Ich hasse Wind.
Aber wer mich kennt, weiß, dass man auf diese Sätze von mir nicht viel geben muss. Denn das, was ich nicht hasse, kann man an einer Hand abzählen.
Ich stehe gerade auf einer beschissenen Klippe, sehe über das beschissene Meer hinaus und lasse mir von dem beschissenen Wind die Haare zerzausen.Meine wunderschön schwarz glänzenden Haare, die mir normalerweise den Rücken wie ein Teppich hinunterfallen (ja, ich bin ein Mann und habe lange Haare, aber ich sehe verdammt gut damit aus), nun aber mein Gesicht auspeitschen, als hätten sie auf einmal ein Eigenleben entwickelt und von meiner schlechten Laune die Nase voll bekommen.
Das könnte sogar wahrscheinlich sein, bei meinem Glück.
Schnaubend drehe ich mich um und verziehe mich mehr zur Mitte der Insel hin. Wälder kann ich zwar auch nicht sonderlich leiden aber sie sind besser als der Wind.
Kurz fahre ich mir mit der Hand durch mein dichtes, schwarzes Haar, um es wieder ein bisschen ordentlicher zu bekommen, als ich eine Stimme singen höre.
Es ist die eines Mädchens, das erkenne ich sofort. Sie klingt lieblich, ein wundervoller Sopran.
Aber das ist nur nebensächlich. Ich würde mich auf keinen Fall umschmeicheln lassen. Wenn man so alt ist wie ich, lernt man dazu.Ich schleiche durch das Gebüsch, immer darauf bedacht, bloß keinen Lärm zu machen. Punktgenau setze ich meine Schritte, umgehe jeden heruntergefallenen Zweig und die kleinen Nester von totem Laub.
Dann sehe ich sie.
Ich kann die Äste nicht weit genug zur Seite schieben, sie würden so laut ächzen, dass mich das Wesen vor mir hören würde, deswegen habe ich nicht die perfekteste Möglichkeit, um sie einschätzen zu können.
Aber so viel kann ich sagen: sie ist sehr zierlich, also würde sie in einem physischen Kampf gegen mich verlieren. Aber das hat nichts zu sagen, denn ihre schwarzen Schwingen verraten, dass sie in Magie wesentlich trainierter ist, als in körperlicher Auseinandersetzung.
Ich muss mich in Acht nehmen.
Ein Höllenengel ist das letzte Wesen, mit dem ich in Streit geraten will. Am Ende wird noch Lucifer, der Fürst der Hölle persönlich, auf mich angesetzt.
Wir haben ein paar Differenzen, er kommt nicht so gut damit klar, dass ich meinen eigenen Kopf habe und ihm manchmal ein Schnippchen schlage, ihm auf die Nerven gehe, oder seinen Bestrafungen ausweiche und damit seine Autorität untergrabe, aber nachdem ich ihm meine Seele verkaufte und somit zu einem mächtigen Nosferatu wurde (was? Ihr wisst nicht, was ein Nosferatu ist? Nun das ist ein Vampir, der dadurch zu einem wurde, dass er seine Seele an Lucifer verkaufte und nicht als einer geboren wurde), haben wir das Kriegsbeil einigermaßen begraben.Der Engel singt immer noch, in einer wunderschönen, alten Sprache, die ich nicht verstehen kann und wiegt sich hin und her, als würde sie sich selbst in den Schlaf singen.
Bestimmt ist sie ein sehr junger Engel, wenn sie so naiv ist und an einem Ort, wie diesem Musicals trällert.
Sie dreht eine kleine Pirouette und ich kann für den Bruchteil einer Sekunde ihr Gesicht sehen. Aber das reicht schon, um mich missbilligend aufschnauben zu lassen.
Die spitzen Ohren, das schimmernde Gesicht, als wäre sie von einer feinen Schuppenhaut umhüllt (wie bei einer Schlange. Wäh, ich hasse Schlangen!) und die leuchtenden, unnatürlich farbkräftigen Augen verraten mir, dass sie nicht nur ein Engel ist."Das muss sie also sein...", murmle ich leise, "Lucifers Tochter. Das Kind des höllenhaften Fürsten und Eleonora, der Tochter der Feenmonarchen Oberon und Titania"
"Ganz recht, Blutsauger, das ist sie. Und was willst du jetzt tun?", schnurrt eine Stimme, nahe an meinem Ohr.
Ich wirble herum und zeige meine Zähne. Mit mir ist nicht zu Spaßen und wenn sich jemand von hinten an mich heranschleicht, was ich auf den Tod nicht ausstehen kann, kann derjenige sehen, was passiert, wenn man dem mächtigsten Nosferatu aller Zeiten ans Bein pisst.
Aber ich sehe niemanden.
Knurrend will ich mich dem Prinzesschen wieder zuwenden und mir einen Plan überlegen, wie ich sie gefangen nehmen und Lucifer mit seinem kleinen Augenstern erpressen kann (Lucy würde mir bestimmt viel Macht versprechen, um sein Mädchen wiederzubekommen, sobald wir von dieser Insel runter sind), als zwei große, orangene Tennisbälle vor mir aufleuchten.
Erschrocken schreie ich auf, stolpere rückwärts und lande mit dem Kreuz auf einer fiesen Wurzel.
"Verdammter Baum, kannst du nicht woanders deine verfickten Wurzeln wachsen lassen?!", Fluche ich los.
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Escape
FantasyWas passiert, wenn eine Person Hunderte von Wesen auf einer Insel einsperrt, mit der einen Aufgabe, einander zu töten? Kann man dieser perfiden Aufgabe nachgeben? Wem kann man vertrauen? Kann man entkommen, ohne sich selbst zu verlieren? Danke, an...