Er sammelt Steine, hässliche schwarze, graue oder braune Steine. Doch er sammelt nie die schönen glänzenden Steine auf. Jeden Mittag sammelt dieser Mann Steine. Dabei scheint es ihm egal zu sein, dass sein teurer Anzug ab und an schmutzig wird oder, dass ihn seine Mitmenschen beobachten. Manchmal leuchten seine Augen, wenn er einen dieser gewöhnlichen Steine aufhebt. Sie leuchten, als hätte er einen wertvollen Schatz gefunden, obwohl es nur ein matter Stein ist.
Ein kleiner Junge läuft auf den Mann zu. Seine Neugierde platzt nahezu aus ihm heraus, als er fragt: „Wieso sammelst du jeden Tag Steine?" Langsam richtet sich der gebückte Mann auf und offenbart ein strahlendes Lächeln: „Weil sie wunderschön sind." „Aber guck doch mal, dieser Stein glitzert und glänzt! Er ist doch viel schöner als alle anderen Steine!", ruft der Junge und deutet auf einen kleinen Stein, doch der Mann schüttelt nur den Kopf. Die Mutter des Jungen eilt herbei, entschuldigt sich flüchtig für sein Verhalten und zerrt den Neugierigen davon.
Am nächsten Tag sammelt der Mann erneut Steine. Graue, schwarze, braune. Sie haben keine schöne Form, sie haben keine schöne Oberfläche, sie sind einfach normale Steine. Die Zeit vergeht und kurz bevor der Mann wieder aufbricht, erklingt eine bekannte Stimme hinter ihm: „Wieso sammelst du noch immer nur die normalen Steine?" Ein Lächeln schleicht sich auf das Gesicht des Mannes und er kniet sich nieder zu dem Jungen. „Siehst du nicht wie schön diese Steine sind? Jeder sieht anders aus! Die Formen, die Farben und die Größen variieren immer zu und das Beste: Niemand beachtet sie, bis ich sie bearbeitet habe. Keiner kennt ihren Wert, bevor ich sie nicht in der Hand hatte!", erklärt der Anzugträger voller Freude. Der Junge verstand nicht, was der Mann meinte, doch er fuhr fort: „Such dir einen dieser Steine aus. Egal welchen dieser Steine du wählst, morgen zeige ich dir seine Schönheit!" Der Mann hält ihm seine Tasche voller Steine hin und der Junge greift hinein. Er zieht einen zufälligen Stein aus der Tasche und reicht ihn dem Mann. „Was machst du jetzt mit dem Stein?", möchte der kleine Junge wissen, doch der Mann lächelt nur und verschwindet, bevor die auf sie zu eilende Mutter den Jungen wieder davon zerren kann.
Er beginnt den Stein genauer zu betrachten, bearbeitet ihn und offenbart seine Schönheit. Mehrere Stunden Schlaf kostet ihn dieser Stein, doch er hört nicht auf sich damit zu beschäftigen. Als er es geschafft hat, begibt er sich an den Ort, wo er immer Steine sammelt. Der Junge ist nicht da, weshalb er sich auf einem Felsen niederlässt und auf das Meer blickt. Eine Stunde vergeht und doch er sitzt still da und wartet. Die Zeit vergeht und er richtet sich auf, als er plötzlich von der Mutter des Jungen angesprochen wird: „Ich kann Sie nicht leiden, aber mein Sohn tut es irgendwie. Er redet nur noch von Ihnen und diesen hässlichen Steinen. Heute ist sein Geburtstag, doch er ist krank und liegt im Bett. Er wünscht sich, diesen Stein, den Sie ihm mitbringen wollten." Der Mann nickt nur und überreicht der Frau ein kleines Geschenk: „Richten Sie ihm doch bitte aus, dass ich ihm eine baldige Genesung wünsche." Damit geht der Anzugträger, um seine Steine zu bearbeiten.
Die Frau schüttelt verärgert den Kopf und hofft, den erbärmlichen Mann nie wieder sehen zu müssen. Sie kehrt nach Hause zurück und gibt ihrem kranken Sohn das Geschenk. Sofort öffnet er es und staunt. „Er hatte recht", sagt der Kranke nur, doch mit dieser Aussage macht er seine Mutter neugierig: „Zeig mal her", fordert sie und bereitwillig gibt er ihr den Stein. Zuerst sieht die Frau nur die graue Seite, des Steines, doch dann dreht sie ihn um und staunt, denn in dem Stein waren kleine glänzende Kristalle. Während die Mutter noch immer staunend den Stein bewundert, öffnet der Junge bereits den beiliegenden Brief und beginnt laut vorzulesen:
Jeder kann äußerliche Schönheit sehen und suchen, doch nur die wenigsten können innere Schönheit erkennen. Gib Acht auf diesen normalen Stein, denn jetzt wo jeder seine wahre Schönheit sehen kann, wird er begehrt und könnte dir gestohlen werden. Dieser Brief ist ein Abschied, kleiner Junge. Ich werde weiterreisen, doch meine Werkstatt am Ende des Strandes wird bleiben, bis ich zurück bin. Bis dahin darfst du, wenn deine Mutter es erlaubt, sie nutzen. Den Schlüssel habe ich unter einem Stein versteckt, den du sicher finden wirst. Mit steinigen Grüßen dein Anzugträger.
„Darf ich mir die Werkstatt mal ansehen?", fragt er, sobald er den Brief beiseitegelegt hatte. Und seine Mutter nickt, während ihr eine Träne die Wangen hinunterfließt.
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Und Sie Öffnen Dir Die Augen
Short StoryJedes Kapitel dieses Buches enthält eine Kurzgeschichte. Jede Kurzgeschichte enthält eine Botschaft. Jede Botschaft ist verschieden. Alle Rechte vorbehalten ;)