Kapitel 2: Die seltsamen Dinge

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Es war nicht immer so gewesen, dass Finn und Kian als Außenseiter betrachtet wurden. In ihrer frühen Kindheit waren sie einfach zwei Jungen, die auf einem Hof lebten, den Wald mieden und das Dorf gelegentlich besuchten. Doch die Dinge hatten sich verändert, und das alles hatte mit dem Licht im Verbotenen Wald begonnen.

Die erste Erinnerung, die Kian daran hatte, dass etwas anders war, stammte aus einem kalten Winter vor einigen Jahren. Er und Finn waren vielleicht sieben oder acht Jahre alt gewesen. Es war einer jener Winter, in denen der Schnee so hoch lag, dass das Laufen durch die Felder eine schier unmögliche Aufgabe war. Der Wind peitschte eisig über das Land, und es war gefährlich, lange draußen zu sein.

An einem dieser Tage hatten ihre Eltern sie ins Dorf geschickt, um Holz für den Kamin zu besorgen. Die Dorfbewohner hatten sie mit denselben scharfen Blicken gemustert wie heute. Damals hatten die Leute zwar gemurmelt, doch es war nicht das Gleiche wie jetzt – nicht diese offene Angst, die ihre Augen jedes Mal spiegelten, wenn sie ihnen begegneten.

Auf dem Rückweg war es passiert. Die Wolken hatten sich verdunkelt, und ein eisiger Wind blies ihnen ins Gesicht. Der Schnee fiel so dicht, dass sie kaum noch den Weg erkennen konnten. Kian hatte das Gefühl, als würden sie den Wald am Horizont mit jedem Schritt näherkommen, obwohl sie sich von ihm fernzuhalten versuchten.

Plötzlich war Finn stehen geblieben und hatte ihn am Arm gepackt.

„Kian, warte", hatte er geflüstert. „Geh nicht weiter."

Kian hatte sich umgedreht, verwirrt. „Warum nicht?"

„Ich weiß es nicht", hatte Finn zugegeben, doch seine Augen waren weit aufgerissen, als sähe er etwas, das Kian nicht erkennen konnte. „Es fühlt sich einfach falsch an."

Damals hatte Kian es nicht verstanden, aber er hatte seinem Bruder vertraut. Und dann war es geschehen. Nicht einmal eine Minute später war ein riesiger Baum, der vom Schnee schwer beladen war, mit einem lauten Krachen umgestürzt – genau an der Stelle, wo Kian nur Sekunden zuvor gestanden hatte.

Sie hatten nichts gesagt, nicht einmal, als sie zurück zu ihrem Hof gehetzt waren. Doch in Kians Kopf war etwas hängen geblieben: Finn hatte es gewusst, bevor es geschah. Er hatte es irgendwie gespürt.

Die Jahre vergingen, und mit ihnen wuchsen auch die seltsamen Vorkommnisse. Es waren keine großen, auffälligen Dinge – zumindest nicht für Außenstehende. Aber für Kian und Finn, die immer eng miteinander verbunden waren, war es deutlich spürbar.

Finn begann, Dinge vorherzusehen. Kleine Ereignisse, die niemand erwarten konnte. Einmal hatte er ihre Mutter gewarnt, dass es regnen würde, obwohl der Himmel klar und blau gewesen war – und nur Stunden später war ein plötzlicher Sturm über das Dorf hereingebrochen. Ein anderes Mal hatte er genau gespürt, wann ihre kleine Schwester Lyra sich verletzen würde, noch bevor sie überhaupt vom Baum gefallen war. Finn hatte sie rechtzeitig gewarnt, und Lyra war mit ein paar Kratzern davongekommen, obwohl der Sturz weit schlimmer hätte sein können.

Mit der Zeit wurde es zu einer Art ungesprochenem Geheimnis. Finn schien die Fähigkeit zu haben, Gefahren zu spüren, bevor sie auftraten – manchmal nur Sekunden, manchmal Minuten im Voraus. Und auch Kian begann, Dinge an sich selbst zu bemerken.

Es hatte damit angefangen, dass er Dinge berührte und das Gefühl hatte, eine unsichtbare Barriere um sich zu spüren. Er erinnerte sich daran, wie er als Kind einmal einen Stein geworfen hatte, und bevor der Stein den Boden erreicht hatte, hatte Kian ihn irgendwie aufgehalten – ohne ihn zu berühren. Der Stein war in der Luft stehen geblieben, als wäre eine unsichtbare Hand dazwischengetreten.

Zunächst hatte er geglaubt, es sich nur eingebildet zu haben. Doch dann war es wieder passiert. Er hatte einen Eimer Wasser vor sich auf dem Feld umgestoßen, aber bevor der Eimer zu Boden gefallen war, hatte etwas ihn aufgehalten. Es war keine Magie, wie er sie sich in Geschichten vorstellte – keine flammenden Feuerbälle oder gewaltigen Stürme. Es war subtiler, fast wie eine unsichtbare Kraft, die ihn umgab und schützte, wenn es notwendig war.

Und dann war da die Telekinese. Mit jedem Mal, wenn er die Fähigkeit spürte, wurde sie stärker. Manchmal konnte Kian Dinge mit einem einfachen Gedanken bewegen. Er erinnerte sich an einen Nachmittag, als er auf dem Hof spielte und seine Mutter rief, um ihm zu helfen, ein paar Äpfel zu pflücken. Ohne es zu merken, hatte er einen Apfel vom Baum in seine Hand geholt, nur durch den Wunsch, ihn zu sich zu bewegen. Er hatte es nicht verstanden, aber es war passiert.

Mit der Zeit begann Kian, seine Fähigkeiten zu kontrollieren. Es war, als würde diese unsichtbare Energie um ihn herum fließen, immer da, immer bereit, ihn zu schützen und zu helfen, wenn es notwendig war. Er wusste nie, wann es sich aktivieren würde, doch wenn er in Gefahr war, spürte er, wie es in seinen Händen kribbelte, wie es ihn warnte – oder ihn und Finn beschützte.

Es war alles mit dem Licht im Verbotenen Wald begonnen. Sie hatten es zum ersten Mal an einem klaren Vollmondabend gesehen, als sie mutig genug waren, sich dem Wald zu nähern, um das Geheimnis zu erkunden. Es war ein sanftes, goldenes Licht, das durch die Bäume schimmerte, als hätte die Nacht selbst ein Herz. Kian war sofort davon angezogen worden. Es war, als würde es ihm etwas zuflüstern, eine Verheißung, die er nicht ignorieren konnte.

Damals waren sie noch nicht ganz verstanden, was das Licht bedeutete. Sie hatten gehofft, es sei einfach ein Glühen der Glühwürmchen oder ein Streif von Mondlicht, das durch das Geäst fiel. Doch je näher sie dem Wald gekommen waren, desto klarer wurde es, dass das Licht mehr war. Es war ein Zeichen, eine Verbindung zu etwas, das sie noch nicht begreifen konnten.

Als sie zurück auf dem Hof waren, waren ihre Eltern besorgt. Die Dorfbewohner hingegen waren weniger subtil. Besonders, als die beiden Brüder älter wurden und die Vorfälle häufiger auftraten, begannen die Menschen, sie zu meiden. Früher waren es nur flüsternde Stimmen gewesen, die über ihre violetten Augen tuschelten. Doch jetzt war es mehr. Wenn sie durch das Dorf gingen, verstummten die Gespräche. Die Menschen wichen ihnen aus, als hätten sie Angst, von dem Fluch, von dem sie überzeugt waren, angesteckt zu werden.

Einmal hatte Kian sogar gehört, wie eine alte Frau am Brunnen über sie gesprochen hatte. „Die beiden sind nicht normal", hatte sie geflüstert. „Sie tragen etwas Dunkles in sich. Vielleicht hat der Wald sie verflucht."

Der Wald. Immer wieder fiel dieser Name, als wären sie selbst eine Verlängerung seiner dunklen, unerforschten Geheimnisse.

Und vielleicht war da etwas Wahres dran. Denn je mehr die seltsamen Dinge um sie herum passierten, desto mehr fühlte Kian diese tiefe, unerklärliche Verbindung zum Wald – und zu dem Licht, das er und Finn in den Vollmondnächten sahen.

Etwas Uraltes rief sie.

Der Verbotene WaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt