3 - Marissa

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"Mar?", rief eine Stimme und holte mich aus meinen Albträumen in die Wirklichkeit zurück.
Ich öffnete die Augen, sah das Krankenhausbett vor mir und spürte den harten Boden. Nein. Nein, nein, nein!

"Marissa!", ich sah auf, dann erhob ich mich schwermütig. Ich taumelte mehr als ich ging, als ich mich dem anderen, belegten Bett näherte, immer unter Beobachtung eines Paares klarer blauer Augen.
"Matt", sagte ich stumpf und blickte auf ihn herab. Er sah besser aus, als heute Nacht, nicht mehr ganz so blass, aber dennoch nicht gesund.

"Hey", sagte er und zwang sich zu einem Lächeln.
"Hi", wollte ich entgegnen, doch es blieb mir im Hals stecken. Ich schluckte. "Wie geht es dir?", fragte ich dann.
"Den Umständen entsprechend", er lachte und setzte sich mühsam auf, "Aber es wird besser, nicht war?"

"Was-", ich brach ab, "Wie konntest du angesteckt werden?", ich hatte es nur leise gesagt, mehr zu mir selbst gesprochen, aber Matt antwortete mir dennoch.
"Glaubst du wirklich, ich lasse dich damit alleine?", fragte er vollkommen ernst.
Meine Gesichtszüge entglitten mir. "Wie meinst du das?", fragte ich schärfer als beabsichtigt.

Jetzt grinste er wieder, es war nicht erzwungen - es wirkte zufrieden. Moment, zufrieden?
"Ich hätte mich nicht angesteckt, wäre ich nicht zu Besuch gekommen und hätte meine Atemmaske geöffnet", erklärte Matt nun, während er mich ganz genau beobachtete.
Ich brauchte eine Weile, um zu verarbeiten, was er gesagt hatte. Dann holte ich aus, und meine Hand traf sein Gesicht. "Warum?! Wie konntest du das tun? Hast du nicht an deine Eltern gedacht? An Kyle? An unsere Freunde? Willst du etwa sterben?", ich schrie ihn fast an. Fassungslos fuhr ich mir durch die Haare.
"Nein, ich habe keine Suizidgedanken. Und ich habe an alle gedacht, ich habe an dich gedacht!", entgegnete er genauso laut, wobei sein Zorn nicht ganz echt klang.

Ich schüttelte heftig den Kopf. "Ich verstehs' nicht. Was habe ich denn davon, dass du bald auch stirbst?", fragte ich dann leise, wartete jedoch nicht auf seine Antwort, "Ich sollte die Krankenschwester rufen, sobald du wach bist", murmelte ich und drückte auf einen der Schalter über meinem Bett, dann verschwand ich in dem Badezimmer.

Sobald ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, ließ ich den Tränen freien Lauf. Warum, um alles in der Welt, hatte er sich freiwillig infiziert? Wie kam er auf die Idee, er hätte es für mich getan?
Ich kam damit klar, bald zu sterben, mittlerweile hatte ich mich damit abgefunden und ich hatte auch noch nie Angst davor gehabt, irgendwann sterben zu müssen.
Aber ich kam nicht damit klar, dass Matt oder jemand anderes, den ich liebte, sterben würde. Natürlich, ich würde seinen Tod nicht miterleben, aber ich wusste jetzt, dass er auch sterben würde. Und es war meine Schuld. Ich hätte der Krankenschwester sagen sollen, dass sie Matt direkt wegschicken soll, damit er nicht die Möglichkeit hatte, etwas dummes zu tun. Aber wie hätte ich auch damit rechnen können, dass er dermaßen irrational und dämlich handelte?
Es war das erste Mal, dass ich nicht verstand, was er getan hatte. Ich würde definitiv mit ihm darüber reden müssen, ich hätte es schon eben tun sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte, aber ich wollte nicht, dass er mich weinen sah. Ich war stark, und dieses Bild von mir sollte er behalten.

Mein Blick wanderte zu dem Spiegel an der Wand. Ich sah grauenvoll aus, meine Augen waren rot unterlaufen und meine hell braunen Haare hatten sich nahezu alle aus meinem gepflochtenen Zopf gelöst. Hoffentlich hatte Matt mich eben nicht so genau angesehen. Ich wischte mir die letzten Tränen aus den Augenwinkeln und wusch mein Gesicht. Nachdem ich meine Haare gekämmt und ein paar mal tief durchgeatmet hatte, verließ ich das Badezimmer, auch wenn ich mich lieber weiter eingesperrt und geweint hätte.

Ein Arzt mit Schutzmaske schloß gerade die Tür hinter sich und trat zu Matts Bett. Dieser saß auf der Bettkante, während er in einer kleinen Tascher herum wühlte, die vermutlich seine Eltern für ihn gepackt hatten.

Der Arzt räusperte sich und blickte von mir zu Matt. "Entschuldigen Sie", sprach er mich dann an, "Wir haben leider gerade keinen anderen keimgeschützten Behandlungsraum. Die Untersuchungen, die ich durch führen werde, dauern nicht lange", erklärte er entschuldigend, "Würde es Ihnen etwas ausmachen, ein Bad zu nehmen?"
"Natürlich nicht", ich zwang mich zu einem Lächeln, "Ich hole nur ein paar Sachen"

"Das wird nicht nötig sein", wiedersprach Matt, "Wir kennen uns schon lange genug, sie braucht nicht zu gehen"
"Oh. Sie kennen sich?", fragte der Arzt nun überrascht.

Ich nickt und setzt mich auf mein Krankenbett, Matt antwortete für uns. "Ja, ich war gestern noch hier, um sie zu besuchen", erklärte er mit einem halben Grinsen, "Und jetzt bin ich wierer hier"

"Das ist gut", entfuhr es dem Arzt, dann blickte er schockiert von mir zu Matt, als ihm bewusst wurde, was er da gesagt hatte, "Ich meinte natürlich nicht, dass dieser Virus gut ist", setzte er sogleich hinzu, "Nur, dass anscheinend niemand sonst noch infiziert wurde und offensichtlich nur ganz wenige Viren im Umlauf sind. Ihr Krankheitsbefall ist natürlich grauenvoll. Verzeihung"
Matt und ich wechselten einen Blick. "Schon gut", murmelte ich und verkniff mir angesichts seiner aufgewühlten Art ein Schmunzeln, "Das lässt sich jetzt eh nicht mehr ändern", fügte ich mit einem weiteren diesesmal wütenden Blick auf Matt hinzu, der diesen aber nur mit einem Grinsen quittierte.

Der Arzt schien erleichtert und begann nun routinemäßig Matts Mund und Ohren nach zu sehen. "Ihr sagtet ihr kennt euch. Seid ihr so was wie ein Pärchen?", fragte er währenddessen, um ein Gespräch in Gang zu bringen.
"Nein", erwiederte ich ich sofort.
Matt sah mich an, als er antwortete. "Wir sind nur befreundet", erklärte er.

Ich konnte die Reaktion des Arztes nicht ablesen, da er mir den Rücken zu gewandt hatte. Seiner Stimme entnahm ich jedoch ein Schmunzeln, als er Matt aufforderte, sein T-Shirt aus zu ziehen. Da ich es für befremdlich hielt, weiterhin zu Matt, auf seinen nackten, durchaus trainierten Oberkörper zu schauen, wandte ich den Blick ab und widmete mich einer Zeitschrift, die auf meinem Nachttisch gelegen hatte. Ich spührte jedoch, dass Matts Augen jede meiner Bewegungen verfolgten. Aber statt eines beunruhigenden Gefühls, machte sich in mir Wärme breit, vermischt mit einer gewissen flatterhaften Nervosität.

"Es sieht so weit ganz gut aus, die Symptome sind die gleichen, wie bei Ihrer Freundin. Sie dürften in ein bis zwei Tagen nicht mehr ansteckend sein und somit nach Hause gehen", verkündete der Arzt, nachdem er seine Untersuchung beendet hatte, wobei er das Wort Freundin eigenartig betonte, "Und naja, nutzt eure Zeit dann aus. Ich komme morgen früh wieder vorbei und sehe mir Sie beide noch einmal an", verabschiedete er sich dann.

35 daysWo Geschichten leben. Entdecke jetzt