Nach ein Paar Stunden wachte der Beta wieder auf. Erst blinzelte er nur ein paar Male, dann fokussierte sein Blick sich auf Derek. „W-warst du die ganze Zeit hier?" Derek nickte nur. Isaacs Stimme hörte sich immer noch heiser an.
Derek wartete erst bis Isaac vollständig aufgewacht war und sich im Bett hinsetzen konnte. Noch immer seine Hand haltend sagte er schließlich: „Wir müssen reden." Sofort senkte Isaac den Blick und Derek sah, wie er die Schultern hochzog. Es tat ihm weh, seinen Beta so zu sehen. Ob „Wir müssen reden" bei Mr. Lahey wohl immer in Schlägen geendet hatte? So wie Isaac aussah, ja.
Derek drückte Isaacs Hand. „Isaac, entspann dich. Ich tue dir nichts." Ein hoffnungsvoller Blick nach oben. Derek seufzte und setzte sich in eine bequemere Position. „Ich will nur, dass du offen mit mir bist. Ich bin nicht blind, Isaac. Ich kann sehen, wie du zusammenzuckst, dich duckst, die Angst in deinen Augen. Aber ich verspreche dir, ich werde dir nicht wehtun. Ich will nur mit dir reden, okay?"
Isaac nickte und sah wieder zur Seite. „Du kannst es mir ruhig einfach sagen, Derek." Verwundert zögerte Derek kurz. Dann fragte er: „Was sagen?"
Isaac sah wieder zu ihm, Tränen schimmerten in seinen Augen. „Ich weiß, wie kaputt ich bin und ich weiß auch, dass ich alles falsch mache, und es ist okay, wenn du mich nicht mehr dahaben willst, das will niemand. Ich weiß, dass ich dich nur enttäusche und... und..."
Der letzte Teil wurde von einem herzzerreißenden Schluchzen verschluckt. Ein paar Moment war Derek völlig aus dem Konzept gebracht. War das wirklich, wie Isaac dachte? Dass Derek ihn nicht mehr hier haben wollte? Und alles andere was er gesagt hatte? Hatte er wirklich eine so geringe Meinung von sich selbst?
„Isaac, sieh mich an, sieh mich an!" Er nahm das Gesicht des Jüngeren in beide Hände. Der gebrochene Blick in den wunderschönen blauen Augen versetzt ihm einen Stich im Herzen. „Isaac, das stimmt nicht. Wieso denkst du, ich würde dich nicht mehr hier haben wollen?"
„W-weil du doch noch erkannt hast, dass ich das alles nicht wert bin, und dann hast du mich weggeschickt..." Das Schluchzen war jetzt kontrolliert, kein wildes Durcheinander. Derek schüttelte bekümmert den Kopf. „Das ist nicht wahr. Isaac, wieso denkst du nur so? Du bist nicht wertlos, und auch keine Enttäuschung. Ich hab dich nicht weggeschickt, weil ich dich loswerden wollte."
Verwirrung stand Isaac ins Gesicht geschrieben, als er seinen Alpha fragend ansah. Derek seufzte und strich ihm die Tränen von den Wangen. „Ich hatte ein geheimes Treffen mit einer Alphawölfin aus einer anderen Stadt. Sie wollte absolute Diskretion und hat mich deshalb aufgefordert, dich für diese Nacht wegzuschicken. Ich hab mich zuerst geweigert, und meinte, sie könne das Treffen unter diesen Bedingungen ganz vergessen. Aber ihr war das Treffen ziemlich wichtig und sie fing an mir zu drohen."
Derek seufzte und griff in seine Jackentasche, holte sein Handy heraus. Dann zeigte er Isaac Bilder. Es waren Bilder von Isaac. Viele Bilder von Isaac. Isaac auf dem Weg zur Schule. Isaac in der Schule, durchs Fenster fotografiert. Isaac in der Stadt. Isaac an der Tankstelle. Und immer mehr.
Schließlich steckte Derek sein Handy wieder ein. Isaac sah etwas fassungslos aus. „Sie... sie hat mich verfolgen lassen? Aber wieso?" Derek legte den Kopf schief. „Ist das nicht offensichtlich? Isaac, sie hat mir gedroht, dich entführen zu lassen, wenn ich dich für diese Nacht nicht freiwillig aus dem Haus schicke. Ich wollte dich beschützen, das ist alles. Es tut mir leid, dass das hier jetzt alles geschehen ist. Ich dachte, du würdest zu Scott gehen, wie letztes Mal."
Isaac sah ihn geschockt an, brachte keine Worte hervor. Dann begann er zu husten und der Ausdruck von Schmerz erschien auf seinem Gesicht. Derek wartete geduldig, bis der Hustenanfall vorbei war.
Dann schenkte er Isaac aus der Thermoskanne, die immer noch dort stand, Tee ein und reichte ihm die Tasse. Isaac brachte ein „Danke" hervor und begann zu trinken. Nicht mehr heiß, aber immerhin noch warm.
„Ich wollte dich nicht loswerden", fuhr Derek jetzt ganz sanft fort. „Vergiss diesen Gedanken, Isaac, ich würde dich nie einfach so wegschicken. Und ich weiß nicht, was dein Vater dir eingeredet hat..." Bei der Erwähnung seines Vaters zuckte Isaac deutlich zusammen, aber Derek drückte beruhigend seine Hand
„Keine Angst, Isaac, er kann dir nicht mehr wehtun. Ich weiß, er hat Spuren hinterlassen, aber ich werde dir helfen, okay? Du musst da nicht alleine durch. Was auch immer er dir eingeredet hat, es ist nicht wahr. Jeder macht mal Fehler, aber das heißt nicht, dass du automatisch alles falsch machst."
„Aber er hatte doch Recht", meinte Isaac etwas unsicher. „Ich bin schwach. Ich hab mich nie richtig gewehrt, ich hab mir nie Hilfe geholt, ich war feige." Derek schüttelte den Kopf. Es machte ihn wütend, dass Mr. Lahey es geschafft hatte, das alles so tief in Isaacs Kopf zu brennen.
„Nein, du bist nicht schwach. Du hattest Angst, ja. Du hattest Angst, alleine zu sein. Aber du warst nicht schwach. Wenn du schwach gewesen wärst, hättest du all diese Jahre nie überstanden. Wenn du schwach gewesen wärst, Isaac, dann würdest du nicht mehr hier vor mir sitzen.
Und Angst ist auch nicht Schwäche. Alles, wovor du zurück zuckst, wovor du dich versteckst... das ist nicht deine Schuld. Er hat dich dazu gebracht, vor bestimmten Bewegungen oder lauten Geräuschen Angst zu haben. Das was er getan hat, das verursacht deine Angst. Aber das ist weder schwach noch deine Schuld."
Isaacs Unterlippe zitterte und er brauchte sichtlich viel Überwindung, das zu sagen, was er offensichtlich sagen wollte. Sein Atem kam wieder kurz und abgehackt. „I-ich... ich..." Dann schüttelte er nur den Kopf und sah Derek direkt in die Augen. „Bitte, Derek, hilf mir."
Derek hätte schwören können, sein eigenes Herz brechen zu hören. Er streckte die Arme aus und zog Isaac in eine feste Umarmung, hielt ihn an sich gedrückt. Und zu seinem Überraschen erwiderte Isaac die Umarmung. Er schlang zögernd die Arme um Dereks Hüfte und vergrub das Gesicht an der Schulter des Alphas.
„Ich werde dir helfen", flüsterte Derek ihm ins Ohr. „Keine Angst, ich lasse dich niemals fallen. Du bist großartig, Isaac, eines Tages wirst du das selbst erkennen. Und wenn ich es dir jeden Tag hundert Mal sagen muss, bis du es verstehst."
„A-aber... wieso tust du das für mich?", fragte Isaac erstickt. Derek schob ihn ein Stück zurück und sah ihm direkt ins Gesicht. „Weil du es wert bist. Und weil du es verdienst, wieder glücklich zu sein. Du hast es ein schönes Lächeln, Isaac, und ich hoffe, es so oft wie möglich sehen zu dürfen."
Die Tränen hörten nicht auf, über Isaacs Gesicht zu strömen, aber jetzt war es etwas anderes. Isaac weinte, weil noch nie in seinem Leben jemand etwas so Schönes zu ihm gesagt hatte. Er vertraute Derek, und im Moment ging in seinem Herzen wieder eine Sonne der Hoffnung auf.
Derek spürte, was in Isaac vorging, und er war glücklich, seinem Beta wieder Kraft zu geben. Dann fragte er leise: „Und weißt du, wo dieses Lächeln hingehört?" Isaac sah ihn fragend an, und bevor er gucken konnte hatte Derek sich herunter gebeugt und ihm einen Kuss auf die Lippen gegeben. „Genau hier", flüsterte er.
Es wäre untertrieben zu sagen, Isaac wäre überrascht gewesen. Zuerst wusste er überhaupt nicht, was er sagen sollte. Dann sah er in Dereks schöne Augen und in dem Moment war es ihm zum ersten Mal alles egal, plötzlich spürte er, dass es möglich war, dass er es schaffen konnte mit seiner Vergangenheit abzuschließen.
Was hielt ihn dort, wenn er hier in der Gegenwart Derek hatte? Es würde Zeit brauchen, aber die hatte er doch. Und dann beugte er sich vor und küsste Derek noch einmal. Dieser lächelte und strich Isaac eine dunkelblonde Locke aus der Stirn. Dann sagte er ganz leise: „Du bist es wert, Isaac. Egal, was kommt. Du bist es wert. Alles." Und dann begann Isaac wieder zu weinen.
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Das hier war das vorletzte Kapitel! Ich hoffe, es hat euch gefallen.
Feedback wird wie immer freudig entgegen genommen! :)
Danke an die Kommentare von #OrangeApfel und #rosenroteBlume im letzten Kapitel!
Go back to reality. Stay yourself.
Eure StreetSoldierin
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Wolves need Wings
FanfictionAls Derek Isaac erneut vor die Tür setzt, weiß dieser zuerst überhaupt nicht, was er tun soll. Er kann nirgendwo hin. In seiner Verzweiflung sucht er sein altes Haus auf, doch das bringt alte Erinnerungen hoch. Am nächsten Morgen findet Derek seinen...