1 - Abschiede sind scheiße

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Brendons POV

„Ich hasse Abschiede!"

Logan schaut mich traurig aus seinen braunen Kulleraugen an. Tränen säumen seinen Blick und erinnern mich an ein Meer aus gefährlich funkelnden Glasscherben.

Es tut weh, ihn so niedergeschlagen zu sehen. Vor allem, weil er normalerweise ein unbeschwerter, fröhlicher Junge ist, der mit der Sonne um die Wette strahlt.

„Ich auch", stimme ich ihm seufzend zu, „aber denk daran, dass es nicht für immer sein wird. Nächstes Wochenende kommst du uns schon mit Papa in Ravenvale besuchen."

Logan verzieht sein Gesicht zu einer unzufriedenen Grimasse. So, wie er es immer tut, wenn er in eine Limette beißt. Ein vorwurfsvoller Unterton schwingt in seiner Stimme mit, als er jammert: „Bis dahin muss ich noch vierzehnmal mit dem Schulbus fahren! Du weißt, dass mir da immer übel wird, Ben ..."

„J-Ja." Ein riesiger Kloß formt sich in meinem Hals. Je länger ich in diese traurigen, braunen Kulleraugen schaue, umso schlechter fühle ich mich. Wie ein Verräter, der ausgerechnet den Menschen hintergeht, den er am allermeisten mag. „Du wirst dich aber bestimmt daran gewöhnen", versuche ich, Logan Mut zu machen. „Als ich meinen Führerschein noch nicht hatte, bist du doch auch immer mit dem Bus gefahren."

„Da war ich aber noch kleiner!" Logan verschränkt die Arme vor der Brust und stampft beleidigt auf den Boden. „Und die Busfahrer waren besser!"

Erneut seufze ich. „Hör mir zu, du-"

„Nein!", unterbricht mich Logan. Seine Trauer schlägt in Wut um und kullert in Form einer einzelnen Träne über seine Wange. „Du sollst hierbleiben, Ben! Und mich mit dem Auto zur Schule bringen! So, wie immer!"

„Das ... Das geht nicht." Mein Herz krampft sich unangenehm zusammen, bis es sich nur noch wie ein matschiger Klumpen anfühlt. „Du weißt doch, dass Mama und ich nach Ravenvale gehen müssen."

Logan schnieft einmal, bevor er sich mit dem Handrücken die Träne von der Wange wischt.

In diesem Moment kommt er mir total verloren vor. Sein Spiderman-Shirt sieht viel zu groß aus und die gelben Minion-Hausschuhe, die ich ihm letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt habe, wirken fremd an seinen kleinen Kinderfüßen. Auch die braunen Augen, in denen Glasperlen der Enttäuschung schwimmen, erkenne ich nicht wieder.

Obwohl Logan zwei Köpfe kleiner ist als ich strafft er nun seine Schultern und richtet sich möglichst bedrohlich vor mir auf. Blitze schießen aus seinen Pupillen, als er wütend raunt: „Mama muss gehen, ja, aber du nicht. Du gehst freiwillig. Weil du ein Feigling bist!" Er bohrt seinen Zeigefinger wie die Spitze einer Messerklinge in meine Brust. Genau dorthin, wo mein Herz im Takt der Schuld schlägt. „So einen blöden Bruder will ich nicht mehr haben!"

Autsch!

Seine Worte fressen sich durch meine Haut und graben sich einen Weg zu meiner Seele. Dort angekommen überschütten sie meinen Verstand mit Benzin und lassen ihn in lichterlohen Flammen tanzen.

Bin ich wirklich so grausam, wie mein Bruder behauptet?

„L-Logan ..." Meine Stimme zittert. Als würde sie von einem Erdbeben erfasst werden. „B-Bitte ... Bitte sag so etwas nicht." Ohne es kontrollieren zu können, kämpfen sich die ersten Tränen an die Freiheit. Sie kullern langsam über meine Wangen und ziehen eine brennende Spur aus Gewissensbissen hinter sich her.

Ich hasse es, wenn mein Bruder meinetwegen enttäuscht ist. Das hat er nicht verdient!

Blöderweise hat er aber recht mit seiner Anschuldigung, denn ich bin tatsächlich ein Feigling. Statt mich meinen Problemen und Ängsten zu stellen, wähle ich den einfachen Weg: Die Flucht nach Ravenvale.

Loving you in the stormiest autumn eveningsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt