Einleitung

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Der starke Regen ist ruhig, sogar wenn er gegen die Rollläden prasselt und der Wind an ihnen zerrt. Sogar wenn der Sturm tobt, ist es erstaunlich ruhig. Ich liege mit dem Rücken auf meinem Bett und starre die Decke an, in der Hoffnung, dass sie mein Leben ändern könnte, was sie nicht tun wird. Seit dem Unfall ist mir Ruhe fremd vor allem aber in der Schule.

Jetzt muss ich das kleine Kind schon wieder wecken. Meine Tante öffnet schwungvoll die Tür. Ich stehe auf, bevor sie mich sieht. ,,Du bist ja schon wach", meint sie staunend. Das ist ja wirklich ein Wunder. Bei ihren Gedanken verdrehen ich die Augen. Meine Tante Margret geht in die Küche. Seit dem Tod meiner Eltern kann ich von jedem Menschen Gedanken lesen und sehe Geister. Als ich in die Küche komme, steht hinter ihr ihr verstorbener Mann. Ich bin die einzige Familie, die sie noch hat. Sie dreht sich nach mir um. Mach dein Essen gefälligst selber. Sie knallt mir den Teller auf den Tisch. ,,Kann ich gerne machen", erwidere ich schnippisch. ,,Kannst du Gedanken lesen?", fragt sie. Kann sie natürlich nicht, wie könnte sie auch. Ich senke den Blick auf meinen Teller. ,,Ich habe keinen Hunger.", mit diesen Worten schiebe ich den Teller weg. Margret sieht mich entgeistert an.  Ich habe mir so viel Mühe gegeben und die kleine, verwöhnte Göre isst einfach nichts. Ich schaffe es ihr Gedanken zu ignorieren und stehe auf. Im Vorbeigehen nehme ich meine Tasche vom Stuhl und hänge sie mir mir über die Schulter. ,,Viel Spaß in der Schule", ruft meine Tante mir nach. Den werde ich nicht haben.

Vor meiner Haustür steht der Geist unseres Nachbarsohnes. Er ist vor zwei Jahren verstorben und hat viel für mich empfunden. Ich gehe an ihm vorbei ohne ihn dabei eines Blickes zu würdigen. ,,Warte", rufen er und ein Kumpel mir gleichzeitig zu. Nur das einer lebt und der andere bereits Tod ist. Ich muss unwillkürlich lächeln. Die beiden waren sich schon immer ähnlich, aber sogar nach dem Tod des einen noch dieselben wie vorher.

Timo kommt auf mich zu. Die sieht ja heute wieder heiß aus. Ich verdrehe die Augen. Leider muss ich solche Gedanken immer lesen. Ich kenne es nicht mehr anders. ,,Hi", begrüßt mich Timo. Sein Kuss streift meine Wange. ,,Lass das", fauche ich. Er zuckt zurück, aber in Gedanken bereut er gar nichts. Warum sollte er auch?

Schweigend laufe ich neben ihm her, während seine Gedanken um Titten und Fußball drehen. Wenigstens geht es nicht um den Sex mit seiner neuesten Flamme. Angewidert schüttele ich den Kopf. Die Gedanken von ihm waren noch harmlos oder zumindest harmloser als andere die ich bisher ungewollt gelesen hatte.
Einige in der Schule gehen in Gedanken immer zu ihrem Vergewaltigungsopfer. Die meisten Themen sind jedoch Sex, Ärsche, Titten, Schminke, Mode, Onlinegames und Fußball.

Wie mir die Schule.... Oh nein, schon sind wir da. Die Gedanken brechen über mir zusammen und drohen mich zu zerquetschen. Ich halte mir die Ohren zu. Timo guckt mich an. Er weiß nicht, was mit mir los ist. Noch immer höre ich die Gedanken von 1000 Personen gleichzeitig und verstehe kein einziges Thema. Ich schüttele den Kopf und gehe vorwärts. Timo folgt mir wie ein Hund. Geiler Arsch. Super Figur. Die Gedanken fliegen mir von den Jungs entgegen. So eine hässliche Bohnenstange. Guckt mal wie scheiße die sich anzieht. Und auch noch ungeschminkt. Den Jungs fallen ja schon fast die Augen aus dem Kopf.

Ich gucke weg und verschwinde schleunigst in meinem Klassenraum. Es ist ja nicht so, als ob es nicht auch vorher schon immer laut war. Aber die Gedanken sind noch lauter. Ich sehe einen neuen Jungen in der letzten Reihe. Er sitzt auf dem Platz neben meinem. Er strahlt eine Ruhe aus, die ich noch nie gehört habe.
Hi. Das einzige Wort, dass ich von ihm höre. Mir klappt der Kiefer auf. Ich höre seine Gedanken nicht. Ich drehe mich um und will schon gehen. Warte der Platz neben mir gehört dir oder? Geht es dir nicht gut? Ich schlucke. ,,Ähm doch", schnell setze ich mich neben ihn und mustere ihn.

Braune Haare bis auf Ohrhöhe, ein breiter Oberkörper, ein typischer Schwarm für jedes Mädchen, braune Augen, die ein schöner....

Nein, aufhören zu denken.
Der Neue schmunzelt.
Das sieht so... Nein nein nein nicht jetzt

,,Wie heißt du?", frage ich ihn laut. Er senkt den Kopf.
Ich bin taubstumm. Geh weg von mir, du hörst mich doch eh nicht. Hm... Sie hat eine interessante Aura. Blau, freundlich, hilfsbereit....
,,Ich heiße Jenna", zum ersten Mal rede ich in Gedanken mit jemandem. Der Junge schaut mich entsetzt an. Dann schaut weiter nach vorne, als wäre nie etwas gewesen.
Ich höre die Gedanken unseres Lehrers schon von Weitem. Sex und Hausaufgaben. Wunderbar. Mir geht es gegen den Strich für jede Frage die Antwort zu kennen.

Ich ignoriere den Neuen, bis ich seine Begleitung durch die Schule sein muss. Ich schaue ihn an. Stumm blickt er unseren Lehrer an, der vorne herum gestikuliert. Das kann ja heiter werden. Kann es nicht. Seine Gedanken durchdringen alle anderen und schalten alles außer seine aus. Mir stockt der Atem. Er beginnt zu lächeln, aber kein Ton kommt aus seinem Mund.
Der Gong reist mich aus der Situation, die mir mehr als unangenehm ist. Ich springe auf und renne aus dem Klassenraum, durch alle Gedanken. Plötzlich steht der Neue vor mir. Bleib bitte stehen. Die Sanftheit lässt mich ruhiger werden. Ich will hier weg!!! In Gedanken breche ich fast in Tränen aus. Der Neue nimmt mich in den Arm. Du bist schwarz geworden. Sei nicht traurig. Er hält mich im Arm und macht keine Anstalten mich loszulassen. Ihre Aura wird rot. Er lässt mich los und ich bin schneller weg, als er denken kann.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 11, 2016 ⏰

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