Ausgeatmet

11 1 0
                                    

26

Alles geht vorbei, das hat meine Mama immer gesagt.

Das nächste halbe Jahr war so viel leichter. Dank dir.

Und dann, als ich es nicht mehr zu hoffen gewagt hätte, nie niemals, dann hast du mir alles ermöglicht. Eines Nachts hattest du ein Messer bei dir, ich nahm es aus deinen knochigen Fingern und lächelte, du hast genickt, gelacht und mich angesehen. Du hast mir Kraft gegeben.

Er kam durch die Tür, ich stellte mich schlafend. Er kam zu mir. Ich ließ ihn, sollte er doch seinen Spaß haben, ich befahl ihm, sich hinzulegen. Er lag unter mir, unterwarf sich mir, und als ich mich vorbeugte, griff er nach meinem Kopf und zog mich zu ihm. Und ich griff auch, aber nicht nach ihm. Ich griff nach dem Polster, fasste darunter. Meine Finger umklammerten die Klinge. Ich zog das Messer. "Gute Nacht" murmelte ich. Dann ließ ich ihn einschlafen, für immer.

Ich öffnete deine Klappe, meine Händen hinterließen blutige Abdrücke auf dem Metall. Du hast mich angelacht, mir die Hand gereicht. Du hast einen Schlüssel hervorgezogen, hast mich zur Tür geführt und aufgeschlossen. Hand in Hand sind wir die Stiegen hinaufgegangen, du hast mich gehalten.

"Geh immer zur Straße, dort finden sie dich irgendwann!" hat Saskia gepredigt.

Wir standen am Straßenrand, Hand in Hand. Ein Auto kam, du gabst mir einen Stoß und ich sprag auf die Straße, winkte dem Fahrer, der sofort bremste und ausstieg. Schockiert starrte er mich an, kein Wunder, mein verfilztes Haar reichte mir zum Po, ich war dreckig und in eines seiner großen, weißen T-Shirts gehüllt. Es hatte rote Flecken, Blut. Es klebte an mir wie du.

"Mein Name ist Clara Warschbach. Ich wurde entführt, bitte bringen Sie mich zur Polizei." sagte ich seelenruhig. Du hast diese Ruhe ausgestrahlt. Er setzte mich auf die Rückbank, du stiegst neben mir ein, er hat dich gar nicht beachtet, gesprochen hast du ja auch nichts. Wie immer.



27

Die Polizisten haben mich dann in  ein Zimmer getsteckt und meine Eltern angerufen. Währenddessen fragte mich eine Polizistin aus, och antwortete ruhig und klar. Du warst nicht da, ich war besorgt, doch ich wollte hier raus. Nach dem Gespräch durfte ich duschen und bekam ein Paar enge, schwarze Jeans und einen grauen Wollpullover. Auch Schuhe gaben sie mir, weiße Turnschuhe, die nagelneu aussahen.

"Nehmen Sie sie mit" meinten die zu meinen Eltern. "Clara sollte ursprünglich in eine Klinik eingewiesen werden, doch ihr Zustand ist einwandfrei. Sie wird einen Psychologen haben, doch Sie können sie mitnehmen."

Meine Mutter umarmte mich schluchzend und in diesem Moment war meine ruhige, gelassene Art dahin. Ich stürzte mich auf sie, umklammerte sie, damit mich keiner von ihr wegnehmen konnte.

Mein Zimmer war weg. Es war nur noch weiß, ein fremdes Bett stand darin, ein schwarzer Kasten und schwarze Vorhänge zierten den kahlen Raum. "Wir mussten es umgestalten. Ich hab es nicht ausgehalten, jeden Tag daran vorbeizugehen und alles unverändert zu lassen." schluchtzte meine Mutter. "Is ok" sagte ich kalt und betrat das Zimmer. Ich schloss die Tür, ich brauchte Zeit allein. Komisch, nachdem ich ewig allein gewesen war.

Ich legte mich hin, die Uhr zeigte 15:36.


Let me goWo Geschichten leben. Entdecke jetzt