V.
- Katie -
„Du denkst schon wieder an ihn, oder?", fragte Hope. Ich sah von meinem Buch auf und runzelte die Stirn. Wir hatten es uns im Halbschatten des größten Rosenbusches ganz hinten im Garten bequem gemacht. Eigentlich, um zu lesen. Zum x-ten Mal hatte ich mir Die unendliche Geschichte aus dem riesigen Bücherregal im Gemeinschaftsraum mitgenommen; es war mein absolutes Lieblingsbuch. Doch noch schien Hope nicht bereit zu sein, mich in diese zauberhafte Welt abtauchen zu lassen, in der es von Drachen und anderen eigentümlichen Wesen nur so wimmelte.
Sie verdrehte ihre großen hellblauen Augen und seufzte theatralisch. „Na, du denkst doch schon wieder an den Scheißhaufen-Jungen."
Ein Schmunzeln zupfte an meinen Mundwinkeln, aber ich brachte es schnell wieder unter Kontrolle und schaute sie stattdessen missbilligend an.
Tammys eigenwillige Malstunde lag nun schon eine Woche zurück, doch seitdem war kein Tag vergangen, an dem Hope mich nicht mindestens ein Mal mit diesem Thema aufgezogen hatte. Und auch jetzt wurde ihr Grinsen so breit, dass ich mir Sorgen machte, es könnte ihr stets leicht gerötetes Gesicht in zwei Hälften spalten. „Was denn? Ich weiß ja, dass er einen Namen hat, aber Scheißhaufen-Junge klingt viel lustiger, das musst du schon zugeben." Sie gluckste vergnügt.
Sehr witzig, ja. Und so einfallsreich!
Hope war damals meine einzige Freundin im Heim. Wir verstanden uns blind und - in meinem Fall - sogar stumm. Sie war die Einzige, für die mein Schweigen keine Barriere darstellte. Vielleicht hörte sie sich selbst auch nur gerne reden und war froh, an meiner Seite immer zu Wort zu kommen. So oder so, wir hatten uns von Anfang an gemocht, seitdem sie vor etwa anderthalb Jahren zu mir ins Zimmer gezogen war.
Hope war schon dreizehn Jahre alt und ziemlich schlau, wie ich fand. Ich bewunderte vieles an ihr und beneidete sie teilweise sogar. Um ihre kurzen hellblonden Korkenzieherlocken zum Beispiel, die kess in alle Himmelsrichtungen von ihrem Kopf abstanden, wie eine optische Vorwarnung auf ihr lebhaftes und stets so unternehmungslustiges Wesen. Wenn wir sonntags nebeneinander in der Kirche saßen, Hope ihre wilde Mähne mit dem von ihr gehassten Haarreifen gezügelt hatte und mit glockenklarer Stimme die andächtigen Lieder mitsang, lächelte ich oft in mich hinein. Denn meine Freundin war eigentlich ein echter Wildfang, intuitiv und schwer zu bändigen, wie ihre sprungfederartigen Locken. Sie war wie mein Gegenstück: Während ich schnell nervös wurde und mich grundsätzlich vor allem Unbekannten fürchtete, schien Hope weder Kummer, noch Angst zu kennen. Ich fragte mich oft, was sie eigentlich dazu bewog, immer wieder meine Nähe zu suchen und ob unsere Freundschaft vielleicht auf Hopes Ahnung basierte, dass ich ihr einmal sehr ähnlich gewesen war. Damals, in meinem früheren Leben, das mir so weit entfernt schien wie die Sterne in einer klaren Nacht.
„Okay, die Idee mit dem Scheißhaufen war echt lustig und ziemlich mutig", lenkte sie anerkennend ein. „Aber ansonsten verstehe ich nicht so wirklich, warum du andauernd an diesen Neuling denkst." Ich gab mir keine Mühe, Hopes Feststellung zu leugnen. Denn sie lag ja richtig, wie eigentlich immer. In den letzten Tagen drehten sich viele meiner Gedanken um den neuen Jungen im Heim, Jonah Tanner. Auch wenn ich selbst nicht so genau verstand, warum.
Hope rümpfte die Nase. „Er hat ein süßes Gesicht, ja, mit der schmalen Nase und dem scheuen Blick. Aber dass er so winzig ist für einen Dreizehnjährigen? Kaum größer als du, wenn überhaupt. Und dabei ist er sooo altklug. Ich schäme mich fast dafür, wie blauäugig hier alle sind", äffte sie Jonah nach. „Ernsthaft? Wenn er glaubt, dass er sich auf diese Art hier Freunde macht, ist er um einiges dümmer, als er selbst meint."
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So, wie die Hoffnung lebt
RomanceVom Schicksal getrennt – vereint durch die Liebe Als Katie Jonah begegnet, verändert das ihr ganzes Leben. Mit viel Einfühlungsvermögen und seinem außergewöhnlichen Talent für die Malerei dringt der sensible Junge zu dem Mädchen durch, das sich nac...