Unruhig wippe ich auf meinem Stuhl hin und her und schaue immer wieder nervös auf die Uhr. Viel zu langsam bewegt sich der Sekundenzeiger schrittweise im Kreis. Tick. Tack. Tick. Tack. Ich bin kurz davor, vollkommen auszuflippen. Aber ich darf jetzt keinen Rückzieher mehr machen. Mein Team zählt auf mich. Ich versuche, meine Konzentration auf etwas anderes zu lenken. Das monotone Summen der Maschinen hier in der Kontrollzentrale wirkt beinahe beruhigend. Ich lehne mich zurück und atme mehrmals tief durch. Nur noch wenige Minuten bis zum Großen Finale der Hungerspiele.
Als ich Schritte hinter mir höre, drehe ich mich um. Katniss Everdeen betritt in ihrem Spotttölpelkostüm die Zentrale. Es sieht beinahe lächerlich aus, obwohl es uns in Wirklichkeit deutlich machen soll, wer das Sagen hat. Sie schaut sich in dem Raum um, in dem wir alle kreisförmig um etwas sitzen, das die Arena darstellen soll. Selbst nachdem die Spiele jetzt beinahe beendet sind, habe ich keine Ahnung, wie das Ganze eigentlich funktioniert. Ich bin mit meiner Ausbildung nie über die Grundlagen hinaus gekommen, da nach den 75. Hungerspielen so gut wie das ganze Team der Spielemacher getötet wurde für die Kapitolspiele dringend neue Leute gebraucht wurden. Meine Eltern waren unter den Opfern von Snows Zorn und trotzdem habe ich den Job übernommen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich schon vor ein paar Wochen geahnt habe, was passiere wird oder ob ich mich dazu entschlossen habe, um meine Eltern zu ehren.
Katniss Blick bleibt an mir hängen und mir wird gleich noch unbehaglicher zu Mute, als ich mich sowieso schon fühle.
"Meine lieben Spielemacher, es ist soweit: das Finale der Hungerspiele steht bevor. Coldrine, bitte sagen Sie es wie abgesprochen in der Arena durch", sagt sie zu einem der Älteren, der wenige Plätze neben mir sitzt. Er nickt, betätigt einen Schalter und spricht leise in das Mikrofon, das vor ihm steht. Das Abbild der Arena vor uns leuchtet hellblau auf und ich weiß, dass das, was Coldrine gerade in das Mikrofon spricht, tausendmal verstärkt durch die Arena hallt. Ich selber verstehe kein Wort, dafür spricht er zu leise.
Dann wendet sich Katniss an die anderen von uns. "Ihr seid dafür verantwortlich, dass alles glatt läuft. Wie abgesprochen möchte ich, dass einer von den beiden" sie deutet auf die Zeichen an der Wand neben ihr, die noch leuchten und für zwei der vier übrig gebliebenen Tribute stehen - "überlebt. Nicht das Mädchen, dass seine Sehkraft verloren hat. Und auch nicht Heaven. Sie ist durch ihre Genmutation zu gefährlich. Aber denkt daran, dass sie nur dann sterben kann, wenn ihr Körper unbrauchbar gemacht wird. So und nun lasst das Finale der 76. Hungerspiele beginnen."
Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken, als der Spotttölpel uns den Rücken zudreht und erhobenen Hauptes die Steuerzentrale verlässt. Wir, die zum engeren Kreis gehören, wissen alle, dass Heaven durch illegale Experimente des Kapitols unsterblich geworden ist. Jedenfalls solange nur ihr Geist getötet wird. Und dass dabei noch etwas anderes geschehen ist, wovon sie selbst vermutlich wenig ahnt. Sie könnte gefährlich werden. Wir wissen aber gleichzeitig auch, dass sie vor einiger Zeit noch Katniss Everdeens beste Freundin gewesen ist. Sie so eiskalt das Todesurteil ihrer Freundin aussprechen zu hören, ist für mich unbegreiflich. Ob sie, wenn sie alleine ist, bereut, was sie tut? Oder lässt es sie vollkommen kalt? Was ist nur mit dem Mädchen geschehen, das einst für Gerechtigkeit gekämpft hat?
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als die erste Vogelmutation losgeschickt wird. Meine Aufgabe ist es heute, dafür zu sorgen, dass Heaven als Siegerin aus den Hungerspielen hervorgeht. Unauffällig, da ich auf diese Weise gegen den Willen des Spotttölpels und somit auch gegen die Regierung handle. Nicht auszumalen, was passiert, wenn ich erwischt werde.
Ewig war ich hin- und hergerissen, nicht wissend, was ich tun soll. Ich habe immer noch ein schlechtes Gewissen, weil ich durch mein Handeln Kinder umbringen werde, die andernfalls vermutlich eine große Chance auf den Sieg gehabt hätten. Gleichzeitig weiß ich aber auch, dass Heaven unsere einzige Chance ist. Ich tue das einzig Richtige. Oder?
Während ich gedankenverloren beobachte, wie die Tribute von verschiedenen Seiten aus den Berg erklimmen, machen meine Kollegen die nächste Mutation startklar. Wir haben für jeden Tribut eine, aber sie sollen nach und nach rausgeschickt werden. Heaven's ist bereits in der Arena, hat sie aber noch nicht entdeckt.
Als ich mir sicher bin, dass ich nicht beobachtet werde, lege ich meine Hand über den Steuerknopf und leite das Signal zu meinem Tisch hin, sodass nun ich diejenige bin, die die Kontrolle über die erste Mutation hat. Ich lasse sie Kreise durch die Arena ziehen. Noch hat niemand die Spitze des Berges erreicht. Noch gibt es keinen Grund zum Angriff.Eine Weile später wird deutlich, wie sehr die Hitze in der Arena den Tributen zu schaffen macht. Sie werden alle langsamer und die Pausen werden immer länger. Auch Coldrine scheint dies nun klar geworden zu sein, denn er formt eine große Wolke, die er vor die Sonne schiebt und schaltet die Kühlanlage ein. Den Tributen fehlt immer noch Wasser zur Stärkung, aber jetzt dauert es nicht mehr lange, bis sie ihr Ziel erreichen. Sie sind alle in etwa gleich auf, aber Heaven ist trotz allem die erste, die nach oben gelangt. Einen Moment lang zögere ich, aber ich weiß, dass ich nun angreifen muss, wenn ich nicht gleich auffliegen möchte. Das blinde Mädchen hat es auch beinahe geschafft, sodass ich die Mutation immer noch auf sie hetzen könnte, wenn Heaven nicht schnell genug ist, um zu entkommen.
Ich drücke den Steuerknopf leicht nach unten und sogleich saust der Geier auf Heaven zu. Ich schnappe nach Luft, als sich ihr Punkt auf unserer Karte nicht bewegt und atme erleichtert aus, als sie dann doch losrennt, um sich in Sicherheit zu bringen. Ich lasse den Geier ihr folgen, aber verringere seine Geschwindigkeit, um Heaven einen kleinen Vorsprung zu gewähren. In diesem Moment höre ich direkt hinter mir ein Räuspern und schrecke so sehr zusammen, dass ich den Steuerknopf loslasse und der Geier mit Höchstgeschwindigkeit auf das Mädchen, dass gestolpert ist und wehrlos auf dem Boden liegt, zusaust.