MICHELANGELO GEDICHTE UND BRIEFE***
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Das Museum Viii.
MICHELANGELO GEDICHTE UND BRIEFE
In Auswahl herausgegeben von
R. A. GUARDINI
Pan-Verlag, Berlin
1907
[Illustration: Marcello Venusti pinx]
Michelangelo hat fast nur Persönlichkeitsgedichte geschrieben. Was er in jenem Madrigal über sein bildnerisches Schaffen aussprach,
Mich deucht, stets bild' ich mich, Und meine doch _ihr_ Antlitz zu gestalten,
hätte er auch von seinem Dichten -- er mehr als irgend einer -- sagen können. Mit wenig Ausnahmen erzählen seine Verse, auch wenn er von anderen spricht, nur von _seinem_ Empfinden, _seinem_ Kämpfen, von den Werten und Idealen, die _er_ suchte und in den geliebten Menschen verkörpert sah. Er war, zumal in reiferem Alter, stets mit sich allein, stets ein Mensch, der einsam mit der eigenen Seele zu ringen, sein edleres Selbst gegen Leidenschaften zu behaupten hatte, deren Wucht seine Schöpfungen ahnen lassen; und so liessen ihn die Spannungen in seinem Innern nicht zur Ruhe dessen kommen, der ein Geschautes schildert.
Er wusste in seinen Dichtungen fast nur unmittelbar von sich zu sprechen oder sehnsüchtig die Menschen anzuschauen, anzurufen, in denen er den Frieden und die Schönheit zu sehen glaubte. Und es will scheinen, als sei es ihm auch in seiner Liebe nicht gelungen, sich wirklich an den Anderen zu verlieren, wirklich diesen, wie er war, zu sehen, als habe er auch in ihr den Genossen eigentlich nicht gefunden. Selbst in den Gedichten an Vittoria, von der er doch am ehesten hoffen durfte, sie gehe mit ihm den gleichen Weg, konnten Gedanken wie diese auftauchen:
Sage mir, Liebe, ob ich die heissersehnte Schönheit wirklich hier sehe, oder ob drinnen In meiner Seele sie lebt, und ich der Herrin Antlitz anschauend verkläre?
Es ist wie eine Ahnung, dass er auch in den geliebten Menschen nur Schönheiten sehe, die _er_ ihnen erst verliehen, dass er nur von den Bildern seiner eigenen Vollkommenheitssehnsucht spreche, wenn er ihre Hoheit verehre.
Michelangelos eigene ringende Seele, mehr enthalten seine Dichtungen nicht.
Dieser Gedanke liegt der Anordnung zugrunde. Sie fasst die Gedichte zusammen, denen in der Seele ihres Schöpfers gleiche Voraussetzungen entsprechen, Grundkräfte, Anlagen seines Wesens, Ziele, die er erstrebte, Werte, die er bejahte und in denen er sein letztes Genügen fand. Die Ordnung dieser Gruppen untereinander versucht von der Wertung auszugehen, die Michelangelo selbst an ihrem Inhalt vollzogen hat, indem sie ihn an dem Bilde des Menschen misst, den er in sich zu verwirklichen strebte.
Ist dies gelungen, dann bilden die Gedichte eine Reihe, die von relativ Äusserlichem ausgehend immer mehr zu dem vordringt, was Michelangelo als sein Wertvollstes und Eigenstes beurteilte.
Dass bei diesem Versuch die Gefahr der Subjektivität nahe sei, habe ich mir nicht verhehlt; aber hier schien die beste Möglichkeit zu liegen, aus einer blossen Aneinanderreihung ein innerlich verbundenes Ganzes zu machen.
Die Briefe sind chronologisch geordnet. Aus der grossen Zahl mussten sehr wenige ausgewählt werden. Es sind besonders solche, in denen das eigenartige Verhältnis des Meisters zur Familie, sein stetes Sorgen und bereitwilliges Helfen, dann auch seine Stellung zu Freunden und Auftraggebern zum Ausdruck kommt.
Als Anhang sind die wenigen erhaltenen Briefe Vittorias an ihn beigefügt.
Die Übersetzungen der Gedichte sind teils schon vorliegende ältere, deren Wiederdruck von den Herren Verlegern in liebenswürdiger Weise gestattet wurde, teils Neuübertragungen von _Bettina Jacobson_.[1] Die Briefe wurden vom Herausgeber sämtlich neu übersetzt. Der Auswahl gehen einige Kapitel aus Ascanio Condivis "Leben Michelangelos" voraus, die etwa zehn Jahre vor seinem Tode unter seinen Augen entstand: eine einfache Fassung, der sich "die geschnittenen Steine" der Dichtungen vielleicht zu klarerem Schimmer einfügen.
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