"Und, wie war's mit Zo?", fragt Moritz und schliesst die schwere Wohnungstür hinter mir. "Gut", erwidere ich einsilbig und streife mir die Turnschuhe von den Füssen. Draussen auf der Strasse beschleunigt der Motor von Cems Mietwagen laut.
"Was habt ihr gemacht?"
Ich zucke mit den Schultern, blicke kurz zu ihm hoch. Er erwidert meinen Blick ohne sonderlich viel Ausdruck im Gesicht. "Fussball geschaut und so", erwidere ich und wische mir das dunkle Haar aus der Stirn. "Champions League?", fragt Moritz und schiebt mit dem Fuss meine unschön hingestellten Schuhe zurecht.
"Ja", meine ich kurzangebunden und trete verlegen an ihm vorbei, um die paar Schritte in mein Zimmer zu machen. Das Bett ist gemacht, obwohl ich es heute Mittag in zerwühltem Zustand zurückgelassen habe. Erschöpft lasse ich mich drauf fallen, schliesse kurz die trockenen Augen, nur um sie einen Moment später wieder zu öffnen. Ist anstrengend, das Öffnen und Schliessen, denke ich müde. Alles eigentlich. Jetzt ist es kurz nach sieben und der Himmel ist schon trüb und dunkel hinter der Fensterscheibe. Ich denke zurück an Zos Wohnung mit dem warmen Licht und seinen freundlichen, offensichtlich liebevollen Eltern. Und Zo, der es hinkriegt, glücklich und empathisch und insgesamt ein toller Mensch zu sein. Und ich hab ihm von diesen kranken Sachen erzählt, die er gar nicht zu hören bekommen sollte.
Ich ziehe die Beine nah an den Oberkörper, schliesse die Arme darum. Die Scham, die mich plötzlich überkommt, ist schwer erträglich. Ich hab diese ganze Geschichte, diese pathetische Geschichte, wie ich ein Leben lang ein Opfer war und krieg's nicht mal hin, darüber zu schweigen, gute Menschen wie Zo nicht damit zu belästigen. Es muss so unangenehm sein, das alles zu hören. So unangenehm, dass es Sinn machen würde, wenn er mich lieber nicht mehr treffen wollte.
"Luis, was ist los?", fragt Moritz sachte, als er sich neben meinem Körper auf die Bettkante sinken lässt. "Nichts", erwidere ich, das Gesicht im weichen Stoff der Decke verborgen, schäme mich noch mehr über mein kindisches Verhalten.
"Willst du darüber reden?", fragt wenig beeindruckt. "Nein", wiederhole ich matt und richte mich wieder auf, die lockigen Strähnen wirr im Gesicht hängend. "Ich halte mich einfach nicht so aus grade."
Moritz runzelt die dunkelblonden Augenbrauen. "Wie meinst du?"
Ich zucke hilflos mit den Schultern, das Kissen fest gegen meine Brust gedrückt.
"Was hältst du an dir nicht aus, Luis?", fragt der Polizist mild. "Alles", erwidere ich trocken und starre runter auf meine Hände, drehe sie hin und her, Handfläche nach oben, Handfläche nach unten. "Lustige Theorie aber...ich denke manchmal, dass ich gar nicht wirklich etwas bin, verstehst du? Keine ganze Person, – ich hab all das nicht, was echte Personen ausmacht. Familie und soziale Beziehungen und...Sachen, die sie erlebt haben und Sachen, die sie mögen oder nicht mögen und was auch immer. Ich mein, sogar meine Persönlichkeit ist Teil eines Krankheitsbilds, nicht wahr?"
Moritz sieht mich mitleidig an, natürlich spürt er meine zunehmende Verzweiflung auch. Wie ich mich reinsteigere in Probleme, die nur in meinem Kopf existieren.
"Ich mein, ich hab noch das", bringe ich zittrig hervor und schaue runter auf all die Stücke Körper unter dem dicken Pullover. "Und das ist verdorben."
"Was ist verdorben?", fragt er nach, der Gesichtsausdruck noch besorgter als sonst. Ich zucke wieder mit den Schultern, es schmerzt in meinem Nacken. "Alles irgendwie, nicht?"
"Bestimmt nicht", erwidert Moritz mit einem leichten Kopfschütteln und beugt sich etwas zu mir vor. "Du bist nicht verdorben, Luis, bitte denk das nicht. Wenn überhaupt gilt das für Täter."
"Vielleicht ist es ansteckend", sage ich mit einem müden Lächeln. Übertragen von ihren Händen, Zungen und Gliedern. Er schüttelt wieder den Kopf, vehementer dieses Mal, streckt eine Hand nach meiner Schulter aus. Ich weiche zurück, vielleicht um mein Argument zu unterstreichen, aber Moritz ist schneller, seine Finger schliessen sich um meine.
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Warum die Erde weiter dreht
Teen FictionFortsetzung von "Weshalb die Welt sich weiterdreht": Luis & Eliseis Geschichte Die vollständige neue Version dieses Buchs erscheint in den nächsten Monaten auf meinem Profil. Die alte Version ist dank Wattpad leider nicht mehr zugänglich. Luis' Auf...