Kapitel 2 - Zwölf Tauben beenden den Frieden

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Kapitel 2

Zwölf Tauben beenden den Frieden

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Die Nacht kam Leros schier unendlich vor. Bis zum Sonnenuntergang waren die Leute auf dem Marktplatz noch herumgetanzt und hatten gesungen, bis sich der Platz allmählich geleert hatte und nur noch einige wenige Leute übrigblieben, welche jedoch nicht weniger Lärm machten als zuvor und auch im Rest der Stadt war es, als würde dieser erste Tag nicht vorbeigehen. Pünktlich zum endgültigen Untergang wurden in der ganzen Stadt und auch am Markplatz Laternen entzündet, welche den Platz wie mit Tageslicht erhellten. Aus allen Straßen kam Jubel und Heiterkeit herbei und die wilde Geräuschkulisse wurde vom leichten Wind über die Dächer der Stadt in alle Himmelsrichtungen getragen.

Leros schlief unterdessen mehrere Male im Stehen ein und wurde schnell wieder von den lauten Rufen und dem Jubel der Feiernden geweckt; er langweilte sich fürchterlich auf seinem Posten, an welchem absolut nichts Spannendes vor sich ging. Und auch Tiro senkte gelegentlich den Kopf und schien zu schlafen. Nicht so wie die Stadtwachen, welche streng und ohne einen Muskel zu bewegen an ihrer Stelle verharrten und welchen kein Anzeichen von Müdigkeit anzusehen war. 

Im Augenwinkel musterte Leros die Wachen und wollte sich vergewissern, dass sie nicht bloß Figuren aus Stein waren, welche hier zum Schein aufgestellt worden waren, sondern echte Menschen, und er konnte es nicht mit voller Überzeugung verneinen, so still und steif sie dort standen. 

Als die Glocken der Uhr des Rathauses drei Mal laut schlugen rührten sich die Stadtwachen allerdings doch und tauschten untereinander die Posten aus. Und weil Leros und Tiro nicht unprofessionell wirken wollten, taten sie dies auch, nachdem sie untereinander einige verwirrte Blicke getauscht hatten. Die Stadtwachen belächelten dies, verwandelten sich dann aber sofort wieder in Steinfiguren und blickten weiter geradeaus auf den Platz, wo mittlerer Weile nur noch etwa zweiundzwanzig Leute waren, die meisten davon so gezeichnet von der Nacht, dass sie kaum noch gerade stehen konnten oder bereits auf den Pflastersteinen vor dem Brunnen saßen und zwischen den hunderten Bierkrügen laut schnarchend vor sich hindösten. Und auch die anderen Wachen rings um den Platz waren offenbar kurz davor einzuschlafen, was Leros vorher mit seinen müden Augen nicht hatte erkennen können. Jetzt, nachdem er etwa eine Stunde mit dem Helm an seinen Speer gelehnt geschlafen hatte, fühlte er sich wieder etwas fitter, jedoch war er dem Schlaf immer noch sehr nahe.

Um vier Uhr morgens wurde er daher wieder von den lauten Glocken geweckt; der Marktplatz war nun vollständig leer und das erste Licht des Tages schien über den Dächern. Nur noch eine Stunde Wache, dann konnte er sich hinlegen und sich nach diesem langen Tag ausruhen.

Die Stadtwachen, welche zusammen mit ihm und Tiro am Haupteingang gestanden hatten, waren durch andere ersetzt worden, welche jetzt allerdings vor diesem patrouillierten und nicht wie die großen Säulen dahinter stillstanden. Auch um die Seitenflügel des Tempels liefen jetzt Patrouillen der Stadtwachen auf und ab und nahmen dabei jeden Winkel ganz genau unter die Lupe.

Von oben betrachtet war der Große Tempel ein symmetrisches Kreuz, aus dessen Mitte eine große Kuppel ragte. Darauf war ein großer aus purem Gold bestehender Stern mit fünf Zacken angebracht, in welchen viele kleine Sterne eingraviert waren – das Zeichen der Summonianer. Leros' Mutter hatte ihm immer erklärt, dass der Stern das Symbol für die hohe Magie war, welche die höchsten Magier vor langer Zeit aus Parafran mitgenommen hatten und seitdem als vollständig verloren galt. Leros wusste zwar nie genau, was er sich unter Magie vorstellen sollte, doch war er sich sicher, dass die Welt mit Magie sicher ein besserer Ort zum Leben wäre - sogar noch besser als ohnehin schon.

An den Außenwänden links und rechts vom Haupteingang sowie an den Wänden der beiden Flügel waren – wie oben im Hof des Palastes - große runde Bäume gepflanzt worden und darunter eine dicke blühende Hecke, an welcher im Sommer die schönsten Blüten in allen möglichen Farben blühten.

Parafran - Der Verlorene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt