31. Gleichfalls

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Niall zog die Augenbrauen nach oben und nippte an seinem Bier, als Louis ihn fassungslos ansah.

Der Bergführer stand auf und verließ das Gemeinschaftszelt ohne ein weiteres Wort.

Er war wütend, und gleichzeitig war er verzweifelt, weil er eigentlich nicht mit Harry streiten wollte - und doch stand er jetzt hier und ließ den Blick hastig über das Basislager gleiten, während die Schneeflocken sich langsam auf ihn niederlegten.

Harry steckte die Hände tief in die Taschen seiner Jacke, und fragte sich, ob er überreagiert hatte.

Wahrscheinlich, dachte er bei sich, und eigentlich sollte er sein eigenes Verhalten reflektieren, anstatt Louis seine Aussagen übel zu nehmen.

Aber dafür schmerzten sie zu sehr, auch, wenn er sich darüber im Klaren war, dass er nichts davon böse gemeint hatte.

Einen Moment später hörte er sein Telefon klingeln. Er zuckte zusammen, als hätte ihm jemand eine Ohrfeige gegeben.

Er musste nicht auf das Display sehen, um zu wissen, wer ihn anrief. Und eigentlich war er derjenige, der sich längst hätte melden sollen. „Violet?"

Seine Frau atmete am anderen Ende der Leitung erleichtert aus. „Dass ich dich mal ans Telefon bekomme..."

Harry kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Ja, ich war etwas ... außer Gefecht gesetzt."

„Geht es dir nicht gut?"

„Naja, du weißt schon, die Höhe..."

Violet seufzte. „Geht es dir denn jetzt wieder besser?"

Harry nickte, obwohl er ganz genau wusste, dass sie ihn nicht sehen konnte. „Ja", log er, „Wir haben heute unsere erste Akklimatisierungstour gemacht."

„Und?", hakte Violet nach, „Wie war's?"

Harry dachte einen Moment lang über eine passende Antwort nach.

Ja, wie war's eigentlich gewesen?

„Anstrengend", antwortete er und entschied sich, die Geschichte mit dem Sturz über der Gletscherspalte auszulassen. „Aber wir haben zumindest unser Ziel erreicht."

Violet lächelte. „Ich bin stolz auf dich."

Ehe Harry sich versah, verdrehte er die Augen. Klar.

„Und wie geht es dir?", fragte er also nach, um sich zumindest anstandshalber erkundigt zu haben.

„Alles in Ordnung", gab sie zurück. „Die Hunde machen mich wahnsinnig."

Ein kleines Lachen drängte sich aus Harry's Brust. „Also alles wie immer?", fragte er, seine Stimme plötzlich etwas weicher. „Wie geht es dem Baby?"

Eine kurze Pause entstand in ihrem Gespräch. Dann stieß Violet ein leises Seufzen aus. „Es geht ihr gut", erklärte sie. „Es wird nur langsam alles so anstrengend."

Harry spürte sein schlechtes Gewissen in sich zurückkriechen. Natürlich waren die Dinge anstrengend. Sie war im siebten Monat schwanger, und er hatte sich mal eben für eine Tour auf den Mount Everest entschieden - und vögelte nebenbei den Expeditionsleiter.

„Sie wiegt schon ein Kilogramm", erzählte Violet, und Harry konnte die Aufregung in ihrer Stimme hören. „Und sie tritt mich ziemlich fleißig in den Magen."

Harry fuhr sich durch das lockige Haar. „Ein kleiner Frechdachs also."

Violet lachte am anderen Ende der Leitung. „Sie scheint ganz nach dir zu kommen."

„Das habe ich überhört", murmelte Harry, konnte sich allerdings ein Grinsen nicht verkneifen. Die Vorstellung, dass seine ungeborene Tochter schon jetzt ein kleiner Wildfang war, amüsierte ihn.

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