Remar #16

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Es kam selten vor, dass ich einen freien Tag auch tatsächlich so nutzte. Aber es wäre lächerlich etwas vorzubereiten, das ich erst in vier Wochen brauchte und die Klassenarbeiten waren korrigiert. Die Fotos fühlten sich glatt und die Momente darauf unendlich weite entfernt an. Wie lange das alles her schien... In einem anderen Leben. Und dennoch spürte ich den Schmerz über das Abhandenkommen dieses Lebens stechend in meiner Brust. Einen Moment schloss ich meine Augen. Man merkte ihm an, wie er meinen Blick mied. Und ich konnte mir nicht erklären, weshalb ich die letzten Tage so oft an ihn dachte. Ich sollte froh sein, dass er mich nicht mehr nervte. Hatte ich ein schlechtes Gewissen? Aber weshalb sollte ich? Es hatte früher oder später so kommen müssen. Und je früher, desto besser war es. Wieso fühlte es sich bloß nicht so an? Seufzend griff ich nach dem Glas das auf dem Wohnzimmertisch am Rand der Fotos stand, wenn man eine Ansammlung von Büchern auf denen man Dinge abstellen konnte, ohne dass er zusammenbrach einen Wohnzimmertisch nennen konnte. Wenn man das Leben bloß so leben könnte, wie man es gerne hätte. Adele pochte gegen meine Trommelfelle und ich wusste, dass die Musik zu laut war, aber es war mir egal. Mit der dunklen Flüssigkeit in dem Glas in meinen Fingern, die schon mit neblig weißen Fingern um sich griffen, waren das einzige, das mich davon abhielt mich nicht aus einem Fenster zu stürzen. Außerdem wäre das sowieso nicht meine bevorzugte Vorgehensweise bei einem Selbstmordversuch. Vielleicht vermisste ich ihn auch irgendwie, da er mein Leben durcheinander gebracht hatte, als er eingetreten war, aber es so gut es ging zusammengehalten hatte, so lange er noch da gewesen war und jetzt da ich ihn heraus gestoßen hatte war genau dieser Kleber, auch wenn er bloß aus seinem nervigen Lächeln und dieser verflixt zu guten Laune bestanden hatte, weg. Alles brach zusammen. Die ganzen Mauern und Versuche es irgendwie alles auf die Reihe zu bekommen, trotz der Erinnerungen in meinem Kopf, die rein wollten. Manchmal war verdrängen nun mal doch die beste Methode, auch wenn man wusste, dass es irgendwann wieder über einen herein brechen würde. Mir war sein neuer Haarschnitt aufgefallen. Seine Haare wirkten heller, wenn er sie so kurz trug und der Karamellton war beinahe gar nicht mehr zu erkennen, wofür sein Gesicht ernster wirkte. Was aber auch an seinem angespannten Gesichtsausdruck liegen konnte... Ich war mir sicher, dass er nicht bemerkte, wenn ich ihn ansah, dafür war er viel zu sehr damit beschäftigt so zu tun, als sei ich nicht da, aber ich konnte ja nicht einmal den Grund benennen, weshalb mein Blick zu ihm wanderte, wo ich ihn doch eigentlich endlich aus meinem Kopf, meiner Welt haben wollte. War das reines Bedauern, dass er nicht mehr Ehrgeiz gezeigt hatte? Hatte ich bloß abklopfen wollen, wie weit er sich reinstürzen würde? Wie weit ich gehen konnte, bevor er aufgab? Vielleicht war ja mehr dahinter gewesen, aber es erschien mir absurd, dass diese Frage mir schlaflose Nächte bereitete. Es war lächerlich und überflüssig. Selbst wenn er das letzte lebende Wesen auf diesem Planeten mit mir wäre, hätte ich genauso reagiert. Also wieso war dort dieses Gefühl, das ich weder beschreiben noch genau benennen konnte? Der Ring, der auf dem Fensterbrett neben der Aloe Vera Pflanze lag, zeichnete ein Muster an die Wand und ich fragte mich, ob ich ihn wieder anziehen sollte. Eigentlich kam es mir lächerlich vor. Man musste manche Dinge loslassen, aber ich ertappte mich dabei wie ich um meinen Ringfinger strich, als sei er immer noch da und könnte sich drehen. Mehr als fünfzehn Jahre Gewohnheit ließen sich nicht innerhalb von zwei Tagen ablegen. Ich legte ein Bild zu den anderen auf den Tisch. Niemand hatte sich in den letzten Jahren so in mein Leben eingemischt, wie Patroklos. Auch Ezra hatte nie die Linien und Grenzen zwischen uns übertreten. Und dann kam er reingeplatzt und ging genauso unvermittelt wieder. Hatte ich die Aufregung, Abwechslung und Aufmerksamkeit, die er mit sich gebracht hatte genossen? Was er das, was dieses Gefühl in mir auslöste? Für ein paar Tage nicht das Gefühl zu haben, in Bedeutungslosigkeit zu versinken... Meine Finger bebten, als ich den Stapel mit Bildern und das Glas beiseite legte. Ich schloss meine Augen und legte meine Stirn auf meine Handballen. Wieso war es so schwer mit sich selbst klarzukommen? Wieso konnten ich und meine Gedanken in dieser Wohnung nicht ausreichen, un um glücklich oder zumindest ausgeglichen und zufrieden zu sein? Was fehlte? Im Inneren wusste ich es. Ich wusste worin der Unterschied lag, zwischen damals und jetzt und dennoch konnte ich mir immer noch nicht erklären wie es dazu hatte kommen können. Wie alles mit einem Mal zusammen stürzen und mich kalt und alleine zurück lassen konnte. Es schien nicht zu diesen hellen, sonnendurchfluteten Erinnerungen zu passen. Genauso wenig wie er dazu passte und doch musste ich immer wieder an ihn denken, ohne auch bloß einen Grund nennen zu können, weshalb das so war...

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Ein bisschen kurz, ein bisschen verspätet und vielleicht ein bisschen langweilig, aber ein neues Kapitel.

Another school romance.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt