Anna

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„Trotzdem teilen?", fragte sie, und ich nickte. „Gastgeber zuerst."
Ich nahm die Flasche, atmete kurz durch, ehe ich ihr zuprostete. „Auf den Abend und unerwartete Gesellschaft." Dann nippte ich, probierte die Flüssigkeit nur ansatzweise, spürte dem Prickeln nach, dieser bitteren Süße.

Sie beobachtete mich, während ich trank, ich sah aus dem Augenwinkel, dass sie mich musterte. Nicht auf aufdringliche Art, sondern einfach neugierig, wie jemand, der gerade einem neuen Kapitel begegnet und wissen will, wohin die Reise geht.

„Wie heißt du?", fragte sie, als ich ihr die Flasche gab.

„Clara."

„Anna."

Sie sprach den Namen weich aus, ließ das A am N kleben, ehe sie es löste. Wie flüssiges Karamell. Ich mochte sie, es fühlte sich so selbstverständlich an. Sie neben mir, die Stadt unter uns.

Sie hob die Flasche wie ich vor wenigen Momenten. Es war, als hätte ich endlich etwas gefunden, wovon ich nicht gewusst hatte, dass ich es suchte.

Anna redete mit einer Leichtigkeit, die mich aus meiner dumpfen Sommermüdigkeit holte. Sie erzählte von ihrer Familie, die in einem kleinen Dorf auf dem Land lebte, wo die Felder nach Zikadenmusik und Hitze rochen, wo die Zeit langsamer verging.

Sie sprach von ihren Studien in Florenz, von der Freiheit, die sie hierher geführt hatte, und immer wieder lachte sie – ein freies, ungebremstes Lachen, das in die Dämmerung schlitterte, das mir ein wohlig warmes Gefühl in die Brust setzte

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