Pitnatsat'

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Ravil war seit dem Besuch bei seiner Familie vor einer Woche noch ruhiger, als zuvor.

Viel ruhiger.
Zu ruhig.

Als wir vor einigen Tagen im Boxstudio ankamen, waren andere Boxer des Vereins ebenfalls da, um zu Trainieren.

Es gab keinen von den jungen Männern, die nicht ständig in die Ecke von Ravil schielten. Ich sah es ihren Augen an — sie verfolgten jeden einzelnen Schritt von Ravil. Sie versuchten seine Boxtechnik nachzuahmen.

Neben ihnen wirkte Ravil wie ein Bösewicht, der stillschweigend deren Morde plante — so eiskalt und emotionslos wie er wirkte.

Aber nein, ihm ging anderes durch den Kopf. Nur was?

Die anderen Boxer sprachen viel mit ihren Trainern, lachten hin und wieder, kommunizierten miteinander, gaben einander Tipps, pausierten zusammen die Trainingssequenzen.

Ravil aber nicht. Er trainierte still und pausenlos mit seinem Trainer, Nikolaj Ruslov. Es stimmte etwas nicht. Ravil plante etwas.

Nach seinem Training fuhren wir nach Hause.

Dort bereitete ich sein Abendessen vor, legte die Vitamine, die er einnehmen musste mit einem Glas Wasser vor ihn auf den Tisch.

Er schnitt das Steak locker, während ich den Tisch aufräumte.

„Ich werde morgen kämpfen", ertönt seine Stimme plötzlich. Da er die letzten Tage selten sprach, freute ich mich über den Klang seiner Stimme.

„Es ist für morgen kein Kampf angesetzt", erkläre ich, da ich vermute, dass er mit seinen zukünftigen Boxkämpfen durcheinander gekommen sein muss.

„Jetzt schon"

Mit zusammengezogenen Augenbraue sehe ich zu ihm. „Ah ja? Wieso machen Sie sich die Mühe mir darüber jetzt schon Bescheid zu geben? Wieso nicht erst eine Minute vor Kampfbeginn?"

Ravil schaut mir in die Augen.
Eine Sekunde — zwei Sekunden lang.

Und dann löst sich die leichte Verwirrung in seinen Augen auf. Er nickt und schaut wieder auf sein Steak runter. „Sie sind sarkastisch"

Ich weite die Augen. „Offensichtlich, Sherlock"
Ravil hebt den Blick wieder. Würde ich diesen Mann nicht so langsam kennen lernen, hätte ich zusammengezuckt.

„Wissen Sie, Ihre gespielte Höflichkeit mich zu siezen scheint mir sinnfrei, wenn Sie mich Sekunden später als Sherlock beleidigen können"

Ich muss meine Stirn runzeln. „Können wir uns kurz auf das Hauptthema dieser Konversation konzentrieren? Über welchen Kampf reden Sie? Wieso entscheiden Sie das einen Abend davor? Und wieso weiß ich nicht um welchen Kampf es geht? Haben Sie eine neue Managerin?"

Ravil blinzelt öfter.
„Sie reden zu viel", äußert er.

Ich weite die Augen.
„Und Sie zu wenig!"

Plötzlich ist es ruhig im Raum. Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück und verschränkt die Arme vor der Brust.

„Sie müssen lernen Ihre Emotionen zu kontrollieren", erklärt er, während ich überlege, wie ich sein Steak nehmen und auf den Boden schlagen will.

RAVIL IVANOVWo Geschichten leben. Entdecke jetzt