Schatten der Macht

1 - Die Wurzeln der Dunkelheit

Die Kälte an jenem Abend war anders als gewöhnlich. Es war keine Kälte, die sich in die Haut fraß, sondern eine, die das Herz ergriff, es zusammenzog und in ein dunkles Loch aus Schmerz und Einsamkeit stieß. Ellania, damals noch ein junges Mädchen von fünf Jahren, stand am Ende des langen Ganges im riesigen Anwesen ihrer Familie und lauschte an der Tür. Ihre kleinen Hände zitterten, und ihr Herz raste, während sie die gedämpften Stimmen im Inneren hörte. Die Worte waren nicht für ihre Ohren bestimmt, doch das machte sie nur umso neugieriger.

„Sie ist nichts als ein Fehler, die Frucht eines Verbrechens, das nie hätte geschehen dürfen!" Die wütende Stimme ihres Vaters schnitt durch die Stille, und Ellania zuckte zusammen.

„Sie hat den Tod meiner Schwester verursacht!" schrie eine andere Stimme, ihre Tante – die Frau, die sie nach dem Tod ihrer Mutter aufgezogen hatte. „Wie sollen wir mit diesem Kind leben? Sie erinnert uns jeden Tag daran, was passiert ist. Sie sollte nie geboren worden sein."

Ellania wusste nicht, was all diese Worte bedeuteten, aber sie spürte ihre Schwere, die Bitterkeit dahinter, die wie giftige Dornen ihre kleine Seele verletzte. In den Augen ihrer Familie war sie nicht nur unerwünscht – sie war ein Fehler, eine Last, die sie verabscheuten. Das Gefühl, nicht geliebt zu werden, begann sich wie eine dunkle Wolke um sie zu legen, die von Tag zu Tag dichter wurde.

Von außen betrachtet war Ellanias Kindheit von Luxus und Privilegien umgeben. Sie lebte in einem riesigen Anwesen, hatte Zugang zu den besten Schulen und alle materiellen Annehmlichkeiten, die ein Kind sich wünschen konnte. Doch hinter der Fassade dieses scheinbaren Wohlstands herrschte Kälte. Die Liebe, nach der sie sich sehnte, war nie zu finden.

Ellania war das uneheliche Kind eines Verbrechens, das ihre Familie in den tiefsten Abgrund gestürzt hatte. Ihre Mutter, eine wunderschöne und angesehene Frau aus einer der mächtigsten Familien des Landes, war das Opfer eines Mannes geworden, der für sie nichts als Schrecken und Tod gebracht hatte. Ellanias Geburt war der letzte Nagel im Sarg – ihre Mutter war an den Komplikationen während der Entbindung gestorben, und von diesem Moment an war das Baby, das aus dieser Tragödie hervorgegangen war, der lebende Beweis für das Leid der Familie. Eine unaufhörliche Erinnerung an die Gewalt, die Zerstörung und den Verlust.

Ihre Familie – eine dynastische Elite, die seit Generationen Reichtum und Macht angehäuft hatte – behandelte Ellania wie ein schwarzes Schaf. Ihr Vater, ein Mann von eisernem Willen und scharfer Zunge, war emotional distanziert, und ihre Tante, die sich gezwungen sah, sie aufzuziehen, betrachtete sie als Bürde. Keiner von ihnen wollte sie, aber das gesellschaftliche Ansehen verlangte, dass man sich um das Kind kümmerte. Das Mädchen wurde geduldet, aber nie geliebt.

Ellania war noch zu jung, um die Bedeutung all dessen zu verstehen. Aber mit jedem Tag, der verging, wuchs das nagende Gefühl der Wertlosigkeit in ihr. Sie tat alles, um die Zuneigung ihrer Familie zu gewinnen. Sie lernte früh, wie sie sich anpassen musste, wie sie lächeln und freundlich sein konnte, um wenigstens ein kleines bisschen Anerkennung zu bekommen. Doch egal, wie gut sie in der Schule war, wie brav sie sich verhielt – nichts reichte aus. Ihre Bemühungen prallten an einer Wand des Hasses und der Verachtung ab.

„Sei still, Ellania. Du bist wie ein Schatten, den wir nicht loswerden können." Diese Worte ihrer Tante hallten in ihrem Kopf wider, als sie an so vielen einsamen Abenden in ihrem großen, kalten Zimmer lag und versuchte, den Kummer zu verstehen, der sich tief in ihr festsetzte.

Als sie älter wurde, begann Ellania, die Wahrheit zu begreifen. Sie erkannte, dass es nichts gab, was sie tun konnte, um die Liebe oder auch nur das Mitgefühl ihrer Familie zu erlangen. Der Hass, den sie für das Ereignis empfanden, das sie in diese Welt gebracht hatte, war zu tief verwurzelt. Sie war ein Symbol für den Verlust ihrer Mutter, ein ständig präsentes Mahnmal für die Gewalt und den Schmerz, der die Familie erschüttert hatte.