1 - Matt

258 26 2
                                    

Ich saß in der Cafeteria an einem Tisch, die meisten meiner Freunde waren bereits da, inklusive meines Bruders Kyle, der neben mir saß und mit dem Bein wippte. Ich war mir ziemlich sicher, dass er seit ein paar Tagen das selbe, ungute Gefühl verspührte wie ich, ohne jedoch zu wissen, woher es rührte. Was mich dabei besonders beunruhigte war, dass Marissa noch nicht da war. Ich schüttelte leicht den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben. Sie war sicher einfach nur krank.

Heather kam herein und setzte sich gegenüber von mir hin. Sie war Marissas beste Freundin und sah aus, als habe sie kaum geschlafen mit den dunklen Ringen unter ihren Augen. Max öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn jedoch wieder, als Jordan sich näherte. Sie trug ein Tablet vor sich her. Der Bildschirm war in unsere Richtung ausgerichtet. Er war eingeschaltet. Ich erkannte Marissa auf dem Schirm. Ich starrte sie an. Sie hatte die Lippen geschürzt und ihr Blick huschte zwischen uns hin und her.

Allmälich wurde es ruhig am Tisch, alls schauten zu Jordan, die den Tisch erreicht hatte und sich neben Heather setzte, das Tablet stellte sie mit dem Bildschirm zu uns gerichtet auf den Tisch.
Marissa lächelte, es sah gezwungen aus. "Hi", ihre Stimme klang gedämpft aus den Lautsprechern.
"Was-?", brachte Kyle heraus. Er blickte zwischen uns und dem Bildschirm hin und her.

Heather atmete tief ein und öffnete in der Absicht uns aufzuklären den Mund, doch Marissa kam ihr zuvor.
"Ich mach das", verkündete sie. Ich lehnte mich ein Stück vor, um sie besser zu verstehen, die anderen außer Jordan und Heather machten es mir nach. Sorge breitete sich in mir aus. Heather und Jordan schienen zu wissen, was los war und sie sahen beide alles andere als glücklich aus.

"Zuerstmal, ja, das hier ist genehmigt, damit ich etwas zu tun habe", begann Marissa und grinste, bei dem Versuch, beruhigend zu wirken, dann atmete sie tief durch. "Vorgestern bin ich aufgewacht, und es ging mir echt schlecht, ich hatte Fieber, mir war schlecht, ich hatte Kopfschmerzen. Alles ganz normal, aber als es nicht aufhörte und immer schlimmer wurde sind wir ins Krankenhaus gefahren.
Erst keine Ergebnisse, ich blieb da, sie haben eine Blutprobe entnommen", Marissa machte eine Pause und strich sich auf der anderen Seite des Bildschirms sichtlich nervös die Haare aus dem Gesicht, "Dann erhielten sie das Ergebniss der Probe. Bevor ich wusste, was geschah, wurde ich in ein abgesichertes Zimmer gesteckt. Als nach einer Weile ein Arzt kam, trug er eine Schutzmaske", sie schwieg und ein Schauder durchfuhr sie bei der Erinnerung. Tausend Gedanken schossen mit durch den Kopf, aber ich konnte sie nicht ordnen.
"Er erklärte mir, sie haben einen Virus gefunden, der wie Gift wirkt. Was genau er macht, habe ich nicht verstanden. Der Arzt sagt, er verbreitet sich durch die Luft, aber keine Sorge, wenn ihr den Virus in euch hättet, so sagte er, müsstet ihr bereits ähnliche Symptome aufzeigen, wie ich. Trotzdem solltet ihr vorsichtshalber euer Blut prüfen lassen.
Wie auch immer, jetzt geht es mir wieder gut, vermutlich ist der Virus auch bald nicht mehr ansteckend, nur in der Zeit der krankhaften Symptome plus ein paar Tage ist er das, so sagen die Ärzte. Meine Eltern und mein Bruder wurden bereits untersucht, bei ihnen konnte die Virenvermehrung gestoppt werden, bevor sie wirklich begonnen hatte. Also ist eigentlich alles gut. In ein paar Tagen sollte ich auch aus der Quarantäne heraus dürfen."

Ich brauchte eine kurze Zeit, um das alles zu verarbeiten. Aber trotz all den komplizierten Fakten, heftete sich etwas fest in mein Bewusstsein: Bald würde sie wieder hier bei uns sitzen.

"Marissa", begann Heather, "Du... sie sollten es erfahren"
Ich blickte zu ihr, dann wieder zu Marissa. "Was erfahren?", fragte ich dann scharf.
Marissa hob den Kopf und sah alle, die in ihrem Blickfeld waren einzelnd an. Bei Kyle stoppte sie.
"Der Virus ist zwar bald nicht mehr ansteckend, aber er breitet sich noch immer aus, befällt meinen ganzen Körper"
"Was soll das heißen?", fragte ich erneut und dabei war mir egal, wie schrill meine Stimme klang.
Marissa sah zu mir. "Die Ärzte sagen, ich habe noch 35 Tage zu leben", ihr Stimme war fest.
Ein Stuhl rutschte geräuschvoll über den Boden, ansonsten war herrschte an unserem Tisch völlige Stille. Kyle hatte aufgehört mit dem Bein zu wippen. Die Geräusche in dem restlichen Raum erreichten nur gedämpft meine Ohren, es war, als hätte sich ein Schleier über mein Bewusstsein gelegt.

Das Klingeln der Schulglocke löste die Stille und holte mich in die Realität zurück, alle erhoben sich in scheinbarer Gewöhnlichkeit, auch an unserem Tisch, Gespräche wurden wieder aufgenommen.
Ich blieb sitzen, starrte ins Leere. Kyle erhob sich neben mir wie in Zeitlupe.
"Matt?", ich sah zu dem Bildschirm, von dem aus Marissa mich gerade angesprochen hatte. Sie wischte sich einzelne Tränen aus dem Augenwinkel.
"Wir haben jetzt zusammen Physik. Kannst du mich mitnehmen?"
Einen Moment lang starrte ich sie an, dann blinzelte ich ein paar Mal. "Klar", hauchte ich.
Ich griff über den Tisch und umklammerte das Gerät, dann folgte ich der Menschenmenge, die zu ihren Klassenräumen strömte.
Kyle ging einige Schritte hinter mir. Als wir an den Toiletten vorbei kamen, stürzte er aus der Masse heraus und in Richtung der Kabinen.
"Matt", ich drehte das Tablet um, sodass ich sie ansehen konnte.
"Ja?", meine Stimme hatte sich wieder etwas gefangen.
"Genau das wollte ich verhindern. Ich will kein Mitleid. Behandelt mich einfach, wie ihr es normal tun würdet, wenn ich nicht mit dieser Krankheit hinter dem Bildschirm mit euch reden würde", sie lächelte mich an und ihr Lächeln war echt. Kein trauriges Lächeln, kein Lächeln, das jemand beruhigen soll, sondern einfach ein Lächeln, das jemand einem anderen schenkt, einfach weil er sich freut ihn zu sehen. Ich lächelte zurück, ebenfalls ehrlich, aber meine Augen fühlten sich glasig an. In diesem Moment fasste ich einen Entschluss.

"Du sagst, der Virus ist noch ansteckend?", fragte ich, wie bei einem belanglosen Themenwechsel.
"Ja", sie nickte, "Aber nicht mehr lange, zwölf Stunden, vielleicht noch sechs. Dann darf ich nach Hause"

Ich blieb vor dem Physikraum stehen.
"He, Matt! Elektronische Geräte sind in der Schule verboten. Bist du etwa auf Schwierigkeiten aus?", sprach mich plötzlich jemand von der Seite an, auch alle anderen Leute im Flur sahen mich neugirig an.
"Dreh mich zu ihm", ich tat wie mir gehießen und wandte dem Jungen aus unserem Kurs der gesprochen hatte, John, den Bildschirm zu.
Ich hörte an ihrer Stimme, dass Marissa lächelte. "In 35 Tagen bin ich tot. Du hast keine Ahnung, was Schwierigkeiten überhaupt bedeuten"

Kyle kam gerade an uns vorbei, den Kopf gesenkt drängte er sich durch die Menschen auf dem Flur, bemerkte uns aber nicht.
Ich drehte Marissa wieder zu mir. "Kyle sieht schrecklich aus", stellte sie fest.
"Und du siehst gut aus - für jemanden, der in ein paar Tagen unter der Erde liegt", ich biss mir auf die Lippe. Das war definitiv zu weit gegeangen.
Aber Marissa lachte. "Und du bist gerade ziemlich freundlich zu mir - für jemanden, der so selbstverliebt ist"
"Hey, nicht beleidigend werden", protestierte ich, "Ich habe bloß einen Fakt erläutert"
Sie grinste. "Ich auch", dann schwieg sie kurz und musterte mich eingehend. "Danke", sagte sie dann ernst.

35 daysWo Geschichten leben. Entdecke jetzt