Kapitel Drei

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Nach einer Weile hatte Kira mich allein gelassen. Wir hatten eine lange Zeit geredet, über die Schule und unsere Narben. Sie hatte mir erzählt, dass jeder Schüler auf der Academy irgendwo ein Brandmal hatte und zufälligerweise hatte auch jeder Schüler hier, bei einem Feuer alle Verwandten verloren. Ich war skeptisch. Es konnte doch kein Zufall sein, dass ausgerechnet diese Schüler hier her kommen würden. Kira jedoch hatte mir groß versichert, dass es keinen Grund zur Sorge gebe. Diese Schule sei angeblich erbaut worden, damit wir uns nicht ausgegrenzt fühlten oder ähnliches. Hier waren alle gleich.

Ich saß in meinem Zimmer, noch immer auf dem Bett und starrte an die Decke. Mir wurde alles zu viel. Das Gefühl, mein Kopf würde rauchen und bei der nächsten Sache, die ich mir merken musste, explodieren, war noch immer nicht verschwunden. Die Enge, die jedoch anfangs auf meiner Brust gelastet hat, war wie weggeblasen. Mit geschickten Bewegungen durchforsteten meine Finger den Papierstapel, den ich noch immer auf meinem Bett neben mir liegen hatte. Endlich fand ich den Zettel, auf dem in großer Schrift Zimmerwünsche drauf stand. Kira hatte mir einen Kugelschreiber dagelassen, wofür ich ihr wirklich dankbar war. Stifte gab es hier keine. Eines der Schulbücher benutzte ich als Unterlage und begann zu schreiben. Schwarze Wandfarbe, dunkles Parkett (vorzugsweise ebenfalls schwarz), älterer Schreibtisch, Bücherregale und die Bücher aus meinem alten Zimmer, mein altes Bett... Ich wusste nicht mehr, was ich noch aufschreiben sollte, obwohl ich noch so viele Ideen hatte. Als würde mich etwas daran hindern. Ich packte die Liste zur Seite. Mein Blick wanderte zu dem kleinen Nachtisch, auf dem in meinem alten Zimmer immer ein Bild von meiner Mum, meinem Bruder und mir gestanden hatte. Es war nicht da. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen und ich musste schlucken. Diese Stille machte mich fertig. Wie von einer Tarantel gestochen sprang ich auf und rannte aus dem Zimmer, wobei die Tür laut hinter mir ins Schloss fiel. Ich musste ein Telefon finden. Sofort. Noch immer in meinem weißen Schlafanzug (wer zum Teufel hatte mir den eigentlich angezogen?) rannte ich die Treppen hinunter, begleiten von der Angst, jederzeit runter zu fallen. Leider hatte ich keine Ahnung wo ich überhaupt hin musste. Es war inzwischen zwei Uhr nachmittags, das bedeutete, dass ich nicht einmal Glück haben konnte, nicht von Schülern gesehen zu werden. Trotzdem hoffte ich, dass niemand mich sah. Vergeblich. Ich bog ab, um eine Ecke und wurde plötzlich von den Füßen geschleudert. Mein Kopf flog nach hinten und ich landete unsanft auf dem Parkettboden. „Kannst du nicht aufpassen?!" Ein Junge mit dunklen, eher schwarzen Haaren schrie mich an und sah herablassend auf mich herunter. Sofort erkannte ich diese blauen Augen. „Ent-entschuldige, ich-", begann ich, wurde jedoch bereits wieder unterbrochen. „Nur weil du neu bist, heißt das nicht, dass du hier einfach rumrennen darfst." Seine Stimme brachte mich dazu, dass sich meine Nackenhaare aufstellten. „Ich suche nur ein Telefon!" Ich hatte nicht vorgehabt, so zu schreien, doch aus irgendeinem Grund entlud ich alle meine angestauten Gefühle des heutigen Tages gerade jetzt. Als hätte der Zusammenstoß mit ihm eine Schleuse geöffnet. Die blauen Augen sahen mich einige Minuten lang nur an, während ich noch immer auf dem Boden lag, zu ihm hoch sah. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Immer mehr Zeit verging und irgendwann runzelte ich die Stirn. Daraufhin warf er den Kopf nach hinten und brach in schallendes Gelächter aus. „Wieso lachst du?" Leider ließ er sich nicht unterbrechen. Weitere Minuten danach wischte er sich gespielt eine Träne von den Augen und blickte mich unverwandt an. Seine Stimme war wieder kühl, man erkannte keine Spur des herzhaften Lachens darin wieder, als er sprach: „Du bist echt ein hoffnungsloser Fall... Hier in der Academy gibt es keine Telefone." Meine Augen rissen sich wie von selbst auf. Es gibt keine Telefone? Aber wie soll ich denn meine Eltern anrufen?, schoss es mir durch den Kopf. Der Vertrauensschüler stand noch immer über mir und sah auf mich herab. Mit einer kurzen aber gezielten Bewegung versuchte ich ihn von mir wegzustoßen. Genau so gut hätte ich versuchen können den Mount Everest zu versetzen. Er rührte sich kein Bisschen. Noch immer war der kalte Ausdruck in seinem Gesicht und seinen Augen zu sehen. Langsam fing ich echt an, den Jungen zu vermissen, der mich ausgelacht hatte. „Wie heißt du?", fragte ich deswegen und versuchte mich unauffällig unter ihm wegzuschieben. Zwar hatte ich nicht gedacht, dass das ginge, aber sein Gesichtsausruck verfinsterte sich und er zog die dunklen Brauen zusammen. „Ich wüsste nicht was dich das angeht." Er betonte das 'dich' ganz besonders, als würde er es ausspucken. Am liebsten hätte ich etwas entgegnet, bekam meinen Mund aber nicht auf. Anscheinend schien das den Fremden zu amüsieren, denn auf seinen kalten Ausdruck schlich sich ein Grinsen. So schnell es auch gekommen war, so schnell war es leider auch wieder fort gewischt worden. Ich mochte sein Lächeln. Es bildeten sich leichte Grübchen wenn er lächelte und – was? Er hat dich gerade beschimpft und jetzt findest du seine Grübchen süß? Hör auf!, ermahnte ich mich und biss mir auf die Lippe. „Wie heißt du denn jetzt?", wollte ich ein weiteres mal von ihm wissen. Erneut machte ich mich auf seine Wut gefasst, die er mir entgegenschleuderte. Nichts. „James", brummte er dann nach wenigen Sekunden, „James Bordeaux." Als war er der Sohn von der Schulleiterin. „Lässt du mich jetzt bitte geh'n? Ich möchte zurück auf mein Zimmer." Seltsamerweise blinzelte er, als hätte ich ihn gerade aus dem Schlaf geholt. Auf meine Bitte hin ging er von mir weg, fixierte mich noch ein letztes Mal mit seinen unglaublich blauen Augen und verschwand durch eine Tür. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich die Luft angehalten hatte, bis ich keuchend auf dem Boden lag. Bevor mich jemand so sehen konnte, rappelte ich mich auf und bahnte mir meinen Weg durch weitere Gänge. Ich wusste nicht mehr wo ich war, als ich mich erneut umsah. Wie James es mir vorausgesagt hatte, befand sich kein einziges Telefon in der Acadmy. Ich hatte alles abgeklappert. Abgesehen von einem Ort. Es dauerte nicht lange, da hatte ich einen Plan des Schulgebäudes an einer Wand gefunden, eingerahmt. So gut wie möglich versuchte ich mir den Weg zu merken und lief durch die Gegend wie der letzte Trottel. Mein Navigationssystem in meinem Kopf war leider noch nie so gut gewesen wie das meiner leiblichen Mutter. Nach einer viel zu langen Zeit, leider hatte ich keine Uhr dabei, weil ich mich sonst immer auf mein Handy verlassen hatte, fand ich dann eine schwarz lackierte Tür an der ein goldenes Schild mit der Inschrift Rektorin Bordeaux hing. Mit zitternden Händen klopfte ich auf das Holz und wartete auf eine Antwort. Schweigend lauschte ich etwas an der Tür. Im Raum herrschte viel Tumult, was mich doch etwas wunderte. „Adaline Wellington ist anders als die Anderen, wie ihr hier sehen könnt. Meine Freunde, ich denke, dass wir dieses Mal den Durchbruch schaffen und -", ertönte die Stimme der Direktorin, aber sie unterbrach sich, „Das muss mein Sohn sein. Herein!" Sie reden über dich!, schrie jeder Muskel in meinem Körper. Mit schwitzenden Händen öffnete ich die Tür. Der Raum war dunkel, trotzdem konnte ich sehen, wie geräumig er war. Ein großer 'Monitor' hing an der Wand und darauf war ein Röntgenbild eines Kopfes. Rechts in der Ecke konnte ich meinen Namen leicht lesen, wenn auch schwer aber es gab keinen Zweifel. Sie hatten mein Röntgenbild von dem Tag des Unfalles hier. Genau wie ich waren alle geschockt, doch ich war es wegen dm Bild. Der Rest, weil ausgerechnet ich im Raum stand. Was war hier los? Ich rannte aus dem Raum, ließ die Tür hinter mir zufallen und verriegelte sie mit einem Stuhl, den ich in einer Ecke fand. Sie kamen nicht raus. Die Klinke wackelte, als sie versuchten die Tür zu öffnen, aber dann auf Widerstand trafen. So schnell ich nur konnte rannte ich davon. Zwar wusste ich nicht wohin, aber ich rannte.

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