1 - Whenua

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Durch die Glaswände meines kleinen Reiches konnte ich auf der einen Seite in den kleinen Jungle meiner Insel gucken und auf der anderen hinaus auf die weite See. Weit hinten am Horizont erstreckten sich die riesigen Betonmauern, die uns "schützen" sollten, aber eigentlich sperrten sie uns nur ein. Neben meiner Insel lag das Forschungslabor und das Trainingslager auf dem größten Flecken Areal unseres Landes. Ich war lange nicht mehr da gewesen. Nicht, dass ich es schlimm fand, aber man hielt mich auf Distanz zu den anderen Tamern, den anderen Bändigern.

Bis auf die Forscher hatte ich seit drei Jahren keinen Menschen mehr gesehen. Mein kleines Reich war von einem riesigen Stahlkäfig umzäunt. Ein Ausbruch war unmöglich und selbst wenn, wohin sollte ich gehen?

Nur in der Nacht konnte ich diesen Anblick genießen, denn am Tag wurde ich unten im Keller untersucht, getestet und auf meine äußersten Leistungen getrimmt.

Das Glas hatte ich nur um mich herum, weil die Forscher festgestellt hatten, dass ich meine Energie aus dem Mondlicht und dem Licht der Sterne zog. Meine Energie bestand in dem Bändigen von Wasser und Wind. Ich konnte sogar kleine Tsunamis erschaffen, von einer Höhe von dreißig Metern, mein höchster hatte um die sechzig gehabt, aber dieser hatte mich auch viel Kraft gekostet. Danach war ich mit meinen körperlichen und seelischen Kräften am Ende gewesen. Meine Familie war, als ich ungefähr vier war, bei dem riesigen Tsunami umgekommen, der einen gesamten Kontinenten verschluckt und Millionen Tote gefordert hatte. Ich konnte mich nicht einmal vage daran erinnern, wie meine Eltern aussahen. Ich wusste auch nicht, wieso ich überlebt hatte. Was vor dem schrecklichen Waisenhaus passiert war.

Durch die Kraft des Windes konnte ich fünfzig Meter hoch springen, wenn es hoch kam auch hundert, und siebzig bis hundert weit, außerdem kleine Wirbelstürme erschaffen und einen Wind erzeugen, der Büsche und Sträucher entwurzelte.  

Mit viel Mühe konnte ich sogar das Wetter ändern. Das war die Station, an der man mich gerade trainierte.

Man hatte mich vor genau sieben Jahren entdeckt. Als sie damals ins Waisenhaus kamen, dachte die kleine, naive damals ungefähr neun jährige Liv, dass jetzt alles besser werden würde. Doch falsch, vor mir lag eine Zeit des Angst und Schreckens. Würde mir jemand anbieten, mich in dieses kleine, dunkle Loch, das sich Waisenhaus nannte, zurück zu schicken, würde ich sofort zusagen und mit ihm gehen. Dazu würde es aber nie kommen.

Die Stahltür in meinem Zimmer wurde aufgeschlagen. Schnell sprang ich vom Bett und stellte mich gerade auf. Ich warf meine hellen, blauen, leicht grünen Haare nach hinten und blickte aufmerksam mit meinen türkisen Augen auf die Tür. Ich wartete darauf, dass das Gesicht des alten, kauzigen Doktor Kelvin auftauchte, doch er kam nicht. Stattdessen steckte ein junger, gut aussehender Mann den Kopf in meinen Raum. Er war etwa fünfundzwanzig und hatte tief dunkelblaues Haar, sein Körper war muskulös gebaut und seine Augen einfach von dem schönsten Meeresblau, das ich je gesehen hatte. Trotz seines anziehenden Aussehens wich ich zurück. Ich hatte mich an alle Gesichter gewöhnt und er passte einfach nicht zu den alten Professoren.

Ich hatte schon vor drei Jahren aufgehört zu sprechen, niemand würde mich je wieder dazu bringen auch nur einen Ton über die Lippen zu bringen. Zum einen, weil nie jemand sich dafür interessierte, was ich zu sagen hatte, zum anderen war meine Stimme das einzige, das ganz mir gehörte. Etwas das ich steuern konnte, wann ich wollte, und nicht sie.

Ich starrte den Mann verunsichert und verängstigt an.

Er kam auf mich zu und riss meine Arme nach hinten, dann schob er nicht die Wendeltreppe herunter, die in den Labortrakt meiner Insel führte. Ich ließ es mit mir machen. Was sollte ich auch anderes tun?

Das dunkle Kellergewölbe war leer. Kein einziger Forscher war hier. Nur er und ich.

"Dann wollen wir mal sehen, was du kannst", er lächelte hinter mir teuflisch, das spürte ich.

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