Kapitel 1: Familiensache

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"Was starrt der uns wieder so nach?" Petunia runzelte verärgert die Stirn und deutete ins Gebüsch.

Der kleine, blasse Junge mit fettigen, schwarzen Haaren und einem viel zu großen, zerschlissenen, schon oft geflickten Umhang duckte sich und verschwand im Geäst der Sträucher. Lily sah ihm neugierig nach.

Petunia beklagte sich: "Das geht so jetzt schon seit drei Wochen!"

Die beiden Geschwister liefen zum Spielplatzgelände. Petunia setzte sich auf eine Schaukel, Lily tat es ihr gleich. Als Lily genug Schwung geholt hatte, sprang sie ab - und blieb viel zu lange in der Luft.

Petunia sagte: "Das ist gruselig, Lily! Hör auf! Wenn das jemand sieht..." Sie sah sich um, als befürchte sie, jemand werde von der Straße kommen und Lilys Zaubertrick entdecken.

"Wer soll das schon sehen, der Junge vielleicht?"

"Zum Beispiel der."

Es knackte verräterisch. Ein Fluchen folgte und der kleine, blasse Junge stolperte aus dem Gebüsch, das wohl sein Versteck gewesen war - bis er auf einen Ast getreten war.

Petunia stemmte die Arme in die Hüften. Für ihre zwölf Jahre sah sie jetzt ziemlich furchteinflößend aus. "Was machst du nun wieder hier?" Sie klang wütend, aber Lily wusste, dass es sie beunruhigte, dass der Junge sie verfolgte.

"N-nichts." Seine Stimme zitterte. Dann wandte er sich, mit neuem Selbstvertrauen an Lily, bemüht, Petunia zu ignorieren: "Ich bin Severus Snape. Du bist eine Hexe."

Lily runzelte die Stirn: "Es ist nicht besonders nett, jemandem das zu sagen."

Severus trat auf der Stelle. "Nein, ich mache keinen Scherz. Aber sieh doch was du... wir können!" Er nickte zur Bestätigung, als wolle er sich selbst beipflichten.

Petunia zog Lily am Ärmel. "Lass uns gehen." Aber Lily schüttelte nur leicht den Kopf.

Severus schien ermutigt dadurch, dass Lily ihm zuhören wollte. "Wir sind keine Muggel wie die da." Er deutete auf Petunia.

Diese war empört: "WAS soll ich sein?!"

"Ein Muggel. Jemand, der nicht zaubern kann", erklärte Severus mit gerümpfter Nase.

Lily war sauer: "Sei nicht so gemein zu Tunia!"

"Meinetwegen." Severus fragte: "Hast du auch schon den Hogwarts-Brief bekommen?"

"Was?"

"Dumbledore schickt uns Zauberern- und Hexenkindern einen Brief. Wir besuchen dann die Hogwartsschule für Hexerei und Zauberei!"

Petunia schob sich dazwischen: "Hör auf, ihr solchen Unsinn zu erzählen! Und Severus, was ist das denn für ein Name...! Einer für böse Zauberer, wie?"

Lily sah unsicher zwischen Severus und Petunia hin und her. Petunia war ihre Schwester, aber sie war fies zu Severus, und der hatte ihr ja so einiges erzählt, was sie begeisterte.


Auf einmal krachte es und ein Ast stürzte auf Petunia herunter.

Lily schrie: "Das hast du mit Absicht gemacht!"

Severus schien das nicht im Geringsten zu kümmern.

Petunia rappelte sich, völlig verdreckt, auf schnappte Lily und zog sie nach Hause. Der blasse Junge blieb auf dem nun menschenleeren Spielplatz stehen und sah ihnen nach, unschlüssig, ob er ihnen nachlaufen sollte.

***

"Lily, Post für dich!", rief ihr Vater und reichte Lily den Brief, als sie die Tür öffnete.

Die schmutzige Petunia beäugte misstrauisch den vergilbten Pergament-Briefumschlag. Die Erde bröckelte von ihrem Kleid ab, aber das schien niemand zu registrieren.

"Hogwarts Schu-" Weiter kam Lily nicht, denn Petunia riss ihn ihr aus der Hand.

"Das ist sicher einer von diesen Scherzen von Severus Snake!"

"Snape", korrigierte Lily ernst. Die Sache mit dem Ast hatte sie ihm schon längst verziehen.

Die Mutter warf ihrem Mann einen fragenden Blick zu. "Sew... wer?"

"Severus Snape", erklärte Petunia und verdrehte die Augen. "Er stellt uns nach."

"Gar nicht wahr! Er wollte mir doch die ganze Zeit nur etwas sagen!", rief Lily.

"Genau, das war doch alles nur ein Vorwand, um dich anzusprechen-", begann Petunia.

"Du bist gemein!", schrie Lily erbost und riss den Umschlag energisch auf.

Liebe Miss Lily Evans,

hiermit sind Sie auf der Hogwartsschule für Hexerei und Zauberei angenommen, die von Rowena Ravenclaw, Godric Gryffindor, Salazar Slytherin und Helga Hufflepuff gegründet wurde.

Der sprechende Hut wird Sie einem Haus zuteilen, wenn die Schulzeit beginnt.

Der Hogwarts-Express fährt am ersten Schultag am Londoner Bahnhof auf dem Gleis neundreiviertel.

Mit freundlichen Grüßen, Albus Dumbledore

Lily sah auf und fragte: "Toll, nicht?"

Ihre Eltern sahen sich verblüfft an. "Unsere Lily, eine Hexe?" Sie konnten es kaum glauben, aber das erklärte Lilys ungewöhnliche Fähigkeiten. "Wir sind begeistert, Lily! Natürlich bringen wir dich zum Bahngleis - NEUNDREIVIERTEL???"

"Ich weiß auch nicht... Aber ich kann ja Severus fragen!"

Ihr Vater runzelte die Stirn. "So wie Petunia ihn beschrieben hat, klingt er etwas zwielichtig. Außerdem... ist er ein Hexer?"

Lily zuckte die Achseln. "Ja, klar. Ein Zauberer. Aber er ist nicht so zwielichtig, wie Petunia sagt."

"Ergreifst du etwa für ihn Partei?!", kreischte Petunia aufgebracht.

"Nein, ich..."

Petunia wandte sich an ihre Eltern: "Ich möchte nicht dabei sein, wenn Lily eine von denen wird. Ich komme nicht mit zum Bahnhof."

Lily traten Tränen in die Augen.

Dann stürmte ihre Schwester die Treppe herauf, rannte in ihr Zimmer. Die Tür fiel krachend zu.

Lily Evans - Die komplette Vorgeschichte von Harry Potter ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt