Selbstzweifel

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Ich lief den endlosen Gang entlang. Der Boden hatte eine hässliche braune Farbe, weshalb ich meinen Blick schnell hob und auf die vielen an mir vorbei ziehenden Türen blickte. Meine schwarzen Schuhe erzeugten ein unangenehm lautes Klacken in diesem riesigen Gebäude. Es war leicht beängstigend, da es in vollkommener stille lag. Aus den einzelnen Zimmer kamen leise Geräusche, die mir bestätigten das in ihnen gerade Schüler vor ihren Lehrern saßen und sich teilweise sinnlose Dingen anhörten. Endlich hatte ich die große rote Tür erreicht, meine Hände zitterten und ich spürte wie mein Herz schneller schlug. Zögernd hob ich meine Hand an und versuchte das Zittern, welches meinen Körper durchfuhr, zu unterdrücken. Ich klopfte leise an und drückte die schwarze Türklinke runter. Mein Herz schlug nun unnormal laut und man könnte meinen, jeder würde es hören. Alle Blicke der in dem Raum Sitzenden, wendeten sich mir zu. Die plötzliche Aufmerksamkeit, die mir zu teil wurde, ließ mir das Blut ins Gesicht steigen.

Mein Blick schweifte durch den Raum und blieb an einem provokanten Augenpaar hängen.

Es gehörte einem Jungen, welcher seit vielen Jahren mit mir in eine Klasse ging, er konnte mich von Anfang an nicht leiden, einen Grund dafür nannte er nie. Ich konnte viel in seinem Blick lesen. Ein weiteres Mal dachte ich über den Charakter des vor mir Sitzenden nach.

Er gab einem ein minderwertiges Gefühl. So war es schon immer.

Seine Körperhaltung strahlt unverfrorene Arroganz aus. Sein Rücken gerade, die Beine überkreuzt genau wie die Arme, der Blick starr und voll von Verachtung und Selbstsicherheit.

Selbstsicherheit, eigentlich etwas Positives, doch er zieht es in den Dreck und zerstört mit seinem Charakter die positiven Seiten dieses Wortes. Eigentlich sagt uns dieses Wort, dass derjenige weiß, was er macht und sich aller Konsequenzen bewusst ist, aber anscheinend kann man das von ihm nicht behaupten.

Wer ihn nicht näher kennt würde aus seinem auftreten schließen, dass er sehr selbstbewusst ist. Jedoch sollte man zwischen Selbstbewusstsein und Arroganz unterscheiden. Es ist ein schmaler Weg, auf dem man wandert wenn es um diese Eigenschaften geht. Man sollte nie einen Schritt zu weit in eine Richtung gehen, denn dieser Schritt könnte dein komplettes Wesen ändern.

Er ist einer dieser Menschen, die sich über andere stellen. Sich für etwas Besseres halten als den Rest der Welt. Doch genau darin liegt sein Fehler.

Die Überzeugung, dass er der Beste ist, hat er aus seinen schulischen Leistungen gewonnen. Was sind schon Noten wert, wenn man nichts über einen Menschen weiß. Man muss zwischen schulischen Wissen und moralischem Wissen unterscheiden, denn es sind auf keinen Fall die gleichen Dinge.

Er denkt er ist schlau, weil ihm das all seine Noten versichert haben. Aber wurde in einem Test einmal gefragt, ob er die Gefühle anderer Menschen verstehen kann? Ob er fähig bist, auf andere Menschen zu achten und sie Wert zu schätzen? Ob er in der Lage ist, zu helfen, wenn Wissen nichts mehr nützt?

Nein, diese Fragen wurden ihm nie gestellt.

Der Junge in dessen Augen ich blickte, besitzt kein moralisches Wissen. Er hat gute Noten, aber die Gefühle anderer interessieren ihn nicht. Er verletzt mit Sprüchen, Taten und Blicken. Manchmal ist es ihm gar nicht bewusst, ihm fehlt das Verständnis für andere.

Alleine der Blick, den er mir zu warft, bestätigt diese Annahme. Er denkt er ist der beste und genau da liegt das Problem an dem er scheitern wird, nicht heute, aber in naher Zukunft wenn seine menschliche Seite gefragt ist.

"Wie lange willst du denn noch da stehen bleiben, los setzt dich endlich hin, dass ich weitermachen kann." Ich zuckte leicht zusammen, als mich die Worte meines Lehrers erreichten und wand meinen Blick von den Augen ab, die mich beschäftigt hatten. Ich spürte, wie meine Wangen wärmer wurden und ich unbewusst leicht den Kopf einzog. Ich bewegte mich also mit einem leisen "Entschuldigung, dass ich zu spät bin" zu meinem Platz.

Noch ein letztes Mal drehte ich meinen Kopf in seine Richtung ,um diesen Blick zu sehen. Diesen Blick, aus dem ich gerade so vieles gelesen hatte. Dieser Blick, der mich schon etliche Male hatte schlecht fühlen lassen.

Die Erkenntnisse, die ich gerade gewonnen hatte, zeigten mir, dass selbst die vermeintlich intelligentesten Menschen blind und dumm sein können. Ich verbannte ihn und die mit ihm verbundenen Gedanken in den hintersten Teil meines Gehirns, strafte meine Schultern und konzentrierte mich auf den Unterricht.

Ich - Mit all meinen Ecken und Kanten Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt