1 - seltsamer Meteoritenfall und eine noch seltsamere Migräne

494 34 43
                                    

Die Nacht, in der der alles verändernde Meteorit auf die Erde kam, war klar. Irgendwie ein blöder Gegensatz zu dem, was der Meteorit brachte: nichts als Geheimnisse. Und Auswirkungen, mit denen niemand gerechnet hatte. Eigentlich war es nichts Besonderes; Meteoriten fielen oft auf die Erde. Das wusste besonders ich sehr gut, denn meine Mutter jagte sie seit zehn Jahren. In dieser Nacht genau zehn Jahre.

Ich jedenfalls saß auf dem Balkon unserer Wohnung und versuchte die Sterne, die man hier in Chicago schlecht erkennen konnte, zu betrachten. Das Interesse meiner Mutter an den Sternen hatte ich geerbt; ich liebte diese Geheimnisse unseres Universums und war seit dem Zeitpunkt, als wir sie in Naturwissenschaften durchgenommen hatten, als ich sieben war, fasziniert von ihnen. Manche Leute schauten Fernsehen - ich beobachtete die Sterne. Super. Ich muss ja total übergeschnappt wirken.

Leuchtende Punkte am Himmel, so unzählig wie der Sand am Meer. Sie wirkten so weit weg und doch so nah.

Ich verlor mich oft in diesen Träumereien, wenn ich sie sah - diese Faszination hatte ich ebenfalls von meiner Mutter geerbt, anders als ihr Interesse dem Aufbau und der Jagd der Sterne. und so mischte sich neben dieser Faszination auch Unbehagen in meine Gefühle; ich hoffte, dass der bevorstehende Meteoritenfall nicht bei uns in der Nähe passieren würde. Ich hatte keine Lust auf diese wochenlange Befragerei und Sucherei.

Aber damals wusste ich nichts, ich wusste auch gar nichts. Ich hatte schon immer geahnt, dass Mums Euphorie den Meteoriten gegenüber und der Eifer, sie zu bekommen, nicht unbedingt von ihrer Arbeit kam, sondern eher etwas mit dem Tod meines Vaters vor vierzehn Jahren zu tun hatte. Ich war gerade erst vier gewesen damals und ich war froh deswegen, denn ansonsten hätte mich es noch stärker getroffen. Aber ich wusste und konnte nicht wissen, was es damit auf sich hatte und wenn man es mir erzählt hätte, hätte ich denjenigen für verrückt erklärt. Was eigentlich ganz verständlich wäre.

Danny, mein Bruder der neben mir auf dem Balkon saß, sprach meine Gedanken aus: „Ich hoffe nur, dass der Meteorit nicht hier in der Nähe einschlägt. Oder das Caitlin nicht so bescheuert ist. Es bringt einfach niemandem was."

Caitlin. Nicht Mum. Anders hat Danny sie nie genannt. Obwohl doch, bestimmt vor Dads Tod. Bevor Mum sich zurückgezogen hat und mich im Stich gelassen hat. Für ihn war sie nicht mehr seine Mutter. Danny verzieh nicht. Niemanden. Aber vielleicht hatte er in diesem Fall Recht. Manche Dinge kann man nicht verzeihen. Keine Ahnung, wieso ich Mum meistens noch verteidigte, es war eher eine Art Reflex. Denn eigentlich war ich nicht so sehr ein großherziger Mensch.

Also seufzte ich nur als Antwort und das reichte Danny auch schon. Wir verstanden solche Zeichen von uns beiden. Denn Danny war für mich da gewesen, als Mum es nicht war. Er hatte mich beschäftigt, er hatte mit mir gespielt, er hatte sich von mit nerven lassen. Im Nachhinein hatte ich nie wirklich verstanden, wie er das geschafft hatte. Aber er hatte oft Dinge getan, von denen ich nie verstanden hatte, wie er es geschafft hatte. Wunderkind eben.

Danny hatte auch nie Mums und meine Faszination der Sterne verstanden. Er fand sie schön - aber mehr auch nicht. So wie schätzungsweise 99 % der Bevölkerung. Irgendwie traurig, aber na ja.

Eine Weile betrachteten wir schweigend die Sterne, lauschten dem entfernten Stimmengewirr, dem erstickten Nachtleben Chicagos und dem Rattern der L, der Bahn Chicagos, die wir von hier aus hören konnten. Ich hatte mich hier in der Stadt wohlgefühlt, seit ich vor zwei Jahren zu Danny hierher gezogen war. Ich vermisste zwar die Leuchtkraft der Sterne, aber ich liebte das Getümmel der Stadt, die immer teilweise wach war.

„Ob sie auch gerade zuschaut?", fragte ich.

Obwohl wir eine lange Gesprächspause hatten und Dannys Gedanken wahrscheinlich gewandert sind, wusste er sofort, dass ich Mum meinte. Solche Zeichen meine ich eben.

SternensplitterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt