5 Tage vor dem Unfall
Eine perfekte Wohnung in Berlin zu finden ist so wahrscheinlich wie Sängerin werden, wenn du nicht singen kannst. Möglich, aber nur mit steinreichen Eltern. Ich hab keine steinreichen Eltern. So muss ich jeden Tag hoch in den dritten Stock in meine winzige Wohnung laufen. Ein Fahrstuhl existiert in diesem Haus nicht. Besonders witzig ist das nach Großeinkäufen. So wie heute. In jeder Hand drei Tüten, Handy zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt (Karla, angehende Psychologin mit einem Händchen für die falschen Typen und gleichzeitig meine beste Freundin, die mal wieder Liebeskummer hat und sich ausheulen muss) und den Schlüssel zwischen den Zähnen. Total verschwitzt komme ich vor der blauen Tür an. "Und dann hat Tay gesagt, dass er mich nie geliebt hat und ...", Karla fängt wieder lautstark mit dem Heulen an. Ich bücke mich und versuche die Tür aufzuschließen ohne etwas loszulassen. Mach mal ne Tür ohne Hände auf. Das könnte als Olympische Disziplin eingeführt werden. "Kann ich dir helfen?", höre ich eine Stimme hinter mir. Ich drehe den Kopf und sehe den neuen Nachbarn. "Bittest du die Tür immer kniend sich zu öffnen?" Ich unterdrücke ein Augenverdrehen und antworte, so gut wie es mit einem Schlüssel im Mund geht: "Hilfe wär toll." Er nimmt mir den Schlüssel aus dem Mund und schließt die Tür auf. "Danke, ähhh ...", verzweifelt versuche ich mich an den Namen zu erinnern. "Phil." "Danke, Phil." Er legt den Schlüssel in eine meiner Einkaufstaschen und geht in seine Wohnung. Ich betrete meine Wohnung, kicke die Tür mit dem Fuß zu und stelle die Taschen in der Küche ab. "Kann ich vorbei kommen?", schluchzt Karla in den Hörer. "Klar", antworte ich. Kiloweise Eis, Decken, Taschentücher und die ersten Staffeln Gossip Girl hab ich noch vom letzten Mal zu Hause. Karla wär aber nicht Karla, wenn sie jetzt auflegen würde. Sie schaltet ihr Handy auf Lautsprecher und legt es auf den Beifahrersitz um mir auch beim Fahren ihr Leid zu klagen. Ich leg das Handy auf den Tisch und räume den Einkauf in den Kühlschrank. Wenn Karla ihr Leid klagt, muss man nur manchmal "So ein Arsch!" reinrufen, dann ist sie zufrieden. Und das mach ich so lange, bis es an meiner Tür klingelt. Ich leg den Anruf mit Karla auf und öffne die Tür. Ohne jegliche Begrüßung läuft sie heulend an mir vorbei und knüpft an das Telefongespräch an "Und dann hat er gesagt, dass er mich nie wieder sehen will. Und dann hab ich ihn immer wieder gefragt, warum er das denn überhaupt will. Und dann hat er gesagt, dass ich nur eine Affäre bin und er nur Abwechslung von seiner Freundin wollte. Und dann... ." Sie reißt einen Küchenschrank auf und greift nach dem Nutellaglas und nach einer Schublade nach einem Löffel. Ja, sie fängt allen ernstes an mein teures Nutella (verdammte 2,65€) einfach wegzulöffeln. Sie wirft sich auf mein Sofa, löffelt schmollend das Nutella und starrt den ausgeschalteten Fernseher an. "Gossip Girl?" Sie nickt. "Gossip Girl." Ich schalte den Fernseher an, lege die DVD ein und statt uns um unser Leben zu kümmern, kümmern wir uns um die Probleme der Menschen in der Upper East Side. Nach nicht mal einer halben Stunde drückt Karla auf Pause und sieht mich an. "Nora." Ich unterdrücke den Drang meine Augen zu verdrehen. "Karla." Sie grinst. "Lass uns Pizza bestellen. Liebeskummer macht Hunger. Auf Pizza." Jetzt verdrehe ich doch die Augen. "Sei nicht so geizig. Du verdienst doch genug. Also los, ruf bei Pizzadings an. Ich nehme eine Pizza Salami. Du zahlst." Ich seufze laut auf und rufe dann doch bei Pizzadings an. Und bezahle die Pizza, als der Pizzabote vor der Tür steht. Ich bin schon ne gute Freundin. Nach fünf Folgen ist Karla eingeschlafen. Ich schalte den Fernseher aus, räume den Müll weg und decke sie zu. Sie liegt da zusammengerollt wie ein Embryo. Da ich sie nicht wecken will, nehme ich ihr Handy und aktiviere ihren Wecker. Sie muss morgen arbeiten, da will ich sie jetzt nicht wecken und ihr somit noch mehr Schlaf rauben als ohnehin schon. "Gute Nacht, Karla", flüstere ich und lege mich in mein Bett. Sekunden später bin auch ich eingeschlafen.
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Timeless - Zeit ist relativ
Fiksi Remaja"Keine Sorge, Nora. Der Weltrekord im bewegungslosem Stehen liegt bei genau 16 Stunden, 16 Minuten und 16 Sekunden." "Ich kann noch nicht mal 10 Minuten in einer Warteschlange still stehen." "Ich bezweifle auch, dass du in solchen Warteschlangen auf...