Louis
Harry kam mir seltsam bekannt vor.
Die Körperstatur, die fast schulterlangen braunen Locken, das hübsche Gesicht und die faszinierend grünen Augen, die mich in ihren Bann zu ziehen schienen. Selbst seine Stimme weckte in mir ein vertrautes Gefühl. Die Art, wie er sprach, erinnerte mich an etwas, doch ich wusste nicht, an was.
Nachdem ich ihm etwas von meiner Gemüsepfanne aufgefüllt hatte, war ich kurz in die Vorratskammer verschwunden, auch wenn ich wusste, dass es unhöflich war. Dort hielt ich mich an einem der Regale fest und musste tief durchatmen. Es war lange her, dass ein Mann solche Gefühle in mir geweckt hatte. Mein Körper schien zu vibrieren und meine Fingerspitzen kribbelten.
Fuck, ich hatte ihm angeboten, hierzubleiben, bis das Unwetter sich gelegt hatte. Das könnte Tage dauern! Wie sollte ich es so lange mit ihm aushalten? Nicht, dass ich ihn nicht leiden konnte. Nein, ganz im Gegenteil. Das, was ich von ihm kennengelernt hatte, war alles, was ich mir je in einem Mann gewünscht hatte. Und jetzt saß eben dieser in meiner Küche.
Ich schüttelte den Kopf, schnappte mir eine Packung Mehl und Zucker, um nicht mit leeren Händen zurück in die Küche zu kommen. Das wäre mehr als seltsam. Mit den beiden Sachen im Arm verließ ich die Vorratskammer wieder und ging zur Küche, wo ich alles zum Backen vorbereitete. Eigentlich hatte ich es morgen machen wollen, aber angesichts der Umstände würde mir das bisschen Ablenkung nicht schaden.
»Stört es dich, wenn ich backe?«, fragte ich vorsichtshalber Harry, der am Tisch saß und mir aufmerksam zusah. Wieder kribbelte es in meinem Bauch, als ich seinen forschenden Blick bemerkte. Kaum dass sich unsere Blicke kreuzten, schaute er rasch auf seinen Teller hinab und schob sich eine Gabel in den Mund.
»Nein, nein. Auf keinen Fall. Es ist ja deine Küche«, meinte er, nachdem er runtergeschluckt hatte.
Er war nervös, das konnte ich spüren, und sah es an seinem unruhig auf und ab wippendem Bein. Ich konnte nicht behaupten, dass es mir anders ging, aber ich war mir sicher, dass wir aus unterschiedlichen Gründen nervös waren. Ich, weil ich auf ihn stand, und er… vermutlich, weil er Termine oder so einen Kram hatte, die er jetzt nicht wahrnehmen konnte. Das hatte nichts mit mir zu tun, dafür würde ich meine Hand ins Feuer legen.
Der Teig für die Plätzchen war schnell zubereitet. Zu schnell, um Harry nicht anzustarren, wie er mit nachdenklichem Gesichtsausdruck aus dem Fenster in die weiße Wand aus Schnee blickte. Sein Adamsapfel hüpfte bei jedem Schluck, den er trank. Ich stellte die Uhr des Ofens und sammelte alles zusammen, was ich für die Schoko-Orangen-Kekse brauchte. Während ich wartete, wusch ich die Orangen und rieb die Schale ab. Zwischenzeitlich hakte ich die Konfitüre klein, gab sie in eine Schüssel und stellte diese in einen Topf mit heißem Wasser, damit sie schmolz.
»Was machst du eigentlich beruflich?«, fragte ich aus reinem Interesse. Und weil die Stille zwischen uns begann, unangenehm zu werden. Ich fand nichts schlimmer, als das.
»Ich mache Musik«, antwortete Harry, nachdem er den letzten Bissen Gemüse heruntergeschluckt hatte.
Überrascht hob ich den Blick und hörte für einen Moment auf, die Orange zu reiben. »Echt? Cool.«
»Und du?« Er drehte sich auf seinem Stuhl herum und lehnte sich unter meiner Pinnwand, die über der Wand am Tisch hing, gegen die Wand.
Ich räusperte mich und senkte den Blick, als mir auffiel, dass ich ihn schon wieder angestarrt hatte. »Ich bin stellvertretender Geschäftsführer von Concours-Publishing.«
»Respekt.« Er nickte anerkennend. »Das erklärt auch, weshalb du dir in dieser Gegend ein Haus leisten kannst.«
»Warum? Neidisch?«, zog ich ihn grinsend auf.
»Nö, wieso? Ich wohne am Princess Park. Also nicht wirklich.« Er lachte leise und Grübchen bildeten sich auf seinen Wangen, die meine Knie weich werden ließen.
Vorsichtshalber stellte ich die Reibe zur Seite und rührte in der langsam schmelzenden Schokolade herum. Himmel, Princess Park? Das war unheimlich teuer da. Dort wohnten die Stars und reiche Unternehmer. Der Kerl musste Geld haben.
Als der Ofen piepte, holte ich das Blech heraus und begann, die Plätzchen vom Backpapier zu lösen. Durch den Kakao waren sie während des Backens richtig schön dunkel geworden und verströmten einen angenehmen Duft nach Schokolade in der Küche.
»Kann ich dir helfen?«, fragte Harry.
Ich zuckte mit den Schultern, tat so, als wäre es mir gleich. »Du könntest dich um die Schokolade kümmern, während ich mich um die Orangencreme kümmere.«
Er grinste schief und kam mit langen Schritten um die Kücheninsel herum. Neben mir blieb er stehen, überragte mich um sicherlich einen halben Kopf. Shit. Als seine linke Hand sich neben meinen auf die Arbeitsfläche legten, musste ich schlucken. Neben ihnen sah meine Hand aus wie die eines Kindes.
Ich räusperte mich zum wiederholten Male, seit er hier war, und trat einen Schritt zur Seite. »Hier, rühr davon etwas unter die Schokolade«, murmelte ich und schob ihm ein kleines Glas mit weihnachtlichen Gewürzen herüber. »Aber nur ganz wenig, sonst wird es zu stark.«
»Aye, Aye, Captain!«, sagte er und salutierte, was mich losprusten ließ.
»Du hast echt einen Knall!«, lachte ich und wischte mir eine Träne vom Auge.
Harry neben mir stieß empört die Luft aus. »Wie bitte?«, fragte er mit hoher Stimme. »Ich? Einen Knall? Ich glaube, ich habe mich verhört.«
»Nein, hast du nicht.« Immer noch lachend schüttelte ich den Kopf.«
»Dann bin ich wenigstens nicht alleine hier!« Verschmitzt grinsend tauchte er seinen Finger in die warme Schokolade. So schnell konnte ich gar nicht gucken, da spürte ich sie schon an meiner Nase. Ich rümpfte die Nase und versuchte, es abzulecken, was mir aber nicht gelang. Wie kamen manche Menschen nur mit der Zunge an ihre Nase?
»Hilfe! Hilfe!«, rief ich kichernd wie ein Schulmädchen und lief einmal um die Kücheninsel herum.
Harry lachte ungehemmt und hielt sich den Bauch. Als ich an ihm vorbeilaufen wollte, drehte er mich mit einer gekonnten Handbewegung zu sich herum. Seine Hände landeten an meinen Wangen und sein Blick brannte sich in meinen. »Warte, ich helfe dir«, raunte er mit tiefer Stimme, die einen Funken in meinem Bauch auslöste.
Nickend schloss ich die Augen und wartete darauf, was er tat. Als ich dann plötzlich etwas Feuchtes an meiner Nase spürte, zuckte ich zusammen und quiekte vor Schreck auf.
»Ahh! Was war das?« Ich riss die Augen auf und sah, dass Harry Schokolade an den Lippen klebte. »Ihh!«, stieß ich lachend aus und boxte ihm in den Magen. »Mach das noch einmal und ich setze dich raus in den Schnee.«
»Sorry«, meinte er verlegen und rührte weiter die Orangenschale unter die Schokolade, die fast komplett geschmolzen war.
Ich machte mich daran, die Orangencreme vorzubereiten. Als diese fertig war, drehte ich die Plätzchen auf dem Blech um und bestrich immer eine Hälfte mit der Creme. »Du kannst die fertigen Kekse halb in die Schokolade tauchen und hier auf das Rost legen«, wies ich Harry an, der etwas verloren vor der fertigen Schokolade stand und mir dabei zusah, wie ich die Creme verteilte.
Er folgte meiner Anweisung und tunkte die Kekse in die Schokolade. »Und wann willst du die alle essen?«, fragte er nach einer Weile.
»Meine Familie wollte am vierundzwanzigsten kommen«, erklärte ich und blätterte in einer Zeitschrift, die mein bester Freund Stan gestern hier liegengelassen hatte.
»Das ist schön. Ich will auch zu meiner Mutter und meiner Schwester, sollte ich noch rechtzeitig loskommen.«
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If I Could Fly (Larrys Version)
FanfictionLouis Leben ist eigentlich ganz normal. Er wohnt in einem schönen Haus in einem ruhigen Stadtteil Londons, hat die berufliche Laufbahn eingeschlagen, von der er immer geträumt hat und ist vorallem eins: glücklich. Doch etwas fehlt, das weiß er tief...