wie ein Dolch, der sich immer wieder in sein Herz bohrte. Sie hatte ihm Hoffnung gegeben, in einer Welt, die von Gewalt und Dunkelheit beherrscht wurde.

Mit Eleanor an seiner Seite hatte er geglaubt, dass es vielleicht doch einen Weg heraus geben könnte, dass sie eines Tages dieses Leben hinter sich lassen könnten. Doch dieser Traum war nun ebenso tot wie sie.

Er griff nach der Flasche Whisky, die vor ihm stand, und goss sich ein weiteres Glas ein. Der Alkohol brachte keine Erlösung, aber er dämpfte den Schmerz für eine Weile, erlaubte ihm, nicht an den Abgrund zu starren, der sich in seiner Seele geöffnet hatte.

Er nahm einen tiefen Schluck und ließ den scharfen Geschmack in seinem Mund verweilen, als würde er hoffen, dass es die bitteren Erinnerungen hinfortspülen könnte.

Doch sie blieben. Jede einzelne. Jede Sekunde des Kampfes, jedes vergebliche Flehen an Eleanor, ihn nicht zu verlassen, jeder Gedanke daran, was hätte sein können. Sie alle waren da, quälten ihn, hielten ihn gefangen in einem endlosen Kreislauf der Trauer und Verzweiflung.

Sein Handy vibrierte auf dem Tisch, das leuchtende Display zeigte den Namen seines Arztes, Dr. Mitchell. Nathan ignorierte den Anruf und ließ das Handy verstummen. Er wusste, dass er irgendwann die Dinge wieder in die Hand nehmen musste, dass er sich der Realität stellen musste. Aber nicht heute. Heute gehörte sein Schmerz allein Eleanor.

Als er gerade dabei war, das Glas erneut an seine Lippen zu setzen, hörte er ein leises Klopfen an der Tür. Es war fast unmerklich, doch in der Stille des Raumes klang es wie ein Donnern. Er blickte auf, unsicher, ob er sich das Geräusch eingebildet hatte, aber dann klopfte es erneut, diesmal etwas fester.

Mit einem müden Seufzen stellte Nathan das Glas ab und erhob sich langsam. Er ging zur Tür, seine Bewegungen schwerfällig, als würde jede Faser seines Körpers gegen ihn arbeiten. Als er die Tür öffnete, stand dort Dr. Mitchell, die Ärztin, die Eleanor in ihren letzten Momenten begleitet hatte.

Ihr Gesicht war ernst, und in ihren Augen lag ein Ausdruck von Bedauern, den Nathan nicht recht einordnen konnte. Sie hielt eine Akte in den Händen, ihre Finger zitterten leicht, als sie sie fest umklammerten. „Nathan," begann sie leise, fast flüsternd, als hätte sie Angst, ihn weiter zu verletzen. „Ich... ich muss mit Ihnen sprechen."


Nathan nickte stumm und trat zur Seite, um ihr Platz zu machen. Dr. Mitchell betrat den Raum, zögerte kurz, bevor sie zu sprechen begann. „Es tut mir so leid, Nathan. Ich wünschte, ich hätte bessere Nachrichten."

Er antwortete nicht, konnte nur nicken und warten, während eine beklemmende Stille den Raum erfüllte. Dr. Mitchell trat näher an ihn heran, legte ihm sanft eine Hand auf den Arm.

„Ich weiß, dass dies eine sehr schwere Zeit für Sie ist", sagte sie mitfühlend. „Aber ich muss Ihnen etwas sagen, das... das Sie wissen sollten."

Nathan spürte, wie sein Herz schneller schlug. Eine kalte Hand griff nach seiner Brust, ein unheilvolles Vorahnung, die ihm den Atem nahm.

„Was... was ist es?" fragte er, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.

Die Ärztin zögerte, als würde sie die Worte suchen, die den geringsten Schmerz verursachen würden. Doch es gab keine solchen Worte.
Als sie schließlich sprach, war ihre Stimme von einer Schwere erfüllt, die Nathan tief traf.

„Nathan..." begann sie und hielt inne, als würde sie die Kraft sammeln, ihm die Wahrheit zu sagen. „Eleanor war schwanger."






Let Me Hold YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt