Er hasste sie, die Komposition des abgestandenen Geruchs von Tante Maggi und Onkel Knorr, gepaart mit Müllschlucker-Odeur an einer Melange von verschiedenen Waschpulver- und Weichspülerausdünstungen feuchter Wäsche mit einem Topping von Urin, die ihm im Hausflur entgegenschlug, sobald er die Tür öffnete.
Der Fahrstuhl war wieder außer Betrieb. Nichts Neues. Genau genommen war er bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen er hier war, nie ganz gewesen.
Die Graffities an den Wänden verkündeten ihm ein mieses Leben, seinen frühen Tod und dass er sich gefälligst selbst - ihr wisst schon.
Sein Schlupfwinkel war eine Wohnung in einem anonymen Hochhaus in der Großstadt. Es lag an einer viel befahrenen Hauptverkehrsstraße.
In den 70er Jahren erbaut, vereinte es alles, was damals als en Vogue galt: Klare Formen und Funktionalität im schlichten Design.
Geplant als kleine Stadt in der Stadt, befanden sich im Erdgeschoss Ladenlokale, die zu Beginn der Gebäudenutzung von Almas Laden an der Ecke bis zum Zigarettenshop alles bot, was der moderne Mensch benötigte.
Heute war von Almas Laden an der Ecke nur noch das Schild und eine eingeworfene Fensterscheibe übrig. Auch die war in den letzten Jahren noch nie ganz.
Die meisten der Läden standen leer und befanden sich einem bemitleidenswerten Zustand. Das einzige Geschäft, das sich noch gehalten hatte, war eine kleine Ausgabe eines Discounters, vor dem sich Obdachlose trafen, um ihr gerade erstandenes Gut zu vertrinken oder zu essen.
Er musste in den zweiten Stock. Seine Wohnung lag oberhalb der Überdachung, die vor der Ladenmeile verlief. Dort lief er nicht Gefahr, beabsichtigt oder nicht, von jemandem beobachtet zu werden. Der Einstieg von außen war aufgrund der Höhe zu umständlich für Diebe, aber niedrig genug, um bei Bedarf einen eleganten Abgang über den Balkon zu machen, ohne sich alle Knochen zu brechen.
Sein Balkon lag zur Hauptverkehrsstraße, und gegenüber waren nur Bürogebäude. Die Gefahr, von einem Spanner beobachtet zu werden, war sehr gering. Vermutlich hatte er „Das Fenster zum Hof" einmal zu oft gesehen. Vielleicht brachte sein Beruf aber auch eine kleine Paranoia mit sich.
Als er vor seiner Tür stand, hörte er leise Musik. Er schloss auf und betrat seine Wohnung. Bedauernd stellte er fest, dass der ekelige Geruch aus dem Flur inzwischen auch seinen Schlupfwinkel okkupiert hatte.
„Ich bin wieder dahaa" rief er. Keine Antwort. Das hätte ihn auch Alarmbereitschaft versetzt. Er stellte seine Taschen ab, zog den Rucksack aus und hing die Jacke an die Garderobe. Dann riss er die Fenster auf, um frische Luft in die Wohnung zu lassen.
Er atmete tief ein. Es gab nichts Reineres als frische Morgenluft. Es wäre schön, wenn er diese auch in Hinblick auf sein Problem wittern könnte.
Er ging zu seinem Wecker und schaltete ihn aus. Um Nachbarn davon abzuhalten die Polizei zu rufen, weil sie ihn länger nicht gesehen hatten, hatte er den Wecker so programmiert, dass er immer wieder ansprang und Musik spielte. Laut genug, um gehört zu werden, leise genug, um keine Belästigung darzustellen.
Wie er diese Wohnung hasste. So viel Anonymität dieser Wohnbunker auch versprach, so viele Unwägbarkeiten brachte er auch mit sich. Er hasste Unwägbarkeiten. Er hasste diese Gegend, dieses Haus und diesen Gestank, der durch alle Poren zu dringen schien.
Er stellte den Wecker auf 05:30 Uhr und gab sich damit eine Stunde Schlaf. Seufzend fiel er aufs Bett und schlief, so wie er war, ein.
Mit einem Schlag war er wach. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er erst eine halbe Stunde geschlafen hatte. Christiane Müngersdorf hatte die E-Mail mit seinem Namen erhalten. Nur sie, kein anderer. Bisher hatte er keine Mail ausmachen können, die seinen Namen enthalten hätte. Bisher war er nach ersten Ermittlungen nur in dieser E-Mail aufgetaucht. Wie hatte er diesen entscheidenden Punkt so übergehen können?
Er musste den Empfang der E-Mail stoppen. Gesendet wurde die Nachricht zu einer Zeit, in der normalerweise keiner mehr im Büro war. Er musste dafür sorgen, dass Christiane Müngersdorf die E-Mail nie erhalten würde. bzw. sollte sie sie per Smartphone abgerufen haben, müsste er auch dieses sicherstellen und Christiane Müngersdorf ruhig. Vorher musste er noch einiges recherchieren.
Er holte einen Stift und seinen Collegeblock aus der einen Tasche, setzte sich an seinen Schreibtisch im Arbeitszimmer und begann zu schreiben.
Nebenan begann ein Baby zu schreien. Er hatte nicht viel Zeit und eine Unmenge zu tun.
- Christiane Müngersdorf: Aufenthaltsort ausfindig machen
- Kidnappen?
- Mail per CM's Smartphone löschen?
- Ggf. in ihr Büro eindringen? Dann:
- PC entsperren
- E-Mail löschen und
- Ggf. Fon und Tablet zerstören
- CM hat eine bedauerlichen Unfall.
Sein neues Ziel hieß also Christiane Müngersdorf.
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Arbeitstitel
Mystery / ThrillerMara, eine Schriftstellerin, wird durch einen Auftragskiller erschossen. Dieser muss erkennen, dass sein letztes Opfer über ihn Bescheid wusste und seine Identität an die Lektorin Christiane Müngersdorf weitergegeben hat. Sein neues Ziel steht somit...