Mirah hatte gehofft, dass er noch ein paar Worte mit Bron austauschen könnte, doch nachdem das Tor des Lagers geschlossen war, wurden er und sein Bruder Harim eilig in eine kleine Hütte gebracht. Kaum waren die beiden in der Hütte, schloss sich die Tür hinter ihnen und es klang ganz so, als wäre sie von außen verriegelt worden. Harim griff nach der Tür und rüttelte daran. "Tatsächlich verschlossen, was sagt man denn dazu?", gab Harim verblüfft von sich und wandte sich wieder seinem Bruder zu. Der schaute ihn nur ratlos an, zuckte mit den Schultern und sorgte sich, "sind wir jetzt Gefangene?"
"Ich weiß es nicht, warte mal", bat Harim seinen Bruder, holte tief Luft und wendete sich an die Tür, "Hey, was ist, wenn wir mal für kleine Königstiger müssen?" Beide warteten gespannt auf eine Antwort. Es gab aber keine. Mirah deutete Harim an es noch einmal zu versuchen, was dieser noch lautstarker als zuvor tat, indem er "Feuer! Feuer!" rief, hüpfte dabei herum und schlug mit den Fäusten gegen die Tür.
"Sag's dem Königstiger, der kann es ja auspinkeln!", schlug jemand genervt von außerhalb der Hütte vor gefolgt von Lachern rund um die Hütte. "Und jetzt gebt endlich Ruhe, sonst stopfen wir euch das Maul, hier wollen ein paar Leute schlafen!"Harim verzog das Gesicht zu einer breitmauligen Fratze, schielte mit den Augen und wiederholte verächtlich "Sag's dem Königstiger..."
"Jungs, bitte, das war ernst gemeint, wir wollen schlafen. Legt euch bitte hin!", bat eine angenehm weiche Stimme mit Nachdruck aus dem hinteren Bereich der Hütte. Die beiden Brüder schauten sich nun erst einmal um, wo kam diese Stimme her? Auf dem Boden der Hütte war eine ordentliche Ladung Stroh verteilt und darauf waren vier, nein, fünf Schlafstellen, jede aus einer dicken Unterdecke und einem Schlafsack, vorbereitet. Aus einem der hinteren Schlafsäcke lugten zwei müde vorwurfsvolle Äuglein hervor und musterten die beiden Brüder. "Und macht euch keine Sorgen, die Tür wurde nicht verriegelt, um euch hier festzuhalten, sondern euch vor dem zu schützen, was draußen ist", versicherte die angenehm weiche Stimme aus ihrem Schlafsack heraus und schloss wieder die Augen, "Gute Nacht! Träumt süß von hungrigen Riesenspinnen..."
"Mirah, hier gibt es doch keine Riesenspinnen, oder?", flüsterte Harim sichtlich besorgt.
"Nein, nicht in dieser Region", grübelte Mirah vor sich hin, "weiter im Süden vielleicht, dafür ist es hier zu kalt." Doch wenn die Gerüchte stimmen, wer weiß, fuhr er in Gedanken fort, klopfte Harim aufmunternd auf die Schulter und lächelte ihn dabei an, als wolle er damit ausdrücken, alles ist mehr als in Ordnung. Harim quälte sich aber nur ein armseliges und wenig überzeugtes Lächeln heraus. Mirah nickte dennoch mit dem Kopf, suchte sich eine Schlafstelle aus, bei der er die Tür am besten im Blick hätte, man weiß ja nie, und krabbelte in den Schlafsack. Harim konnte sich nicht so recht entscheiden, er blickte zwischen den restlichen freien Schlafstellen hin und her, seine Haltung erweckte den Eindruck als würde er gleich einen kurzen aber heftigen Schauer vor Unbehagen erleiden. Nachdem er sich dann doch für eine Schlafstelle entschieden hatte, direkt zwischen seinem Bruder und der bereits belegten Schlafstelle mit der angenehm warmen Stimme, schob er einen Fuß in die Öffnung des Schlafsacks und öffnete ihn übervorsichtig damit. Nachdem offenbar wider Erwarten nichts heraus gekrabbelt kam hob er den Schlafsack mit den Händen hoch, drehte ihn um und schüttelte kräftig, dann schaute er zur Sicherheit noch einmal in den Schlafsack hinein. Mirah, der das Geschehen aufmerskam beobachtete, fragte sich, ob es schlau wäre seinen Kopf in etwas hinein zu stecken, wo etwas fieses drin lauern könnte. Dann hatte er eine Idee, seine Rechte begann, wie eine fünf-beinige Spinne aus seinem Schlafsack heraus und in Richtung seines Bruders Bein zu krabbeln. Er grinste, freudig der Erwartung, was wohl gleich geschehen würde. Langsam krabbelte seine Hand an Harims Stiefel empor. Harim versteinerte. Die Hand erreichte krabbelnd die Wade. Harim begann durch den Schlafsack hinweg zunehmend zu schnaufen. Das Krabbeln erreichte den Oberschenkel und Harim scharte mit dem anderen Fuß zuckend im Heu. Dann biss die Hand zu! Erst ein Aufschrei, dann wildes Fuchteln an der Stelle des Bisses und Harim, besser gesagt ein Schlafsack, rannte los. Nach nur einem großen Schritt knallte dieser gegen die Tür, federte zurück, und landete mit einem Satz auf dem Allerwertesten. "Na, alles klar?", fragte Mirah ohne sich das Lachen verkneifen zu können. Da saß nun ein vom Schlafsack halb verschluckter Harim auf dem Heuboden und hyperventilierte. Mirah hielt sich die Hand vor den Mund, doch es half nichts, er lachte lauthals los und krümmte sich vor lachen auf dem Boden hin und her. Auch die angenehm warme Stimme hatte alles beobachtet und lachte ebenfalls in den Schlafsack hinein. "Ruhe da drin!", rief es streng von draußen. Mirah und die angenehme Stimme hielten kurz inne, lachten dann aber in der Bemühung weiter, nicht so laut zu sein, was eher nach Grunzen und Atemnot klang. "Mach das nicht nochmal", flehte der geprellte Schlafsack starr monoton und merklich angefressen. Mirah bekam kaum noch Luft und hatte schon einen Krampf im Bauch vor lauter Anstrengung. Da bekam er Schluckauf und als er das erste Mal - noch halb lachend - hickste, kippte der eben noch angefressene Schlafsack um und begann selbst grunzend zu lachen.
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Der rote Berg
FantasyZwei Brüder an der Schwelle zum Mannesalter sind auf einer Reise, um das Geheimnis ihres Vaters zu lüften, den sie noch nie zuvor gesehen haben, dessen Ruf ihnen aber überall entgegen tritt. Dies ist eine Idee von mir, die ich an und ab weiter ausf...