Ihr Fremder

12 3 0
                                    

Die Sonne begann einen Schritt zurück zu gehen, die Blätter tänzelten sachte von den Bäumen in den tiefen Schlaf und der Wind wehte die Schmerzen der Natur davon. Die kalte Brise hatte sich zur Aufgabe gemacht, die seelische Belastung aufzuräumen und die Natur in voller Glänze aufleben zu lassen. Den Weg frei zu räumen, um sich auf die schwere Kälte gefasst zu machen. Mitten in diesem chaotischen Wirbelsturm steht Lottie. Ein zierliches Mädchen, dass mit einem Lächeln, die Sonne aus ihrem Tiefschlaf holte. Sie war die Beschreibung von Herbst, nein eigentlich, ist sie der Herbst. Ihre Haare sind so orange wie die Blätter, die sich zusammen auf dem Boden hin und her bewegten. Die Augen, grün wie das Moos und so tief wie der Sinn des Lebens. Die Sprenkel im Gesicht, zeichnen die Küsse der Sonne. Und sie steht da, mitten im Wald und atmet. Bewusst und ruhig. Die große Kamera, von ihrem Vater, baumelte um ihren Hals. Mit jedem Schritt den sie machte, schoss sie ein Bild der Schönheit. Der rosarote Himmel, die Bäume, den Weg. Und vor allem die Stille, die sie umgab.
Und dann ganz plötzlich, fing sie die Seele ein, die langsam verschwand. Ein Junge, ihr Alter, saß auf der Bank am Teichrand und schaute auf das Gewässer. Man sah ihm nicht an was in seinem Kopf vorging, aber Lottie wusste, dass seine Seele jede Minute immer weiter schwindet. Sie konnte spüren, wie die Natur eine weitere Last aufnahm und sie hinter Ästen versteckte. Sie näherte sich der Bank und fotografierte den Teich und die darauf gespiegelte Sonne. Der Junge erschrak, bei dem Geräusch des Knipses, sobald Lottie auf den Knopf drückte. Er schaute sie an und Lottie könnte meinen, dass diese Augen schon mehr als Enttäuschung erlebt hatten. Er lächelte nicht, er sagte nichts, atmete kaum. „Darf ich?"
Lottie ist die Art von Mensch, die alles daran setzten würde ein Lächeln zu sehen, egal von wem. Und wenn sie keins bekam, war eine Seele am weinen. Der blonde Wuschelkopf nickte und fuhr mit seinem Blick wieder Richtung Teich. Lottie atmete aus und eine kleine Wolke bildete sich in der Luft. Sie setzte sich und machte es dem Wuschelkopf gleich. Das Wasser glitzerte und ließ die Seerosen aussehen wie das Gold am Ende eines Regenbogens. Der wertvollste Schatz in der Umgebung.
Wenn ein Außenstehender sie sehen würde, könnte er meinen, dass es zwei Fremde sind, die die Natur betrachten. Aber würde er aus Sicht von Lottie schauen, würde er fühlen, wie ein Herz das andere heilte. Stumm und ohne Geste. „Kommen Sie oft hier her?" Es war eine banale Frage, aber eine die Aufmerksamkeit erregte. Der Junge drehte sich leicht zu Lottie, mit den Händen in der Tasche, nickte er und schwieg. Die Brise schwamm durch ihre Haare. Lottie sog die Luft tief ein und ließ sie wieder gehen. Die Kälte kratzte an ihr Inneres und gab ihr ein Gefühl von Zufriedenheit. „Ehrlich gesagt,", fing der Fremder an „komme ich zu selten hierher." Er kräuselte die Lippen und schaute entschuldigend. Lottie schmunzelte. „Schade, sollten Sie öfter tuen." Er nickte wieder. „Der Herbst kann einem nämlich zeigen, wie schön es ist, loszulassen." Der stumme Schatten, bewegte seine Augen in Richtung ihres Gesichtes.
„Das stimmt, darüber habe ich nie nachgedacht. Der Herbst, war für mich eher immer lästig gewesen, weil ich meine Aufmerksamkeit den negativen Seiten gewidmet habe." „Und jetzt nicht mehr?" Lottie wollte nachfragen und sie wollte das ihr Fremder seine Seele zurückbekam, dazu aber musste er ein Gefühl von Vertrautheit bekommen. „Ich weiß nicht weshalb, aber ich erzähle dir das einfach, weil wir uns beide wahrscheinlich nie wieder sehen werden." Der Junge atmete kurz aus und neigte seinen Kopf leicht schief: „Meine Beziehung, ist vor kurzem geendet. Und als Erwachsener sollte man mit der Sache gut und neutral umgehen, aber ich habe das Gefühl, dass in mir etwas kaputt gegangen ist. Etwas ist verschwunden, ich weiß nicht was. Ich weiß auch nicht warum aber ich fühle es." Und da war es, der Teil, der seine Seele zum Gehen zwang.
Bevor sie eine Antwort zurückgeben konnte redete er weiter: „Das....Das klingt so banal, ich weiß, aber sie war mir sehr wichtig und es schwierig nicht mehr mit ihr um den Teich zu gehen, nicht mehr ihre Augen zu sehen, und vor allem nicht mehr den Antrieb meines Geistes." Lottie guckte fragend in seine Augen. „Ihr Lachen. Es war ihr lachen. Es gab nichts Schöneres auf der Welt. Aber wie ich gelernt habe, können solche Sachen einfach verschwinden, in die weite Ferne, so dass sie niemand mehr einfangen kann, auch wenn man es noch so stark versucht." Lottie drehte sich schließlich mit ihrem Oberkörper zu ihrem Fremden und schaute ihn an. Sie verstand, mehr als viele in seinem Leben. Die Räder in ihrem Kopf begannen zu arbeiten, dann sprach sie: „Manche Sachen wollen nicht eingefangen werden. Sich einzugestehen, dass es Zeit wird loszulassen , ist eins der schwierigsten Lektionen des Lebens." Sie strich sich ihr glänzendes Haar aus der Stirn und spannte ihr Kiefer an. „Ich weiß das auch, tief im Inneren, aber Gefühle die ich noch nie zuvor hatte machen sich plötzlich in mir breit.", er verstummte und es sah fast so aus, als würde er weglaufen, als hätte er einen Schritt zu viel aus seiner Hülle gewagt und bereut es jetzt.
Doch er blieb sitzen, wollte eine Antwort auf dem was er dachte und sagte. „Glaub mir, jedes Gefühl das du durchlebest, profitiert von Angeberei. Je nachdem was dein Geist denkt, was es brauch, kommt unterbewusst in den Mittelpunkt und prahlt mit dem, was es hat. Da kommen auch schon mal Gefühle hoch, die zuvor nie da waren. Das heißt aber nicht, dass sie nicht weniger wert sind. Sie sind für den Kreislauf in dir drin, ein bedeutsamer Teil." Er schmunzelte, schaute aber gleichzeitig verwirrt. „So wichtig, dass sie mir Bananenschalen in den Weg werfen?" „Vor allem deswegen!" lachte Lottie und er mit ihr mit. Das war alles was Lottie erreichen wollte, und wenn sie dabei auch noch den Anfang vom Ende hervorbringen konnte, war sie wunschlos glücklich. Ein Anfang, für das Ende seiner Qualen.
„Es ist komisch, solche intimen Gedanken mit jemanden zu teilen, aber bei dir hab ich das Gefühl, mein Vertrauen ist sicher." Ein schöneres Kompliment konnte Lottie nicht bekommen. Sie grinste und ihre Sommersprossen funkelten mehr als zuvor. Ihr Fremder stand auf: „Ich danke dir, für alles, auch wenn wir uns seit einer halben Stunde kennen.", er pausierte und schaute sie eindringlich an, „Aber du hast mehr in mir erreicht als alles, was mir das Leben bis jetzt gebracht hat. Ich hoffe wir sehen uns wieder. Vielleicht nicht hier, vielleicht nicht morgen, aber vielleicht an einem Ort wo keine Bananenschalen im Weg sind.", damit verschwand ihr Fremder in der Schönheit der Natur und nahm ein Teil seiner Seele an sich.

_________
1.10.24
1139 Wörter

lyrical journey Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt