Drei

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Mutanten, Monster, Unholde ... Die Ausdrücke flossen durch Freyas Gedanken wie Flüche. Die Veränderten hatten viele Namen. Sie waren die Geißel des 21ten Jahrhunderts, der Tropfen der das Fass einer sich zu schnell verändernden Welt zum Überlaufen gebracht hatte, der all dieses Grauen entfesselt hatte.

Sie war noch nicht geboren, als die Welt am 21.01.2024 vom Erscheinen des Chimära-Virus erschüttert wurde, doch litt wie jeder andere seither unter seinen Auswirkungen. Chimära hatte die Realität neu definiert und die Menschheit daran erinnert, warum sie die Nacht fürchtete. Weshalb Märchen und Legenden aus allen Epochen und Ländern von den gleichen Sagengestalten erfüllt waren.

Weil sie der Wahrheit entsprachen.

Im Zuge einer weltweiten Pandemie, möglich gemacht von einer bisher nie dagewesenen Mobilität und Vernetzung, infizierte und veränderte der Chimära-Virus eines von zehn Lebewesen. Tief in der DNA verschüttete genetische Sequenzen wurden aktiviert und Menschen und Tier verwandelten sich in Wesen aus Legenden. Geschöpfe, die oft vor Hunger schreiend in die Welt geboren wurden, kaum dazu in der Lage sich zu kontrollieren ...

Die Medien waren schnell diesen Mutationen alte Namen zu geben, so dass man ihnen mit neuer Angst begegnen konnte ... Wendigos, Vampire, Zombies, Werwölfe, nur um einige zu nennen. All dies war genug gewesen um die Welt in neue Tiefen des Chaos zu stürzen, um Hass, Fremdenfeindlichkeit und religiösen Wahnsinn ungeahnten Ausmaßes aufflammen zu lassen. Der Große Krieg – ein nicht enden wollender, weltweiter Rassenkonflikt folgte. In der Tat war es ein Wunder, dass jemand nicht früher auf den roten Knopf gedrückt hatte.

Freya wollte schreien, um ihrem Hass gegen die Veränderten Luft zu machen. Sie würde lieber im weißen Licht der Atombomben vergehen, als ihr Glück den gleichen Dämonen anzuvertrauen, die ihre Familie ermordet hatten. Wenn sie ihre Augen schloss, sah sie noch immer die blutbespritzten Körper ihrer Eltern vor sich: vom Schock verzerrte Gesichter, gebrochene Knochen, ausgeweidet und zerrissen.

Die Bilder trieben Freya an und ihre langen Beine fraßen die Meter, als sie eine geisterhaft leere Straße entlang sprintete. Das Knallen ihrer Stiefelabsätze hallte über den Asphalt. Sie war sich nur halb gewahr, wohin sie rannte und ignorierte Antons Schreie, war aber beruhigt das er ihr hinterherlief. So egoistisch es auch war, sie wollte nicht ohne ihn in das Dunkel gehen.

Doch die Dunkelheit wartete bereits, als sie um die nächste Ecke bog und sich in einer Schlachthausszene wiederfand: zerrissene Körper, abgedrehte Arme und Köpfe, tote Augen, in denen der von Flammen rote Himmel glitzerte. Blut schien überall, brachte die Straße zum glänzen, wie frisch gefallener Regen – und inmitten dieser Szene, saß und fraß die Geißel ihrer Existenz.

Ein Veränderter: Humanis Lupus Maximus – scherzhaft von den Medien als Großer Böser Wolf bezeichnet. Ein Werwolf. Freya fand nichts an der gewaltigen Bestie, die knapp 10 Meter von ihr entfernt auf der Straße zwischen einem Haufen zerfleischter Soldaten kauerte, zum Lachen. Mehrmals hatte sie Bilder von dieser Mutation gesehen. Filmaufnahmen. Sogar lebensechte Hologramme. Nichts kam der Realität gleich.

Der Werwolf war enorm, eine schreckliche Mischung aus Mann und Tier mit langen sehnigen Armen und Beinen. Die Hüften waren schmal, was den massigen Brustkorb nur noch enormer wirken ließ, der bestialische Schädel größer als der eines Preisstiers. Massive Muskeln arbeiteten zuckend unter dem nachtschwarzen Fell, als das Ungetüm versuchte den Panzer eines auf dem Boden liegenden Soldaten in Teutonen-Rüstung zu knacken.

Freya war schockiert zu sehen wie klein der Teutone im Vergleich zu dieser Bestie wirkte. Die Medien hatten diese neuen Spezialeinheiten des Militärs als Panzer in menschlicher Form angepriesen, als Wunderwaffe im Kampf gegen die Veränderten. Die voll-mechanisierten Exo-Skelett-Rüstungen waren mittelalterlichen Harnischen nachempfunden und für den Nahkampf mit Veränderten gebaut worden. Sie sollten die körperlichen Vorteile der Monstren ausgleichen und Furcht in die Herzen der Veränderten pflanzen, die sich ihren Verstand bewahrt hatten. Ein Teutone in voller Rüstung war furchteinflößend anzuschauen: weit über zwei Meter groß, eine halbe Tonne schwer und stark genug um einen Wagen umzuwerfen. Man sagte es brauche eine Panzerfaust um die schwarzen Rüstungen zu durchschlagen. Freya war geschockt zu sehen, dass die Klauen und Zähne eines Wesens aus Fleisch und Blut dazu ebenfalls in der Lage waren.

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