3. Der Lauscher an der Wand...

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TITUS:

Ich stehe in der Küche und bin gerade dabei, das Abendessen für mich und meinen Onkel zu machen. Spaghetti sollen es werden, das Lieblingsgericht meines Onkels. Vielleicht hört er dann endlich auf, mich anzuschreien.

Es ist jeden Tag das gleiche: Sophie und Gadget besiegen mich – meistens durch pures Glück, so wie heute – und ich darf dann die bescheuerten Strafen erledigen, die mein Onkel mir für mein Versagen aufbrummt. Zusätzlich zu meinen Pflichten im Haushalt, versteht sich.

Ich frage mich, ob Sophie jemals darüber nachdenkt, was es für mich bedeutet, wenn sie mich andauernd besiegt. Oder ob es ihr völlig egal ist, dass ich dafür jeden Tag bestraft werde.

Alles, was im Haushalt so anfällt, bleibt am Ende sowieso immer an mir hängen. Als ob das nicht schon genug Arbeit wäre. Wäsche waschen, putzen, kochen, Rechnungen bezahlen und noch einiges mehr. Mein Onkel hält sich ja für zu wichtig um seinen Hintern aus seinem Sessel zu bewegen und seinen Kram selbst zu erledigen.

Das einzig Gute daran ist, dass ich schon sehr früh gelernt habe, für mich selbst zu sorgen. In der Küche bin ich inzwischen ein Meister. Auch wenn mein Onkel das natürlich nicht zu würdigen weiß. Wie nichts, was ich tue.

Fest steht – sobald ich 18 bin, ziehe ich aus und mache mich selbstständig. Ohne meinen Onkel als Fußfessel kann ich ein viel besserer Bösewicht sein. Und Onkel Kralle soll sehen, wo er bleibt, wenn plötzlich kein Titus mehr da ist, der sein Zeug für ihn erledigt. Ich frage mich manchmal ernsthaft, wie er all die Jahre ohne mich zurechtgekommen ist.

SOPHIE:

Ich sitze mit meinem Onkel am Tisch in unserer Küche und wir sind gerade dabei, zu Abend zu essen. Heute ist es Pizza mit frischem Salat. Wie gesagt, ich kann nicht kochen. Und mein Onkel schon gar nicht. Ihn auf die Küche loszulassen, würde vermutlich in einer Katastrophe globalen Ausmaßes enden. Außer um Törtchen zu backen, versteht sich.

Ich weiß nicht, warum ich nie gelernt habe, zu kochen, aber ich hatte wohl wichtigeres zu tun.

Schließlich fange ich mit meinem Onkel MAD-Agenten, seit ich ein kleines Kind bin und mich noch heimlich darum kümmern musste, dass er sich nicht verletzt.

Ohne Titus als Erzfeind.

Ich frage mich, wo er wohl aufgewachsen ist. Warum lebt er bei seinem Onkel und nicht bei seinen Eltern? Ich muss ihn bei Gelegenheit mal fragen.

TITUS:

Nach dem Essen, als ich endlich fertig mit allen Haushaltspflichten bin, setzte ich mich endlich daran, mein Computerprogramm fertig zu schreiben.

Eine halbe Stunde später bin ich fertig – und bereit es zu testen. Im Prinzip ist es ein Abhör- und Heckerprogramm, mit dem man private Daten wie SMS und Internetverläufe lesen und Telefonate abhören kann – ohne dass man von der betreffenden Person bemerkt wird.

Und ich habe auch schon die perfekte Testperson, um zu sehen, ob es funktioniert: Meine Hauptquartier-Lieblingsagentin.

SOPHIE:

Eine Stunde nach dem Essen liege ich bäuchlings auf meinem Bett und höre Musik, als plötzlich mein Holo-Bildschirm Alarm gibt: Ein Anruf.

Ich melde mich, und am anderen Ende des Videoanrufs sehe ich Karla.

„Hi Sophie, was machst du so?", fragt sie.

„Nichts Besonderes", erwidere ich. „Nur ein bisschen Musik hören."

„Du, Sophie, ich hab tolle Neuigkeiten für dich: Moritz Wagner hat mich gefragt, ob ich mit ihm zum Frühlingsball gehe!" Karlas Stimme geht in Kreischen über und ich schließe mich ihr an.

„Moritz Wagner, einer der beliebtesten und süßesten Jungen des Hauptquartiers? Nicht dein Ernst, oder?"

„Doch!", ruft Karla. „Aber das ist noch nicht einmal das Beste!"

„Jetzt sag schon!", meine Stimme klingt ungeduldig.

„Dominik Neuber, sein bester Freund, will mit DIR auf den Ball!"

Ich starre sie fassungslos an. „U-und du bindest mir auch keinen Bären auf?"

„Nein, das ist mein voller Ernst!", erwidert sie. „Und weil er sofort eine Antwort wollte, hab ich ihm gesagt, dass du dich freust, mitzukommen!"

TITUS:

Ich starre immer noch auf den Bildschirm. Ein paar Minuten später schalte ich das Programm ab. Ich wünsche mir, ich hätte es nie geschrieben. Oder zumindest nicht an Sophie getestet. Oder wenigstens nicht diesen Anruf mitgehört.

Dominik Neuber.

Ich sehe es deutlich vor mir: Der schummrig beleuchtete Ballsaal, die Tanzfläche, auf die ein einziger weißer Scheinwerfer gerichtet ist und dort, im Scheinwerferlicht dieser dauergrinsende Mistkerl mit Sophie. Meiner Sophie, wie sie langsam, eng umschmiegt tanzen, zu irgendeinem dieser total kitschigen Songs, bei denen man am liebsten sofort den Radiosender wechseln will.

Ich beiße vor Wut die Zähne zusammen, dann stehe ich auf und werfe den Chip mit dem Programm mit voller Wucht gegen die Wand. Jetzt erlebe ich wohl hautnah, warum es heißt, „Der Lauscher an der Wand hört nur seine eigene Schand".

Warum habe ICH sie nicht gefragt? Heute während der Mission wäre der perfekte Zeitpunkt gewesen, aber nein, ich habe zugelassen, dass MEINE Sophie mit irgendeinem anderen Trottel, der nicht einmal schlecht aussieht, einen schönen Abend hat, während ich allein zuhause sitze.

Doch, ich weiß warum ich sie nicht gefragt habe: Weil sie sowieso nein gesagt hätte.

„Das ist nicht zu fassen, wir gehen mit den zwei süßesten Typen des Hauptquartiers zum Ball!", hat sie gesagt. Sie findet ihn SÜß. Nicht zu glauben.

Ich werfe mich auf mein Bett und muss all meine Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht loszuheulen wie ein kleines Kind.

Warum haut mich die Nachricht, dass sie einen anderen süß findet so aus den Socken? Ich meine, ich kann doch nicht ernsthaft angenommen haben, dass sie mich mag, oder? Ich meine, wir sind ERZFEINDE. Unsere Onkel sind Erzfeinde, ja unsere ganzen Familien sind verfeindet, da können wir doch nicht....in einander verliebt sein. Oder?

So wie Romeo und Julia, denke ich. Jaaaa.....und Romeo und Julia sind am Ende beide gestorben. Da sieht man doch, zu was so etwas führt.

Aber ich kann das Gefühl nicht verdrängen. Es schnürt mir die Kehle zu, macht mich rasend. Plötzlich richte ich mich auf. Sag mal, wer bin ich denn, mich von einem möchtegern-Casanova wie diesem Dominik soundso einschüchtern zu lassen? Ganz recht, ich bin Titus Kralle und ich werde nicht so leicht aufgeben. Nicht wenn es um Sophie geht. Um MEINE Sophie.

SOPHIE:

Ich liege im Bett, es ist schon fast halb eins, aber ich kann nicht schlafen. Dominik Neuber. Ich gehe mit DOMINIK NEUBER auf den Frühlingsball!

Man sollte erwarten, dass ich mich bei der Aussicht, mit einem Typen wie ihm zum Ball zu gehen nicht mehr halten könnte vor Freude, aber dem ist nicht so.

Ich versuche immer wieder, mir vor Augen zu führen, welches Glück ich habe, dass sich ein Typ wie Dominik offenbar für mich interessiert. Aber es klappt nicht.

Ich fühle gar nichts.

Seufzend wende ich mich auf die andere Seite. Vielleicht bin ich einfach schon zu müde um mich zu freuen. Ja, genau das wird es sein.

Aber immer wenn ich mir Dominiks wasserblaue Augen vorstelle, wechseln sie nach wenigen Sekunden die Farbe zu dunkel – fast schwarz – braun mit bernsteinfarbenen Sprenkeln.

Nur einer den ich kenne hat solche Augen. Ich frage mich nur, warum ich sie mir immer wieder vorstellen muss.

My Love or my Enemy?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt