1 - Harim und Mirah

109 4 10
                                    

"Erst war es das meine", sprach Harim und drehte sich um, ein glückseliges Gesicht erwiderte seinen Blick.

"Und nun ist es das unsrige", führte Mirah übertrieben feierlich fort.

"Schön dieses Ziel endlich erreicht zu haben," stellte Harim fröhlich fest und starrte mit seinen tief braunen Augen erwartungsvoll Mirah an. Der rieb sich die Nase, wischte sich dann die im Sonnenlicht funkelnden Schweißperlen mit seinem linken Handrücken von der Stirn und blinzelte in die hoch stehende Sonne.

"Ja, in der Tat", beschwor Mirah es erneut, als wäre er ein edler Ritter, der mit seinem König spräche. "Dies haben wir, Bruder." Beide lachten.

Harim legte seine Hände auf die Schulter von Mirah und blickte zum imposanten roten Berg, der vor ihnen in den Himmel ragte. Beide standen in der wärmenden Mittagssonne und genossen eine warme Brise, die hier schon von jeher vom roten Berg hinab ins Tal wehte. Die Schnee bedeckten Baumwipfel der hohen Tannen rings um die Hügel-artige Lichtung, auf der Harim und Mirah standen, wiegten sich friedlich und sanft in der Brise hin und her. In der Ferne hämmerte etwas seinen Schnabel voller Inbrunst in einen Baumstamm, vielleicht auf der Suche nach einem - vielleicht letzten - Käfer, der vor dem noch jungen Winter Schutz unter der Rinde suchte. Das Pochen gab der Brise, die durch die kalten Äste der Bäume strich, einen Takt und hallte durch den ganzen Wald wider. Hier und da setzte ein Knacken im Unterholz Akzente in dieser kalten Melodie und kündete vom Leid der tief gefrorenen Flora.

Mirah gluckste und erwiderte den Blick seines Bruders mit feuchten Augen. Erst jetzt begriff er, was sie geschafft hatten. Freude und Stolz überrollten ihn, wie eine gewaltige Lawine, es fiel ihm schwer die Tränen zurück zu halten. Augenblicklich vergessen waren die Anstrengungen der letzten Tage. Stattdessen ließ er sich in die Hocke sacken, schloss sanft seine Augen und faltete bedächtig die Hände zu einer bittenden Geste. Dann begann er im Geiste den Göttern mit einem angemessenem Gebet ihrem Wohlwollen zu danken.

Durch den dicken gelb-orangen Fellmantel, den Mirah trug, sah er im Sonnenschein - so, wie er da nun hockte - wie ein kleiner goldener Buddha aus dem fernen Osten aus, nur um einiges haariger. Harim betrachtete seinen in die Hocke gesackten Bruder aus den Augenwinkeln und beobachtete insbesondere dessen in der Kälte dampfenden gelb-orangenen Fellmantel. Sie waren die letzten Stunden mehr als nur in Eile gereist, denn die Sonnenstunden dieser Tage waren kostbar. Die Pause war jetzt wirklich nötig gewesen, bevor sie buchstäblich von den Anstrengungen der letzten Etappe überhitzten. Es war bitter kalt um sie herum, aber sie selbst schwitzten wie die Schweine unter den Mänteln. Der Winter, so befand Harim, war ihm aber dennoch die liebste Jahreszeit. Denn man konnte es sich einfach warm oder kalt gestalten, wie man wollte. So öffnete er seinen Filzmantel und fächerte damit die kalte Luft an seinen überhitzten Körper. Die Abkühlung tat gut, aber es wurde ihm sehr schnell eisig kalt ohne den Schutz des geschlossenen Mantels und er knöpfte ihn wieder sorgsam zu. Im Sommer ging so etwas nicht so einfach, wenn man es sich da etwas kühler machen wollte, dann brauchte man schon das Eis von den Bergen. Doch der rote Berg spuckte schon immer nur Feuer aus, Schnee gab es daher auf seinem Gipfel nicht. Und der weiße Berg im Norden war so weit weg, dass es allein einen ganzen Sommer gedauert hätte ihn überhaupt zu erreichen. Oft hatte Harim von den reisenden Händlern gehört, dass es auch im Sommer am weißen Berg Eis in Hülle und Fülle gäbe. Es wurde von den Gletschern in riesigen Brocken abgeschlagen und dann unter großen Mühen und Gefahren ins Tal gebracht, wenn gleich es dann um einiges geschmolzen war. Und dennoch hatte man dort den Luxus auch im Sommer Fleisch kühl zu lagern oder Tee erfrischend kalt zuzubereiten. Wahrscheinlich beneideten die Leute vom weißen Berg umgekehrt die vom roten Berg um ihr Feuer. Wer weiß. Harim dachte nicht weiter darüber nach, vielmehr amüsierte er sich über den Anblick seines kleinen dampfenden Bruders  und befand es für typisch, dass er es mal wieder nicht bemerkte, wie unfreiwillig komisch dieser gerade aussah. Einfach zum Schießen, dachte er. Dann blinzelte Harim wieder unbekümmert in die wärmende Sonne und genoss das leichte Kitzeln in der Nase. Der Moment war einfach zu herrlich, um ihn mit den Spleens seines Bruders zu ruinieren.

Der rote BergWo Geschichten leben. Entdecke jetzt