Zwei Kindheitsfreunde, die mit einem Schlag Fremde wurden. Sie verloren sich in der Dunkelheit der Nacht, als ihre Geschwister starben. Der Faden, der ihre Seelen zusammenhielt, brach, und sie verloren sich. Ihre Wege kreuzen sich nach all den einsa...
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Baku, Azerbaycan
Das Lied endet und somit endet unsere Geschichte. Sie verblasst in meinen Gedanken. Aus den Boxen ertönt Survivor's Guilt von Dave. Ich summe zum Takt mit, während ich Richtung Autobahn fahre. Zwar wurde mir zwischendurch gefühlt reingefahren, aber was soll's, es ist die Heimat – hier fährt niemand normal. Das Lied spielt weiter, und dann, passend dazu, dass ich an Alban denke, kommt genau diese Liedstelle:
I fell in love with an Albanian, I know it's mad We're not together, 'cause her family would hold us back I saw the red flags, I wouldn't want my child to grow in that Rum und Red bull, it's a culture clash
Ich singe mir die Seele raus, weil ich diesen Text so verstehen kann. Als ich die nächste Ausfahrt nehme, halte ich an der Ampel. Es gibt zwei Spuren, die nach rechts abbiegen. Mein Auto hält in einer, und ein anderes Auto hält direkt neben meinem Auto und will auch rechts abbiegen. Das Auto ist ein BMW – welches Modell es ist, weiß ich nicht genau.
Der Fahrer hat wunderschöne braune Locken, die mich an Albans erinnern. Ich merke, dass er auch Survivor's Guilt von Dave hört. Was für ein Zufall, wir sind sogar an der gleichen Songline.
Er hat kein einziges Mal in meine Richtung geschaut. Komisch. Mh, na ja. Die Ampel schaltet auf grün, und ich fahre los. Während ich den Weg zum Hotel fahre, sehe ich oft, wie genau dieses Auto auch den Weg fährt. Mh, wahrscheinlich muss er auch zu diesem Hotel. Ich verschwende keinen weiteren Gedanken an ihn und plane, was ich heute machen werde.
Früher, als ich und Arzu Kinder waren, sind wir immer zum Meer gefahren. Wir sind immer die Klippe hochgelaufen und haben dort семечки gegessen, mit çay. Da war immer eine schöne weiße Bank. Ich glaube, niemand kannte diesen Ort. Wie es wohl wäre, nach all der Zeit an den Ort zurückzukehren, doch dieses Mal ohne Arzu – diesmal alleine. Mh, nach langem Überlegen bin ich zum Entschluss gekommen, gegen Sonnenuntergang dahin zu fahren, um den Sonnenuntergang zu betrachten.
Nachdem ich das Auto vor dem Hotel geparkt habe, steige ich aus und nehme meine Tasche mit. Während ich mit schnellen Schritten auf das Hotel zulaufe und die Tür aufmache, bemerke ich, dass jemand hinter mir ist. Ich halte die Tür auf für die Person.Ich hab's sowieso nicht eilig.
„Sağol", bedankt sich die Person mit einem süßen Akzent. Ich glaube, er ist Albaner, so haben Arian und Alban auch damals geklungen, als sie Aserbaidschanisch gesprochen haben. Süß, denke ich mir innerlich.
In meinem Zimmer angekommen, ziehe ich mich um: eine bequeme Shorts und ein lockeres T-Shirt. Mein schwarzer Abaya und mein schwarzes Kopftuch falte ich schön und lege es auf meinen Tisch. Ich checke noch meine Nachrichten ab und schlafe dann ein.
Langsam öffne ich meine Augen. Ich gucke auf die Uhrzeit und sehe, dass in einer Stunde der Sonnenuntergang sein wird. Ufff, wie lang habe ich bitte geschlafen? Schnell ziehe ich mir eine schwarze Jogginghose und einen weißen, kuschligen Oversize-Pullover an, meine Dunks dazu, und flechte meine Haare. Einn bisschen Concealer, Mascara und Puder, und schon befinde ich mich im Auto auf dem Weg zur Klippe.
Während der Autofahrt höre ich Gel von Mabel Matiz und singe voller Euphorie mit. Ich werde nach 11 Jahren wieder dort sein – zwar ohne sie, aber irgendetwas sagt mir, dass sie bei mir ist.
Als ich mein Auto parke und langsam auf die Bank zulaufe, fühle ich mich komplett anders. Ich fühle mich so frei, und irgendetwas in mir heilt gerade. Meine Augen tränen. Diese Tränen gebühren wieder mal Arzu, aber das sind nicht Tränen der Traurigkeit, es sind Tränen der Freude. Vielleicht musste ich heute hier an diesen Platz kommen, damit ich verstehe, dass Arzus Tod kein Verlust war, sondern eine Chance. Sie hätte niemals gewollt, dass ich wegen ihr vor Trauer ersticke. Sie hätte nicht gewollt, dass ich tagelang mich selbst verhungere, dass ich nichts aus meinem Leben mache. Arzu war mein Licht in der Dunkelheit. Als sie ging, verlor ich mich. Ich fiel in der Hoffnung, dass sie mich auffängt, aber das, was mich auffing, waren die Erinnerungen. All die Momente mit ihr... Irgendetwas tief in mir hat in diesem Moment abgeschlossen.
Mit langsamen Schritten bewege ich mich nach vorne, um das Meer zu betrachten, wie früher – das Meer, das unsere Seelen widerspiegelt.
Das Meer hat so viel unentdecktes, genauso wie wir Menschen in uns. Es gibt so viel– so viele Gedanken, Gefühle, die unser innerstes überschwemmen und täglich im Streit sind. Aber von unseren Lippen kommt kein Ton
Manchmal braucht man jemanden an seiner Seite, der einen versteht, ohne ein Wort von sich zu geben – eine Seele die deine Seele versteht.
Meine Gedanken schalten für einen Moment aus, und ich fühle mich frei. Ich fühle mich frei von allem. Mein Blick gleitet nach vorn, die Sonne geht unter. Sie geht unter, wie wir alle. Jede Seele wird den Tod kosten. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Bevor ich weiter ertrinke in meinem Meer voller Gedanken, falle ich. Ich falle die Klippe runter. „Nein!", schreie ich. Bevor ich aber die Tiefe des Meeres spüren kann, spüre ich einen Arm um meine Taille und einen um meinen Kopf. Ich werde an eine Brust gedrückt. Ich wurde gerettet. Ich wurde davor bewahrt, eine Erinnerung zu werden. Ich drücke mich vor Angst enger an die Person. Ich verstecke meine Nase in seiner Halsbeuge.
Aber etwas ist komisch – dieser Duft. Dieser verdammte Duft. Die Realität trifft mich wie ein Schlag. Nostalgie überkommt mich. Es ist sein Duft. Als ich meinen Kopf hebe, sehe ich ihn. „Alban", flüstere ich ungläubig. Er ist wirklich da. Er hat mich gerettet.