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Ungläubig starrte ich das kleine Gerät in meiner Hand an. Drehte und wendete es in meinen Händen, schaltete es immer wieder an, nur um zu sehen, dass ich mich nicht geirrt hatte:
Dies war nicht mein Handy.
Blinde Angst schnürte mir die Kehle zu und ich versuchte verzweifelt, tief durchzuatmen und mich zu beruhigen. Ich hatte mein Handy nicht durch einen Code oder sowas geschützt, würde er also alles sehen? Würde er Es sehen?
Ich bemerkte, wie meine Hände zitterten bei dem Gedanken. Nein, das durfte er nicht. Das durfte niemand jemals lesen. Ich musste also so schnell wie nur irgendwie möglich herausfinden, wer dieser Typ war und wie seine Adresse lautete, würde ihm die Situation schildern, das Missverständnis aufklären. Und dann würden wir unsere Handys wieder austauschen. Ohne dass er jemals etwas lesen würde. Ohne dass er jemals bemerken würde, was da auf meinem iPhone gespeichert war.

Meine restliche Arbeitszeit war wie eine Folter für mich, wollte ich doch einfach nur so schnell wie möglich mein Handy zurück haben und dieses Missverständnis aufklären. Auch Katy bemerkte, dass ich nicht bei der Sache war und nachdem ich gerade das dritte Bier verschüttet hatte, nahm sie mich beiseite und fragte mich, was los sei. Ich schüttelte kurz den Kopf. "Schon gut, es ist nichts. Bin wohl heute einfach nicht so bei der Sache." Katy sah mich ernst an, und ich konnte in ihren Augen sehen, dass sie mir nicht glaubte. Wir starrten uns noch ein paar Augenblicke an, dann schien sie es aufzugeben und sie drückte noch kurz meinen Arm, dann wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu. Auch ich stand wieder an die Theke und begrüsste weiter die Kunden, fragte, was sie gerne zu trinken hätten. Ich spürte, dass Katy mich weiterhin beobachtete und bemühte mich, keine Fehler mehr zu machen, doch dann drifteten meine Gedanken wieder zu dem Unbekannten und seinem Handy. Sein Bildschirmhintergrund... Live... Irgendwie hatte ich das Gefühl, das bedeutete etwas. Ich meine, gerade normal war das jedenfalls nicht, oder? Ich galt ja auch nicht unbedingt als Musterbeispiel einer normalen 16-Jährigen, aber irgendetwas konnte da doch einfach nicht stimmen. Schon dass man ein Wort in weisser Blockschrift vor einem schwarzen Hintergrund hat, war speziell, aber dann war dieses Wort auch noch Live, Lebe. Was genau hatte das wohl für diesen Typen für eine Bedeutung? Wieso-

"Asuka!"

Katy's Stimme riss mich schlagartig zurück in die Gegenwart und ich erstarrte mitten in der Bewegung. Erst dann bemerkte ich die Hitze in meiner Hand und ich sah auf das Bierglas in meiner Rechten hinunter, dass ich gerade mit einer siedend heissen Flüssigkeit, Kaffee, gefüllt hatte. Meine Augen wurden gross als das Glas wie in Zeitlupe platzte. Blut lief über meinen rechten Arm, mit dem ich unbewusst mein Gesicht geschützt hatte und erst dann bemerkte ich den stechenden Schmerz, der sich langsam in meinem Arm ausbreitete. Katy reagierte schnell, war mit einem Satz bei mir und legte ihre Hand mit festem Griff um mein blutiges Handgelenk, dann drehte sie den Arm so um, das der daumengrosse Glassplitter sichtbar wurde, der sich in mein Fleisch grub und zog ihn mit einer fliessenden Bewegung aus der Wunde. Dann nahm sie eine Handvoll Servietten und versuchte damit, die Blutung zu stoppen und zog mich gleichzeitig nach hinten in unsere Garderobe, wo sie sich nun hektisch nach einem Erste-Hilfekasten umsah. Und erst in diesem Moment legte sich meine Schockstarre und mein Gehirn begann wieder seinen Betrieb aufzunehmen, wenn auch nur widerwillig, wie mir schien. Ich schluckte und wagte einen schwachen Versuch, Katy abzuschütteln, ohne meinen Blick vom dreckigen Fliesenboden zu heben. "Ist schon okay, halb so wild. Geh du zurück zum Theke, ich schaff das schon allein, Wirkl-"-"Nein, nichts ist okay, Asuka! Hast du überhaupt eine Ahnung wie gefährlich das gerade war?! Was, wenn du noch vor Schock gefallen und mitten in den Scherben gelandet wärst? Oder wenn du dich näher beim Tresen befunden hättest und der Kunde auch noch eine Verletzung davon getragen hätte?" Während sie mich wütend belehrte, wickelte sie mit strengem Gesicht einen Verband um die Wunde an meinem Arm und ich biss vor Schmerz fest die Zähne aufeinander. Endlich war Katy mit dem Verband zufrieden und baute sich mit verschränkten Armen vor mir auf. "Was um alles in der Welt hast du dir dabei gedacht?", fragte sie und schüttelte dazu ungläubig den Kopf. Ich wagte es nun endlich in ihr Gesicht zu schauen und zuckte innerlich vor Katy's versteinerter Miene zurück, dann brachte ich leise flüsternd hervor: "Tut mir leid." Katy seufzte, die Gesichtszüge der hübschen Barkeeperin wurden etwas weicher und sie sagte mit unglaublich sanfter Stimme, die ich bei ihr noch nie zuvor gehört habe: "Das da ist nur ein Kratzer, du hattest wirklich Glück. Mach sowas nie wieder, ja?" Dann drehte sie sich um und hatte ihre Hand schon auf dem Türgriff um zurück zur Theke zu gelangen, als sie noch einmal inne hielt. "Asuka, wenn du dich nicht gut fühlst oder sonst irgendetwas hast, dass dich so von der Arbeit ablenkt, dann bleib zuhause. Und komm erst wieder, wenn du dieses Problem, das dich anscheinend so beschäftigt, aus der Welt geschafft hast." dann war sie verschwunden und liess mich in der kleinen, dreckigen Garderobe allein.



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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 11, 2015 ⏰

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