Innere Dämonen

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Die schwarze Farbe zog sich sanft über das weiße Papier. Ohne Nachzudenken malte ich drauf los. Meine Gedanken waren an einem vollkommen anderen Ort. Ich bemerkte nicht mal, dass Mayumi das Zimmer betrat. Ich war ganz in mein Bild versunken und nahm nichts anderes mehr wahr. Über einem Fluss mit dunklen Wasser erhob sich eine hölzerne Brücke mit schwarzen und weißen Blumen am maroden Gelände. Das Bild besaß eine erdrückende Aura. Fast als wäre man wirklich an diesem trostlosen Ort. In meinen Tagträumen versunken lächelte ich. Es war mit Abstand eines meiner liebsten Bilder.
Mir tippte jemand auf die Schulter. Überrascht drehte ich mich um. Vor mir stand eine grinsende Mayumi.
»Hey Yuma! Schon das Neueste gehört?« Sie riss mir den Pinsel aus der Hand.
»Du weißt, dass mich Klatsch nicht interessiert.« murmelte ich und nahm mir einen neuen Pinsel. Sie seufzte.
»Ein neuer Schüler kommt in deine Klasse und tritt dem Kunst-Club bei! Mann, Yuma... Das muss dich doch interessieren!« Ich zuckte mit den Schultern und malte weiter. Euphorisch setzte sie sich an einen Schreibtisch und packte ihre Bleistifte aus.
»Wie läuft es mit deinem Manga?« fragte ich beiläufig. Sie radierte wie verrückt und fluchte leise herum.
»Es könnte besser sein...« Skeptisch starrte sie auf die Blätter vor ihr.
»Was würdest du tun, wenn das Mädchen, in das du verliebt bist, bei dir auftaucht und sich wegen ihrem Freund ausweint?« Ich sah zu ihr hinüber.
»Woher soll ich das wissen?« Ich hatte schließlich nie jemand der mir wichtig war. Außer... Egal... Ich legte den Pinsel zur Seite und wusch mir die mit Farbe überzogenen Finger. Mayumi kratzte sich nachdenklich am Kopf.
»Warum frage ich dich eigentlich...? « Verzweifelt lässt sie ihren Kopf auf den Tisch fallen.
»Warum hat niemand in dieser gottverdammten Schule Erfahrungen mit Liebe...?« fragte sie ohne auf eine Antwort zu warten. Leise fiel die Tür ins Schloss und Yuki schlich zu ihrer Staffelei, die meiner bis aufs Haar gleichte.
»Guten Morg-« Weiter kam sie nicht, denn sie wurde von einem lauten Niesen ihrerseits unterbrochen. Verlegen reibte sie sich ihre Nase.
»Yuki! Warst du schon mal verliebt?« brüllte Mayumi durch den viel zu großen Raum. Yuki wurde knallrot und stammelte vor sich hin.
»Ähm... N-Nein... Warum fragst du mi-mich das?« Sie drehte ihr Gesicht verlegen weg. Mayumi grinste sie dreckig an.
»Lügner~!« flötete Mayumi. Yuki wurde noch roter, falls das überhaupt noch möglich war.
»Wieso fragst du nicht Yuma...?« Ich lehnte mich gelangweilt an die Wand.
»Sehe ich so aus, als wäre ich schon mal verliebt gewesen?« Yuki musste noch einmal niesen und schüttelte dann den Kopf. Mayumi reichte ihr eine Atemschutzmaske, wie man sie immer in den asiatischen Großstädten sieht.
»Trag die, sonst verschmiert noch die ganze Farbe, wenn du aus Versehen auf dein Bilder niesen musst. Und bekomme deine Allergie in Griff! Das ist ja nicht auszuhalten...« Yuki nahm verlegen die Maske an.
»...Danke...« Sie legte die weiße Maske an und fing an zu malen. Eine zeitlang herrschte Stille. Wie ich das hasste... Sie ließ mich mit meinen inneren Dämonen allein. Man hörte nur das leise Streichen von Mayumis Bleistiften.
»Ich gehe. Bis später.« Ich nahm meine Jacke und machte mich auf den Weg in mein Klassenzimmer. Jeden morgen schaute ich noch kurz im Kunstclub vorbei und malte, falls es die Zeit zulässt, weiter an meinen Bildern. Das war für mich eine Art des Glückes. dass ich viel zu selten verspürte. Es ließ mich mich lebendig fühlen und meine Sorgen in den Hintergrund drängen. Etwas, was ich mehr brauchte als alles andere. Die Kunst war wahrscheinlich das einzige, was mich davon abhielt mir etwas anzutun. Ohne diese Leidenschaft sähen meine Unterarme wahrscheinlich anders aus. Ich setzte mich auf meinen Platz und wartete auf den Lehrer, der uns den neuen Schüler vorstellen würde. Nicht das es mich besonders interessieren würde. Neugierig war ich aber trotzdem ein wenig. Der Lehrer trat selbstbewusst ins Klassenzimmer. Hinter ihm ein gut gelaunter Junge. Seine goldenen Augen strahlten wie die Sonne. Meine dagegen sind pechschwarz. Als würden sie meine Gefühle widerspiegeln. Vielleicht war es bei ihm genauso. Er grinste die Klasse voller Freude an.
»Ich bin Tama Shirome. Ich freue mich schon auf unsere gemeinsame Zeit!« Er wirkte wie ein Kind. Ein Sonnenschein, der jeden zum Lächeln bringen konnte. Irgendwie bewunderte ich solche Menschen. In dieser Welt zu leben, aber trotzdem jedem Menschen mit einem Lächeln zu begegnen. Ich konnte das nicht. Tama setzte sich auf einen Stuhl in der zweiten Reihe. Also weit genug von mir in der letzten Reihe entfernt. Ich konnte nicht glauben, dass dieser Junge in den Kunstclub wollte. Er würde besser in einen Sport- oder Theaterclub passen. Aber Kunst? Das passte einfach nicht zu seinem Auftreten. Selbst Mayumi ist unter Fremden zurückhaltend, sogar schüchtern. Aber Tama war anders.

Nach dem Unterricht packte ich in Schneckentempo meine Sachen ein. Ich verspürte keine besondere Lust ihn kennenzulernen. Ob es an seiner schon fast hyperaktiven Art lag oder mir selbst wusste ich nicht. Es war mir auch egal. Mit meiner Tasche auf der Schulter lief ich noch langsamer zum Kunstclub. Ob er schon weg ist? Ohne zu Zögern ging ich hinein und wurde sofort begrüßt.
»Du musst Yuma sein, oder? Ich bin Tama!« Er grinste mich an. Ich nickte und setzte mich vor meine Staffelei. Tama sah prüfend zu Mayumi.
»Ist der immer so?« Sie nickte leicht. Tama lächelte weiter. Ist ihm heute irgendetwas Gutes passiert oder warum sieht er so glücklich aus? Obwohl ich zugeben muss, dass mich seine goldenen Augen und das sanfte Lächeln beruhigten... Ich malte an meinem Bild weiter und blendete alles um mich herum aus. Ich merkte nicht mal, dass Tama mir über die Schulter sah.
»Wow... Das ist... wunderschön...« flüsterte er. Seine geweiteten Augen bewunderten mein Bild.
»Findest du?« fragte ich monoton, ohne mir anmerken zu lassen, dass mich sein Kompliment gefreut hat.
»Aber... Es wirkt so traurig...« Tama seufzte und sah sich mein Gesicht an. Hatte er Mitleid mit mir? Er kannte mich doch gar nicht...
»Kann sein...« Ich malte weiter und versuchte ihn zu ignorieren. Wenn man ihn nur ignorieren könnte.
»Dir geht es wohl nicht so gut, oder?« Ich erstarrte. Mir fiel der Pinsel aus der Hand. Warum sagt er das? Als könnte er mich so durchschauen! Tama bemühte sich zu lächeln.
»Wenn du reden willst bin ich da.« sagte er verständnisvoll, aber so leise, dass es niemand außer mir hören kann. Er drückte mir einen kleinen Zettel mit seiner Nummer in die Hand, bevor er sich von mir abwandte um selbst du zeichnen. Ich sah ihm hinterher. Wie konnte er so mitfühlend sein? Nicht mal Mayumi hat gemerkt wie schlecht es mir die ganze Zeit über wirklich geht und sie kennt mich schon viel länger...

Farewell (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt