Großer Schock

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Nathan taumelte einen Schritt zurück, als hätte sie ihn körperlich getroffen. Die Worte hallten in seinem Kopf wider, scharf und unbarmherzig, während sein Verstand verzweifelt versuchte, ihre Bedeutung zu begreifen. 

Schwanger

Eleanor war schwanger gewesen. Mit seinem Kind. Ihrem Kind.

„Das... das kann nicht sein," stammelte er, seine Stimme brüchig, während er sich an der Tür festhielt, um nicht den Halt zu verlieren. 

„Warum habe ich nichts davon gewusst? Warum hat sie nichts gesagt?" Seine Augen suchten nach einer Antwort, seine Gedanken wirbelten in einem Sturm aus Unglauben, Schuld und Schmerz.

Dr. Mitchell sah ihn mit tiefem Mitgefühl an, ihre Augen glänzten feucht. 

„Sie wusste es selbst erst seit ein paar Tagen," erklärte sie sanft. „Eleanor wollte es Ihnen sagen, Nathan. Sie hatte einen Termin bei mir vereinbart, um alles zu bestätigen und... und zu besprechen, wie sie es Ihnen mitteilen würde. Doch dann..." Ihre Stimme brach, unfähig, den Satz zu beenden.

Nathan fuhr sich mit zitternden Händen über das Gesicht, der Raum um ihn herum begann sich zu drehen. Bilder von Eleanor flackerten in seinem Kopf auf – ihr Lächeln, das Funkeln in ihren Augen, ihre sanfte Stimme. Und jetzt das Wissen, dass sie ein neues Leben in sich getragen hatte, ein Leben, das sie zusammen hätten aufbauen können. Ein Leben, das ebenfalls ausgelöscht worden war.

„Ein... ein Kind," flüsterte er, mehr zu sich selbst als zu Dr. Mitchell. Seine Knie gaben nach, und er ließ sich schwer in den Sessel fallen. 

„Warum hat sie nichts gesagt? Wir hätten... vielleicht hätten wir einen Weg gefunden..."

„Nathan," unterbrach Dr. Mitchell behutsam, „das macht es nicht leichter, ich weiß. Aber ich dachte, Sie hätten ein Recht darauf, es zu wissen. Eleanor war so aufgeregt – sie hatte Hoffnung für die Zukunft, für Sie beide." Sie legte ihm die Hand auf die Schulter, doch er fühlte sich weit entfernt, als stünde eine unsichtbare Wand zwischen ihm und der restlichen Welt.

Der Schmerz war überwältigend. Es war nicht mehr nur der Verlust von Eleanor, sondern auch der Verlust der Zukunft, die sie zusammen hätten haben können. 

Ein Kind. Sein Kind. 

Wie hätte er sie und dieses unschuldige Leben nicht beschützen können? Wie konnte das Schicksal so grausam sein?

Dr. Mitchell trat zurück, gab ihm den Raum, den er so offensichtlich brauchte. „Wenn Sie bereit sind, Nathan... ich bin für Sie da, wenn Sie reden wollen. Ich lasse Ihnen meine Karte hier." Sie legte die kleine Visitenkarte auf den Tisch, warf ihm einen letzten, mitfühlenden Blick zu und verließ das Büro leise, ohne ein weiteres Wort.

Nathan starrte auf die geschlossene Tür. Die Stille war nun noch drückender, die Luft schwer von unausgesprochenem Leid. Er griff erneut nach der Whiskyflasche, doch diesmal hielt er inne. Seine Finger umklammerten den Flaschenhals, während sich eine neue Emotion in ihm regte. Es war keine Linderung mehr im Alkohol zu finden – nur Leere. Doch jetzt flammte etwas anderes in ihm auf, etwas, das fast wie ein Funke der Entschlossenheit war.

Das war nicht das Ende. Es konnte nicht das Ende sein.

Langsam stand er auf und ging zum Fenster. Er zog die schweren Vorhänge zurück, ließ das kalte, graue Licht des Tages herein. Es schien unpassend, dass die Welt sich einfach weiterdrehte, während seine eigene in Trümmern lag. Doch irgendwo in diesem Chaos gab es eine Richtung, einen Zweck, den er finden musste. 

Für Eleanor. Für das Kind, das sie nie gemeinsam haben würden.

Seine Hände ballten sich zu Fäusten, und zum ersten Mal seit ihrem Tod fühlte er, wie sich etwas in ihm veränderte. Der Schmerz war noch da, tief und unbarmherzig, aber er war nicht mehr allein. Er trug nun auch die Verantwortung für das Vermächtnis von Eleanor und dem Kind, das sie hätten haben sollen.

Nathan drehte sich um, sein Blick fiel auf die Akten auf seinem Schreibtisch. Die Organisation hatte ohne ihn weitergemacht, aber er wusste, dass es nicht ewig so bleiben konnte. Er musste zurückkehren, die Kontrolle übernehmen. Nicht aus Machtgier, sondern weil er wusste, dass Eleanor nicht gewollt hätte, dass alles, wofür sie gekämpft hatten, in einem Strudel aus Rache und Gewalt endete.

Er würde einen Weg finden, die Spirale der Zerstörung zu durchbrechen. Für sie. Und für das Kind, dessen Gesicht er sich nicht einmal vorstellen konnte.

„Ich werde euch nicht vergessen," flüsterte er in den leeren Raum, seine Stimme fester als zuvor. „Und ich werde nicht aufgeben."

Die Dämonen der Vergangenheit würden nicht einfach verschwinden, das wusste er. Aber inmitten der Dunkelheit war ein neuer, schwacher Funke entzündet worden. Und Nathan würde alles tun, um dieses Licht zu bewahren.

Let Me Hold YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt