Man sieht etwas hundertmal,
tausendmal,
ehe man es zum aller ersten mal
wirklich sieht.
- Christian Morgenstern
Cloe:
Witze zu zuordnen waren offensichtlich nicht meine stärke.
Seine Mutter strahlte über beide Ohren, als sie sah wie ich mit gepackter Tasche und Andrew neben mir, vor ihrer Haustür stand. Wir gingen in das riesige Haus hinein und dort stand die ganze Familie versammelt.
„Cloe, das ist meine kleine Schwester Viktoria. Das ist mein großer Bruder Ben...aber ihn müsstest du ja bereits kennen, und das ist mein Vater Alliot." Er stellte mir einem nach den anderen vor. Seinem Bruder schaute ich nicht in die Augen, dafür wusste er zu viel über mich, was besser Geheim blieb.
Viktoria war richtig süß. Sie zeigte mir ihre ganzen Barbies und Ken's, dann spielten wir verstecken und fangen, wobei ich sie immer kitzelte wenn ich sie erwischte. Ihr lachen bewegte etwas in mir, ich habe mich lange nicht mehr so gefühlt...wie ein Teil einer Familie.
Trotzdem, jedes mal wenn ich zu Toilette ging, stand einer der beiden Jungs hinter mir. Auch jetzt, wo Dorothy die kleine Schlafen legte und der Vater vor dem Fernseher saß.
„Ich muss echt ganz dringend auf's Klo", sagte ich.
„Um dich zu übergeben?" fragte Ben gehässig.
„Und wenn schon, was geht dich das bitte an?"
„Eigentlich ja nichts. Aber meiner Mom würde das nicht gefallen"
„Wie rührend, du bist ja sogar noch ein viel größeres Muttersöhnchen als dein Bruder", gab ich gespielt gerührt vor.
Er ging auf mich zu, um Abstand zu bewahren, ging ich ein paar schritte zurück, doch er lief weiter. Mein Rücken berührte die Wand. Als er so dicht vor mir stand, das uns nur noch ein Millimeter voneinander trennte, hob er mein Kinn mit seinem Zeigefinger an.
„Wenn du so beleidigend wirst, ist es schwierig Nett zu dir zu bleiben. An deiner stelle würde ich es lassen, eine so große klappe zu haben", drohte er.
„Denkst du echt ich habe Angst vor dir? Lächerlich", zischte ich.
„Solltest du aber."
„Ach, vor dir? Haha, das ist doch nicht dein ernst. Da hab ich sogar mehr Angst vor deiner kleinen Schwester, oder eurem Hund", höhnte ich. Sein Grinsen erinnerte mich an das zähnefletschen eines Wolfes, und sein blick an den einer Raubkatze. Urplötzlich, legte er seine Lippen auf meine. Ich ließ mich dazu hinreißen mit zu machen und meine Lippen zu öffnen, so dass unsere Zungen aufeinander trafen. Erst dann merkte ich was ich da gerade tat und schubste ihn weg.
„Was soll der scheiß?"
„Hat sich aber nicht so angefühlt als wüsstest du nicht was ein Kuss ist", meinte er mit einem fiesen grinsen.
Finster funkelte ich ihn an. Es war als wären für einen kleinen Moment meine Gehirnzellen außer Gefecht gesetzt werden. Trotzdem musste ich zu geben, er konnte Gut küssen.
Ich ließ ihn stehen, und ging zurück in das Wohnzimmer. Alliot schaute Nachrichten. Ich setzte mich neben ihn, ignorierte die bescheuerten Nachrichten, und tippte auf meinem Handy rum. Ich bemerkte wie Ben sich neben mich setzte, aber schaute ihn nicht an.
Andrew war nicht hier, also beschloss ich ihn zu suchen. Ich ging die große Wendeltreppe hinauf, und einen Flur entlang. Links kam eine Pinke Tür, eine wo "KEEP OUT!!" drauf stand, und eine einzige Tür rechts, "Bitte nicht stören" stand drauf. Ich Grinste, und wusste dass das Andrew's Tür ist. Ich drückte die Türklinke hinunter, und trat ein. Er hatte ein riesiges Zimmer. Ein schwarzes Kingsize Bett stand rechts von mir, links daneben war noch eine Tür und rechts stand ein großer schwarzer Kleiderschrank. Ein schwarzes Ledersofa breitete sich schräg zur gegenüber liegenden Wand aus, wo ein großer schwarzer Flachbild Fernseher hing. Ich trat ein, und bemerkte einen Glas-Schreibtisch mit einem schwarzen Schreibtischstuhl davor. Auf dem Tisch lag ein schwarzer Laptop und eine schwarze Maus. Der Boden war mit dunklem Holz-Laminat versehen und die Wände waren in dunklem, satten Grün gestrichen. Seine Gardinen waren dünn und ebenfalls schwarz. Was hatte er nur gegen helle und offene Farben?
Ich hörte ein Geräusch aus dem Raum hinter der anderen Tür kommen, und plötzlich öffnete sie sich. Andrew war scheinbar Duschen gegangen, denn er hielt nur ein Handtuch in den Händen, was sein Teil verdeckte. Ich stand perplex da, und Andrew erschrak als er mich sah.
„Was zum Teufel machst du hier?" brüllte er.
„Ich hab dich gesucht!"
„Das gibt dir noch lange nicht das Recht einfach in mein Zimmer zu spazieren! Raus!"
Wütend verschränkte ich die Arme, um zu demonstrieren dass ich so schnell nirgends hingehen würde. Lieber stritt ich mich hier mit ihm, als unten die Gegenwart von Ben zu ertragen. Er wartete.
„Du hast mich hier her geschliffen, also leiste mir Gesellschaft", forderte ich, und setzte mich wie selbstverständlich auf sein Bett.
„Ok!" Wütend band er sich das Handtuch um die Hüften, und ging zu seinem Schrank. Ich konnte noch einen letzten blick auf seinen Körper werfen, bevor er im Bad verschwand. Wow. Ich hatte ja schon viele Gut gebaute Typen gesehen, aber so? Ein kribbeln durchfuhr meinen Körper.
Andrew:
Ich kam wütend wieder aus dem Badezimmer. Sie lag mit geschlossenen Augen auf meinem Bett ausgestreckt und schien zu schlafen. Meine Wut verpuffte mit einem schlag und ich schaute sie eine weile an. Sie hatte Braunes, langes Haar, schöne Augen, eine kleine Stupsnase, schöne, geschwungene und vor allem volle Lippen.
Wäre sie nicht so dünn, könnte man sagen sie ist wunderschön...Moment, was? Gott Andrew, hast du es echt so nötig?
Ich ging näher an sie heran, um sie auf zu wecken, doch entschied mich dagegen. Leicht hob ich sie an, um die Decke unter ihr weg zu ziehen. Dann schob ich sie weiter hoch und zur Seite, um mich schließlich auch hin zu legen. Ich drehte mich um, so dass ich sie anschauen könnte. Ich wusste nicht was diese wärme war, die sich in mir ausbreitete. Oder das Bedürfnis, sie näher an mich zu ziehen. Aber ich unterdrückte es, und schloss die Augen.
Ich blinzelte. Irgendwas warmes war neben mir. Etwas, dass sich unentwegt bewegte. Ich schaute herab. Cloe schien wohl unruhig zu schlafen. Sie wälzte sich hin und her, und murmelte unverständliches zeug. Auf einmal schluchzte sie und fing jäh an zu weinen. Reflexartig zog ich sie an mich, wiegte sie leicht und strich ihr über den Rücken. Immer wieder murmelte sie etwas vor sich hin. Plötzlich war sie wach, und hatte sich mit einem Ruck aus meiner Umarmung gelöst. Ich schaute verwirrt in ihre angsterfüllten Augen.
„Cloe? Alles okay?"
Die stille danach war unheimlich. Das einzige was sie tat, war mich an zu starren, als wüsste sie nicht wer ich bin, geschweige denn, was sie in meinem Bett machte. Langsam klärte sich ihr blick und dann schaute sie weg. Sie räusperte sich einmal.
„Ich...hatte einen Alptraum. Tut mir leid wenn ich dich geweckt habe, ich werde dann mal in das Gästezimmer gehen", ihre Stimme hörte sich irgendwie brüchig an, und sie wollte aufstehen. Wie von selbst zog ich sie wieder zu mir.
„Ich glaub kaum, dass du nach einem Alptraum alleine sein solltest. Wenn du willst, kannst du mir erzählen was du geträumt hast", sagte ich, und mich bekam das Gefühl, dass das nur ein Vorwand war. Sie nickte beklommen, und versuchte sich zu entspannen.
„Ich bin ziemlich müde, und du sicher auch", stellte sie fest. Offensichtlich wollte sie nicht darüber sprechen.
„Ja, lass uns schlafen"
Ich war irgendwie neugierig, was für einen Traum sie hatte. Ich wollte wissen was sie bedrückte...aber warum? Ich redete mir ein, es ist die Neugier.
„Andrew?" fragte sie nach einer weile.
„Mhh?"
„Bitte lies meine Akte nicht"
„Okay"
Meine Gedanken kreisten noch eine weile über den wahrscheinlichen Grund, weshalb sie es nicht wollte. Dann schlief ich ein.