Kapitel 1

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Winter POV

Ich lege meine Hände auf seine Schultern. Ich kann die festen Muskeln spüren, die sich mit jedem seiner Schritte unter dem grauen Shirt bewegen. Ich habe das ganze Schuljahr auf diesen Moment gewartet und das Warten hat sich gelohnt. Für ihn bedeutet es höchstwahrscheinlich nichts, doch ich bin mir seiner Hände auf meinen Hüften nur allzu gut bewusst. Wir tanzen rhythmisch zu der Musik. Unsere Bewegungen sind perfekt aufeinander abgestimmt. Selbst die Ellenbogen, die bei Partys solchen Ausmaßes normalerweise in meinen Rippen landen, bleiben fern. Um uns herum ist genug Platz. Wir sind in unserer eigenen Welt.
"Hey Liam!", brüllt plötzlich jemand in unmittelbarer Nähe. Ich schaue auf und werfe Frank einen genervten Blick zu. Er ist Liams bester Freund, aber ich mag ihn nicht besonders. Er hat sich zwischen uns gedrängt und Liam einen Arm um die Schultern gelegt. Er bemerkt meinen tödlichen Blick. "Sorry Winter, aber ich muss ihn jetzt leider entführen" erklärt er glucksend und fährt dann an Liam gewandt fort: "Hillary Morgan singt betrunken Karaoke, das musst du dir ansehen!" dann zieht er ihn hinter sich her von der Tanzfläche. Liam wirft mir noch einen entschuldigenden Blick zu. "Wir sehen uns später" sagt er und dann verschwindet sein dunkelblonder Haarschopf auch schon in der Menge.
Resigniert mache ich mich auf die Suche nach meiner besten Freundin. Ich finde Blair bei den Getränken. Als sie mich sieht, kommt sie angelaufen und umarmt mich. "Hallo Geburtstagskind!", sagt sie und lächelt mich an. "Hallo Geburtstagskind!", gebe ich ihre Worte glücklich zurück. Es ist in vielen Hinsichten toll dass meine beste Freundin am gleichen Tag Geburtstag hat wie ich. Zum einen sind somit sozusagen Schwestern und zum anderen können wir immer zusammen feiern. Da Blairs Eltern unheimlich viel Geld haben, können wir feiern wie wir wollen. Ob wir nun eine Disco oder eine Hüpfburg mieten wollen, Blair schafft es immer ihrem Vater etwas aus dem Kreuz zu leiern. Auf jeden Fall schmeißt Blair die besten Parties aller Zeiten und eine ist unvergesslicher als die andere. Deshalb kommen auch jede Menge Gäste unter anderem Liam. "Ich habe mit Liam getanzt.", teile ich ihr erfreut mit. Daraufhin fällt sie mir stürmisch um den Hals, sodass ihre blonden Locken mich im Gesicht kitzeln. " Oh mein Gott Winnie, das ist ja total abgefahren. Jetzt kommt ihr endlich zusammen!", jubelt sie. Alle im Umfeld drehen sich verwirrt zu ihr um. "Pssst, nicht so laut!", beschwichtige ich sie. Sie macht ein schuldbewusstes Gesicht: "Sorry, aber ich freu mich mega für dich, das hast du dir so sehr gewünscht. Ich sagte doch, wenn wir sechzehn werden, wird alles besser!"
Und sie hat wie immer recht gehabt. Im Jahr zuvor sind meine Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen und das hat mich nicht nur seelisch, die Welt wie ich sie kannte ist zerbrochen, sondern auch sozial und in der Schule total runtergezogen. Ich habe Wochen mit niemandem gesprochen und meine Noten wurden immer schlechter. Nur Blairs Klugheit und ihr guter Zuspruch haben mich davor bewahrt auch noch sitzen zu bleiben. In dieser schweren Zeit war sie wirklich für mich da und ich bin ihr sehr dankbar dafür. Ohne sie hätte ich niemals durchhalten können und dabei war ich manchmal so abweisend zu ihr. Jetzt lebe ich in einem "Kinderheim", weil ich keine anderen Verwandte mehr habe. Die Leute dort sind absolut unnachgiebig was die Regeln betrifft. Jeder Verstoß wird mehr oder weniger hart bestraft, d.h. entweder mit Schlägen oder mit Essensentzug. Bis jetzt habe ich noch nicht allzu viel davon mitbekommen ich habe nunmal keine Lust auf noch mehr Probleme.
"Wo ist Liam jetzt?", reißt Blair mich aus meinen Gedanken. "Er schaut Hillary beim Singen zu, mit Frank"antworte ich. Mit ihren blauen Augen wirft sie mir einen vielsagenden Blick zu. "Ich werde ihn schon zum Tanzen kriegen!", sagt sie und zerrt mich in Richtung Karaokebühne. Schon von weitem kann ich Hillary ein wenig schwankend auf der Bühne stehen sehen. Sie sieht anders aus als sonst. Die Nerdbrille ist von ihrer Nase verschwunden und ihre Haare, die normalerweise zu einem strengen, französischen Zopf geflochten sind, haben sich hoffnungslos in ihrem Nacken verknotet. "Frank hat nicht gelogen, sie ist definitiv betrunken!", sage ich zu Blair über die laute Musik hinweg. Hillary schmettert jetzt "Girl on fire" in das Mikro und um sie herum hat sich eine Menge grölender Jugendlicher versammelt.
"Oh Mann, morgen früh will ich echt nicht in ihrer Haut stecken!", bemerke ich, doch Blair ist schon verschwunden. Nachdem ich mich kurz umgesehen habe, entdecke ich sie, wie sie mit Liam im Schlepptau auf mich zukommt. "Na, ihr beiden, das ist euer Song!", sagt sie an uns beide gerichtet,"wollt ihr nicht tanzen?" "Oh Gott, wie peinlich", denke ich doch Liam greift schon nach meiner Hand. Anscheinend geht er unerwarteterweise darauf ein. Blair grinst mich an. Ihr Blick sagt: "Du musst mir nicht danken, süße." Ich erwidere ihn mit einem Lächeln und folge Liam in Richtung Tanzfläche.
Plötzlich entgleitet mir seine Hand und ich Falle hin. "Autsch!" "Hör auf zu flennen, dummes Gör!", faucht eine Stimme. Es ist nicht Liam so viel steht fest. Langsam sehe ich auf und weiche kreischend zurück. Eben noch keine fünf Zentimeter von meinem Gesicht entfernt, blicke ich in das Gesicht von der Hexe aus Hänsel und Gretel höchstpersönlich. Was ist passiert, frage ich mich. Ich blicke an mir hinab und finde nicht wie erwartet das elegante schwarze Partykleid vor, das so perfekt meine Figur und Haare betont. Ich trage vielmehr das Gegenteil. Einen weißen Fummel in der Form eines Kartoffelsacks das mir bis über die Knie reicht. Die Hexe holt aus und fährt mir mit ihrer Flächen Hand über meine Wange. Ich taumele rückwärts an eine Wand. Kurz lasse ich meinen Blick durch den kleinen Raum schweifen. Es steht nur ein Tisch darin und auf der Seite mir gegenüber ist ein Fenster. Ich kann nicht sehen was dahinter ist, weil es zu dunkel ist, also ist es Nacht. Der Raum kommt mir merkwürdigerweise bekannt vor, als wäre ich schon einmal hier gewesen. "Madame Pardau, bitte nicht, ich hatte lediglich Durst und wollte mir etwas Wasser holen!", wimmere ich und weiß nicht woher ich den Namen dieser Hexe kenne. Auch nichts darüber Durst gehabt zu haben. Alles hier ist mir fremd. "Madeleine Freecliff, sie kennen durchaus die Regeln und wissen, dass man nach acht Uhr sein Bett nich mehr verlassen darf! Sie werden wie jeder andere in diesem Haus bestraft!", ruft sie und holt zum nächsten Schlag aus. Ich schließe die Augen.
Plötzlich, als hätte jemand einen Schalter umgelegt, dröhnt laute Musik an mein Ohr. Ich öffne die Augen. "Oh." , sagt Liam,"Alles ok? Du hast dich gerade ohne Grund abgemault. Bist du betrunken?" "Nein", murmele ich und benommen führe ich eine Hand an meine Wange wo die Hexe mich eben noch geschlagen hat. Der Schmerz ist verschwunden.

Ich war einmal...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt