Teil 1/3

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Teil I

- Rückblick 1992 bis 1998 -

So, wie die Hoffnung lebt, so leben auch wir.

Vage, wie der zarte Duft des Frühlings nach einem langen harten Winter. Nicht greifbar, wie die Sternschnuppe, die nur für den Bruchteil einer Sekunde das tiefe Schwarz des Nachthimmels anritzt. Kämpferisch, wie der erste Sonnenstrahl, der sich durch dichten Nebel bohrt.

Tür an Tür mit der Verzweiflung, immerzu.

Aber wir leben. Wir leben.

Und das allein zählt.


***


I.

- Katie -


Herzen brechen lautlos.

Meines brach in einer warmen Spätsommernacht vor dreiundzwanzig Jahren. Das war im August 1992 und nur zehn Tage nach meinem achten Geburtstag.

Die seltsamsten Dinge schießen mir durch den Kopf, sobald ich die sorgsam verschlossene Schublade mit den Erinnerungen an jene Nacht auch nur einen Spaltbreit öffne.

Sie flattern mir entgegen - düster, chaotisch und beängstigend - wie Fledermäuse aus einer verborgenen Höhle. Bruchstücke einer verdrängten Vergangenheit, die mich wie eine Lawine überrollen und unwillkürlich bewirken, dass sich mein Magen schmerzhaft zusammenzieht.

Da wäre zum einen der schwere, süße Duft von eingewecktem Obst - Pflaumen, Mirabellen und Johannisbeeren -, der mich an meine Mutter erinnert. Ausgehend von der Küche bahnte er sich seinen Weg und flutete das gesamte Haus, bis in die letzten Winkel hinein.

Und dann ist da das Geräusch der Mini Mouse-Uhr, die über meiner Zimmertür hing. Ich hatte sie erst wenige Tage zuvor von meiner Tante Jacky als verspätetes Geburtstagsgeschenk bekommen. Tante Jacky war Grundschullehrerin und als solche immer darauf bedacht, keine in ihren Augen sinnlosen Dinge wie Plüschtiere oder Barbiepuppen zu verschenken. Die Wanduhr hatte sie offenbar als pädagogisch wertvoll und meinem Alter angemessen erachtet.

Ich erinnere mich noch, dass ich die vollen, halben und viertel Stunden bereits sicher ablesen konnte, dass mich das fortwährende Ticken jedoch nervte, besonders nachts. Rückblickend kommt es mir so vor, als hackte der Staccato-Rhythmus dieser rot-weiß-gepunkteten Uhr die friedliche Ruhe erbarmungslos in akkurate kleine Stücke.

Ebenso erinnere ich mich an das Quietschen der metallenen Ösen unserer Schaukel, deren Gerüst direkt unter meinem Zimmerfenster stand und die sich im lauen Wind jener Spätsommernacht hin und her drehte. Ich liebte diese Schaukel. Überhaupt liebte ich unseren großen Garten mit all seinen Versteckmöglichkeiten, die ich im Laufe der Zeit ausfindig gemacht hatte.

Niemand konnte sich besser verstecken als ich. Jedoch bremste meine zehnjährige Schwester Alice meinen Spiel- und Forschungstrieb oft genug aus. Sie war von Natur aus eher ruhig und bedacht und ließ keine Chance aus, mich zu bevormunden. Immer wieder murmelte Mom vor sich hin, dass es ihr ein ewiges Rätsel bleiben würde, wie zwei Mädchen, die sich äußerlich so ähnelten wie Alice und ich, charakterlich doch so verschieden sein konnten. Ich schloss daraus, dass sie sich wünschte, ich wäre ein bisschen mehr wie meine zwei Jahre ältere Schwester. „So verantwortungsvoll und vernünftig", wie Daddy es immer ausdrückte.

Mit meinem vier Jahre alten Bruder Theo konnte man noch nicht viel anfangen. Immerzu hing er an Moms Rockzipfel, und seine Schmusedecke musste stets in Reichweite liegen, für den Fall, dass er müde war, trotzig, oder sich wehgetan hatte. Also immer.

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