»Kein Problem. ›Divinus‹ bedeutet ›göttlich‹. Wir sind Abkömmlinge von göttlichen Wesen. Wir tragen die Essenz der Götter in uns. Sie schenkt uns eine Gabe, die ab dem sechszehnten Lebensjahr in uns erwacht. Daher wussten wir vorher nichts von dir und konnten dich erst lokalisieren, als du deine Essenz eingesetzt hast.«
Nun hatte er wirklich kein Blatt vor den Mund genommen, das war dann doch eine Neuigkeit; ob sie es nun glauben konnte oder nicht. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte sie keine großen Probleme, seine Worte ernst zu nehmen. Loreen hatte sich schon immer anders gefühlt. Seit sie klein war, liebte sie Bücher über Fantasiegeschichten und sie hatte nie verstanden, warum die Figuren in den Geschichten sich so lange nicht eingestehen konnten, dass sie anders waren. Und hatte sie nicht erst vor kurzem eine übernatürliche Erfahrung gemacht, als sie gesungen und gefühlt hatte, dass eine geheimnisvolle Macht im Spiel gewesen war? – Vielleicht war genau das diese ›Gabe‹, von der Slash gesprochen hatte? Warum sollte sie sich nun quer stellen, wenn das hier die einzige Erklärung für das beängstigende Phänomen war? Die Alternative dazu war weniger prickelnd und würde bedeuten, dass sie verrückt wurde. Oder war sie in der Zwischenzeit durch den Tod ihrer Eltern so abgestumpft, dass so eine Offenbarung sie vollkommen unbeeindruckt ließ?
Nach längerem Zögern fragte Slash sichtlich verdutzt in die Stille hinein: »Alles okay? Hast du nicht verstanden, was ich dir erklärt habe? Es ist schwer zu verstehen, aber ...«
Sie musste wohl länger in Gedanken versunken gewesen sein und geschwiegen haben, als ihr bewusst war. Dennoch schnitt sie ihm erbost das Wort ab: »Danke, mir geht's gut und ich habe dich gehört. Ich bin nicht taub und auch nicht dumm, ich habe es verstanden.«
Sie hatte keine Ahnung, wo dieser Zorn herkam, doch sie konnte ihn nicht im Zaum halten. Plötzlich wollte sie sich streiten und all ihre Gefühle, die sie bisher zurückgehalten hatte, rauslassen. In diesem Moment war es pure Wut. Sie hatte sich seit Ewigkeiten nicht mehr gefetzt und nun war es das einzige, was sie tun wollte. Das Heulen war sie leid, vom stummen Herumlaufen hatte sie die Nase voll - sie wollte nur noch schreien, schreien, schreien – und um sich schlagen. Seine idiotische Frage, ob sie verstanden hatte, machte sie wütend, hatte sie angezündet, wie Flammen ein Streichholz. Jetzt brannte sie lichterloh.
Slashs Miene verfinsterte sich, aber das machte ihr keine Angst. Sie freute sich dummerweise darauf und stachelte ihn weiter an: »Was ist jetzt. Hat es dir die Sprache verschlagen, weil ich kein dummes, kleines Mädchen bin, das nicht mit der Wahrheit umgehen kann?«
»Ich ... Was? Das habe ich nie behauptet! Du verhältst dich nicht, wie wir es erwartet haben, das ist alles. Ich wollte sichergehen, dass du verstanden hast ...«
Wieder unterbrach sie ihn: »Ist schon gut, ich kann mir vorstellen, was ihr von mir denkt. Danke auch! Aber ich bin kein unschuldiges, kleines Kind mehr und ihr braucht mir nicht zu sagen, wie ich zu reagieren habe! Oder wie ich mich fühlen soll. Ich ...«
Slash ballte seine Fäuste, blieb aber sitzen, als er verächtlich schnaubte: »Aber so verhältst du dich - wie ein kleines Kind! Was ist in dich gefahren? Wir haben dir nichts getan, wir wollen dir helfen.«
Vielleicht hatte er sogar Recht, aber Wut brauste durch ihren angespannten Körper, schoss ungebremst durch ihren Mund und entlud sich in einem Schrei: »Verdammt! Hör auf! Spar dir das! Ihr seid nur ein paar Jahre älter als ich, also sag nicht Kind zu mir! Ihr ... ihr Heuchler!«
Das klang sogar in ihren Ohren lahm, aber etwas Besseres war ihr gerade nicht eingefallen. Doch es bewirkte, was sie wollte – Slash wurde noch wütender. Er schlug mit der flachen Hand auf den Boden und sprang hoch. Loreen hüpfte ebenfalls auf und als sie sich gegenüberstanden, setzte er mit kalter Stimme an: »Bei Hades! Ich bin ein Heuchler? Das ist nicht dein Ernst! In Wahrheit bin ich Dreißig! Ich habe vergessen, dass du so jung bist, wie du aussiehst!«
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Essenz der Götter I - XXL Leseprobe
FantasyLoreen hat nach dem Tod ihrer Eltern alles verloren. Sie wird aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen, von ihrem Freund getrennt und in ein Waisenhaus gesteckt. Seitdem lässt das rebellische Mädchen mit den violetten Haaren niemanden mehr an sich her...