Peter Pan

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Ihr war kalt. Das Fenster war weit offen, die Nachtluft ließ sie frieren, doch sie dachte nicht daran es wieder zu schließen. Sie hatte es nie wieder geschlossen und sie würde auch nicht zulassen, dass das jemand anderes tat, egal wie kalt es war. Er hatte sie geholt und aus ihrer Welt gezogen, vielleicht würde sie irgendwann einen Weg zurück finden. Wendys Blick war starr hinaus in die klare Nach gerichtet. Der Nachthimmel war dunkel, die Sterne glitzerten zu tausenden. Wie sollte sie da den zweiten Stern finden?

Ihre Hände begannen zu zittern, als sie daran dachte. An ihn. Eines Nachts war er in ihrem Zimmer aufgetaucht, hatte über ihr geschwebt wie ein magisches Feenwesen, er hatte sie sofort verzaubert. Dann hatte er ihr erzählt woher er kam. Sie hatte angeboten ihm seinen Schatten wieder anzunähen. Sie warf einen Blick nach rechts. Da wusste sie noch nicht, dass dieser Schatten sie von diesem Moment an für immer verfolgen würde. Er trieb sie langsam in den Wahnsinn.

Er hatte ihr erzählt woher er kam, hatte ihr gesagt, dass es dort keine Mädchen gab, hatte gesagt, dass Mädchen viel zu schlau waren, um aus dem Kinderwagen zu fallen. Wendy war wie verzaubert. Ihre Finger krallten sich fester um die Lehne ihres Stuhls, als die Erinnerungen wieder auf sie einstürmten. Er wusste nicht was ein Kuss war. Sie hatte das gewundert, doch da hatte sie noch nicht gewusst, dass er auch nicht wusste was Liebe war. Oder Mitgefühl.

Immer verkrampfter umklammerte sie die hölzernen Armlehnen, immer angestrengter versuchte sie das Flüstern des Schattens neben ihr zu ignorieren, jedoch ohne Erfolg. Er hatte ihr gesagt sie sollte alles vergessen und mit ihm kommen, dahin, wo sie nie, nie wieder jemand mit erwachsenen Sachen quälen würde. Sie würde nie erwachsen werden müssen.

Wendys Knöchel waren inzwischen weiß wie Schnee, ihr Gesicht war zu einer angespannten Fratze verzogen. Wenn sie damals doch nur gewusst hätte, was das bedeutete. Sie kam mit ihm. Wendy wünschte sich nichts sehnlicher, als das nicht getan zu haben. Sie ließ sich von ihm das Fliegen beibringen und legte sich so ihre eigenen Fesseln an. "Man muss nur fröhliche Gedanken haben", meint er "die heben euch in die Lüfte!".

Sie musste an Michael und John denken. Ihnen hatte er ebenfalls das Fliegen beigebracht. Aber nicht, wie man damit wieder aufhört.

Ihr Herz tat einen schmerzhaften Schlag, ihre Muskeln spannten sich an. Sie erinnerte sich nur zu gut an ihr Begräbnis. Zwei kleine Kindersärge, säuberlich nebeneinander aufgereiht. Er war schuld daran, er hatte gelacht und gelacht, als die zwei nicht wussten, wie sie wieder auf den Boden zurückkommen sollten. Er hatte zugesehen, wie sie abstürzten. Er hatte sie getötet.

Wendy zwang sich zu atmen. Es war als schnürten ihr die Erinnerungen die Luft ab. Damals wusste sie noch nicht, dass sie an ein Monster geraten war. Sie war fasziniert von dem selbstbewussten Jungen, der scheinbar keine Sorgen hatte. Er lockte sie mit Geschichten von Piraten, Indianern und Meerjungfrauen. Und weil Wendy Geschichten liebte fiel sie darauf hinein. Sie hob ab und flog davon, schon dabei alles zu vergessen, was sie hinter sich gelassen hatte.

Ihr Atem kam nur noch in Stößen, es fiel ihr schwer Realität und Erinnerung auseinander zu halten. Er hatte alles zerstört.

Zuerst war es lustig, ja fast wie ein Spiel. Peter sah alles als Spiel. Wie sollte er das auch nicht tun? Er konnte ja nicht erwachsen werden. Wendy ließ sich auf sein Spiel ein und begleitete ihn ins Nimmerland. Es war alles, was sie sich je erträumt hatte, besser als jede Geschichte, die sie sich je ausdenken konnte. Immer schneller verblasste die Erinnerung an ihre Mutter, an ihr Zuhause. Nie kam ihr in den Sinn, dass sie vielleicht nie mehr zurückkehren würde können.

Die Erinnerungen, die sie noch hatte waren verschwommen und unklar, sie wusste nicht mehr wirklich wie ihre Mutter aussah.

Das erste Mal, an dem sie sich über Peter wunderte war, als sie die Meerjungfrauen besuchten. Sie war sofort in ihren Bann gezogen, Wendy wollte schon immer mal echte Meerjungfrauen sehen. Nie hätte sie sich gedacht, dass sie sie in ihr Reich ziehen und versuchen würden sie zu ertränken. Wendy hatte zum ersten Mal um ihr Leben gekämpft und Peter hatte nur lachend zugesehen. Erst als ihm ihre Schreie zu langweilig wurden hatte er sie da raus geholt.

Dark Disney - Was wirklich geschahWo Geschichten leben. Entdecke jetzt