1. Kapitel

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Nichts war, wie es schien.

Ich war nicht die glückliche neunzehnjährige, die ich vorgab zu sein. Ich war nicht die fleißige Studentin, für die mich die Leute hielten. Ich war aber auch nicht die trauernde Waise, wie es die anderen von mir erwarteten.

Das einzige Mal, dass ich tatsächlich um meine Eltern geweint hatte, war am Tag, als die Polizei ihre Leichen fand. Dieser Tag war einer der emotional belastendsten Tage meines Lebens gewesen.

Fragen, Fragen, so viele Fragen, die ich nicht beantworten konnte. Kameras, Blitze, Reporter. Beileidsbekundungen. „Ihre Eltern waren gute Menschen, es tut uns Leid um Ihren Verlust."

Nein. Weder waren sie gute Menschen, noch tat es den Fremden leid. Alles Lügen. Lügen, Lügen, Lügen. Gott, es machte mich krank.

Meine Eltern waren grauenhafte Menschen gewesen. Aber hatten sie es verdient ermordet zu werden?

„Du bist aufgebracht", riss mich eine ruhige Stimme aus den Gedanken. Ich drehte mich zu Molly um, die wie immer im Schatten der Ecke stand. Dann seufzte ich. „Ich habe nur nachgedacht."

„Über deine Eltern", stellte sie fest. Es wunderte mich nicht, dass sie es sofort wusste. Molly kannte mich wie niemand sonst. Sie war ein Teil von mir. Und sie war die Einzige, die mich nie verlassen hatte.

Ich nickte, auch wenn sie keine Bestätigung brauchte. Molly legte den Kopf schief. „Es ist vier Monate her."

„Ich weiß", antwortete ich trocken und setzte mich an meinen Laptop, um die aktuellsten Polizeiberichte zu lesen. „Sie haben den Mörder immer noch nicht."

Molly öffnete gerade den Mund, um etwas zu sagen, als ich sie abschnitt. Ich ließ den Laptop auf meinem Bett zurück und stand auf, um in Richtung Badezimmer zu laufen.

„Ich gehe duschen."

Ich wollte auf andere Gedanken kommen. Ich musste mal wieder etwas anderes tun, als bloß in meiner Wohnung zu versauern. Deshalb beschloss ich kurzerhand meinen Unifreunden eine kurze Nachricht zu schreiben. Ich wollte mich heute Abend verabreden.

„Was machst du da?", fragte Molly und sah mir über die Schulter. „Du verabredest dich?" Ich zuckte mit den Schultern. „Ja, ich will mich etwas unter Leute mischen." Molly sah mich skeptisch an. „Du hast doch mich."

Ein entschuldigendes Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. „Ich weiß, ich weiß. Aber du magst es doch nicht rauszugehen und ich bin schon seit ich denken kann immer nur mit dir. Ich brauche etwas Abwechslung."

Sie verschränkte die Arme etwas beleidigt. „Aber du weißt, dass das nicht deine echten Freunde sind, oder?"

Natürlich wusste ich das. Das waren Freunde, mit denen man mal ab und zu etwas unternehmen konnte, aber niemand, dem man sich wirklich anvertrauen konnte.

„Ich weiß, aber ich mag sie trotzdem gerne. Und ich glaube, sie mögen mich auch."

Molly entspannte sich etwas. „Okay, na gut. Aber du musst vorsichtig sein. Ich will nicht, dass du wieder verletzt wirst."

Ich winkte ab. „Ach was."

Mein Handy vibrierte und lenkte meine Aufmerksamkeit auf die eingegangene Nachricht. Ich grinste breit, als ich sie las. „Perfekt. Alle haben zugesagt."

Ich sah zu Molly auf, aber die war bereits verschwunden.

Auch wenn sie etwas beleidigt sein mochte, ließ ich mir davon nicht meine Laune verderben. Ich schnappte mir meine Musikbox und drehte sie laut auf, bevor ich endlich unter die Dusche sprang.

Eine halbe Stunde später trat ich singend wieder aus der Dusche und lief nur im Handtuch bekleidet zurück in mein Zimmer. Ich öffnete meinen Balkon, um den Dampf, der mir aus dem angrenzenden Badezimmer folgte, rauszulassen.

Auf einmal blinkte auf meinem Laptop eine Benachrichtigung auf und ich runzelte die Stirn, als ich sie mir durchlas.

Du siehst wunderschön aus.

Verwirrt las ich sie mir erneut durch, als eine zweite Nachricht einging und es mir kalt den Rücken runterlief.

Sing ruhig weiter.

Sofort schnellte mein Kopf hoch und ich suchte panisch nach versteckten Kameras in meinem Zimmer, als der unheilvolle Benachrichtigungston mich erstarren ließ.

Ich bin direkt hier.

Meine Augen weiteten sich, als ich endlich begriff und mein Blick auf die kleine, runde Kamera oberhalb meines Displays fiel. Und dann erschien die nächste Nachricht und ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.

Unser erster Blickkontakt.

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