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Luft! Ich brauche Luft. Wild schlage ich mit meinen Armen um mich, was es nicht besser macht. Jetzt wünsche ich, jemand wäre mir hinterhergesprungen. Dringend. Langsam beginnt meine gesamte Brust zu brennen und ich bin in Versuchung auszuprobieren, ob ich nicht Wasser atmen kann? Was habe ich zu verlieren? Sterben werde ich, wenn ich nicht atme, genauso.
Ein scharfer Schmerz an meiner Schulter. Erschreckt atme ich ein. Wasser. Eine schlechte Idee. Meine Sicht verschwimmt und mein Körper bewegt sich von alleine. Ich sehe, wie mein Arm zuckt.
Das Nächste, was ich bemerke ist, wie mir jemand ins Gesicht schlägt. Ich will mich von ihm fortrollen, kann aber nicht und mir wird furchtbar übel. Ich huste, ringe nach Luft und übergebe mich auf Holzplanken. Ein paar Stiefel weichen eilig zurück. Ich selbst bleibe liegen. Ich bin zu schwach um mich zu rühren. Ich atme wieder. In diesem Moment reicht mir das. Ich liege auf festem Grund und lebe, während über mir jemand brüllt. Ein Lappen klatscht direkt vor mein Gesicht.

»Wenn du mit Wischen fertig bist, glänzt das Deck, haben wir uns verstanden?«

Wie zur Bekräftigung der Worte werde ich mit dem Fuß angestoßen. »Noch einmal Ärger mit dir und ich werfe dich eigenhändig über Bord und jetzt auf! Solltest du nicht fertig sein, bis wir den Anker lichten ...«

Er lässt den Satz unbeendet. Trotzdem ist mir klar, was er meint. Wie man putzt, weiß ich und meine Position auf diesem Schiff steht mir ebenfalls deutlich vor Augen. Vorsichtig stemme ich mich auf Hände und Knie. Erneuter Husten schüttelt mich aber Lappen und Eimer bekomme ich zu fassen. Wischen, auswringen ...
Es ist beruhigend und langsam kehre ich zu mir selbst zurück. Ich bin auf einem Schiff. Irgendjemand hat mich aus dem Wasser gezogen. Wahrscheinlich mit Hilfe einer dieser langen Stangen mit einem Haken am Ende. Zwei Mann stehen mit genau solchen Stangen nicht weit von mir an der Reling und sehen auf das Wasser darunter. Habe ich einem von ihnen meine Rettung zu verdanken? Um mich herum herrscht geschäftiges Treiben Fässer werden über Deck gerollt. In Wachstuch eingeschlagene Pakete getragen. Das Schiff wird beladen. Ein großes Schiff. Nicht wie die, die zuhause den Lorayer See und die Echa befahren. Es hat keine Ruder und keine Seile um sich vom Ufer aus mit Pferden ziehen zu lassen. Dafür besitzt es Masten und Segel. Und das Wasser hier in Andor, am Meer ist salzig. Ich schmecke es in meinem Mund. Es hat den Widerstand und das Feuer aus mir fortgespült. Der Mann, der mir den Lappen hingeworfen hat muss sich keine Sorgen machen. Noch einmal werde ich nicht versuchen zu fliehen. Mein Mut liegt irgendwo da unten auf dem Grund.
Ich brauche neues Wasser.
Meine Knie zittern, als ich mich aufrichte aber die Beine tragen mich. Ich leere den Eimer über die Reling und lasse ihn an dem befestigten Seil herunter, wische mit dem neuen Wasser weiter. Bis das Deck glänzt. Seltsamerweise erfüllt mich diese Tätigkeit mit Befriedigung. Ich kann, was ich tue und ich tue es gut.
Ich leere den letzten Eimer über die Reling und sehe mich um, wo ich die Sachen verstauen soll. Da sehe ich ihn. Er muss gerade an Deck gekommen sein. Seine Wachen stehen um ihn herum, ihre Aufmerksamkeit auf das Land gerichtet. Ob sie befürchten, dass jemand mit einer Armbrust hinter einem der Fenster sitzt? Unwahrscheinlich, bei dem, was dem Schützen drohen würde. Genauso unwahrscheinlich wäre es wohl, dass er träfe. Einen Mann mit solchen Kräften? Ob er Pfeile in der Luft in Asche verwandeln oder sie zurücklenken würde? Beides ist denkbar. Auch, dass er gar nicht warten muss, bis er angegriffen wird. Man erzählt sich, dass er Gedanken liest, wie die Gelehrten Bücher und somit im Voraus weiß, wer ihn anzugreifen gedenkt. Mein Magen zieht sich bereits bei der Vorstellung zusammen. Nach dem, was er eben noch im Kontor meines Vaters gesagt hat, glaube ich dieses Gerücht.
Er hat auf meine Gedanken geantwortet ... oder nicht?
Sein Blick streift mich und er wendet sich mit einem Kopfschütteln ab. Spricht mit den Soldaten. Ich stehe wie festgefroren mit dem Eimer in der Hand, bis ich einen Ellenbogen in die Rippen bekomme. Einer von den Matrosen packt mich am Arm.

»Anash tareh!«

Ich verstehe ihn nicht. Trotzdem ist mir klar, was er will. Ich soll aufhören zu starren und den Eimer wegräumen. Er deutet auf einen Verschlag in der Nähe des Steuerhauses.

»Da rein, dann runter.« Er zeigt zu der Leiter, die in den Bauch des Schiffes führt. »Koch«, fügt er stark akzentbelastet jedoch verständlich hinzu.

Ich folge der Anweisung. Was bleibt mir sonst übrig? Ein wenig zynisch ist das Ganze durchaus. Zuhause auf dem Gut meines Vaters in Lorana habe ich oft beim Waschen am See auf die Schiffe geschaut. Habe mir die Freiheit ausgemalt, die es bedeuten musste, mit einem von ihnen fort zu fahren. Sich vom Wind und der Strömung treiben zu lassen. Jetzt bin ich auf einem Schiff aber es wird mich nicht in die Freiheit tragen. Vielleicht sollte ich aufhören, zu träumen. Meine größten Träume sind heute wahr geworden. Mein Vater hat mich zum ersten Mal in meinem Leben Tochter genannt und ich reise auf einem Schiff. Plötzlich kann ich das Lachen nicht mehr unterdrücken. Es bricht mit Macht aus mir heraus. Es hört erst auf, als der Koch mir einen Korb mit Kartoffeln vor die Nase stellt und mich anweist, sie zu schälen.

Vea: Der Anfang von allemWo Geschichten leben. Entdecke jetzt