III.
– Jonah –
„Kein Vorsatz ist so gut, als dass man ihn nicht jederzeit wieder umschmeißen könnte", hatte meine Granny immer gesagt. Und meine Großmutter war eine wirklich kluge Frau gewesen, denn auch in dieser Situation behielt ihr Spruch seine Richtigkeit. Weder mein Groll, noch meine Rebellionsvorsätze ließen sich lange aufrechterhalten. Erbaut auf einem wackligen Fundament aus Furcht, Vorurteilen sowie kindlicher Dummheit, und viel zu hastig hochgezogen, überstanden meine Abwehrmauern nicht einmal die ersten Stunden unter Milows Einwirkung. Im Grunde hatte ich ja auch gar keine Alternative, als mich diesem neuen Leben zu öffnen. Aber vielleicht war gerade diese Ausweglosigkeit der Grund dafür, dass ich mich in meiner ersten Nacht im Heim so schrecklich gefangen und verloren fühlte.
Ich habe keine Ahnung wie spät es war, als Milow mich wachrüttelte und aus einem schrecklichen Traum riss, von dem ich nur noch wusste, dass schlichtweg alles um mich herum in Flammen gestanden hatte. Mit einem Schrei schnellte ich hoch und sah mich orientierungslos und zu meiner Schande auch ein wenig panisch um, bis ich im schwachen Licht der Wandleuchte endlich begriff, wo ich war.
Milow stand auf der Leiter des Hochbettes und hielt meinen Arm fest. „Hey, schon gut! Ist doch gut!", wisperte er immer wieder.
„Ich ... Ein T-traum ... F-feuer ...", stammelte ich benommen. Er nickte nur verständig und ließ dann von mir ab.
Meine Narbe brannte. Vielleicht hatte Milow an meinem Oberschenkel gerüttelt, um mich zu wecken, ich wusste es nicht. Allerdings fiel mir durch den lodernden Schmerz ein, dass ich in der Aufregung meines ersten Heimabends ganz vergessen hatte, die Salbe aufzutragen, die mir der Arzt extra mitgegeben hatte. Die Tube, die ich vor dem Zubettgehen hätte anbrechen sollen, lag noch immer unangetastet in dem Seitenfach meiner neuen Reisetasche.
„Scheiße! Lass mich mal kurz hier runter, ja?" Ich rieb mir über die Augen und versuchte so, die frische Schmach, mit der ich anders nicht umzugehen wusste, zu überspielen. Es war mir unglaublich peinlich, vor Milow wie ein Kleinkind geschrien zu haben.
Mit der Grazie eines Elefantenbabys sprang er von der Leiter und beobachtete stumm, wie ich meine Tasche aus dem Wandschrank zog und die Salbe hervorkramte. Vielleicht hatte die Narbe auch durch mein Versäumnis zu schmerzen begonnen und den dummen Albtraum damit überhaupt erst heraufbeschworen. Zumindest bestand die Möglichkeit, und ich wollte nicht riskieren, dass sich das noch einmal wiederholte.
Als ich den Saum meines Schlafshirts anhob und Milow zum ersten Mal einen Teil meiner Verletzung zu Gesicht bekam, zog er scharf die Luft zwischen den Zähnen ein.
„Oh Mann!", stieß er aus und ich beließ es dabei, unwillig, ihm die Geschichte hinter meiner Narbe zu offenbaren. Im Krankenhaus, bei meinen flüchtigen Bekanntschaften, wie Ruby sie so geringschätzig genannt hatte, war ich mit der vorgeschobenen Story des umgekippten Suppentopfes immer schnell fertig gewesen. Einmal hatte Schwester Laura diese Lüge sogar mitbekommen, mich aber weder verraten noch später getadelt, sondern nur mitleidig meinen Kopf getätschelt.
Nun, hier würde ich nicht so leicht davonkommen, das war mir schon klar. Aber keinesfalls war ich am Tag meiner Ankunft bereit, meine wahre Geschichte zu teilen.
Als ich die Salbe behutsam in die dünne Haut einmassiert hatte und der Spannungsschmerz langsam erträglicher wurde, bückte ich mich, um die Tube zurück in die Tasche zu stecken und den Reißverschluss zu schließen. „Warte!", rief Milow und deutete auf das noch offene Fach. „Ist das ... Karamellpudding?" In seine Augen trat ein seltsamer Glanz. Ich grinste und zog die vergessene Packung hervor. „Stimmt! Der gehört in den Kühlschrank."
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So, wie die Hoffnung lebt
RomanceVom Schicksal getrennt – vereint durch die Liebe Als Katie Jonah begegnet, verändert das ihr ganzes Leben. Mit viel Einfühlungsvermögen und seinem außergewöhnlichen Talent für die Malerei dringt der sensible Junge zu dem Mädchen durch, das sich nac...