Kapitel [5]

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Kapitel 5 - Don't panic!

Ein schrilles Geräusch, das dem Ton eines Weckers glich, riss mich mitten in der Nacht aus dem Schlaf. Reflexartig tastete ich mit meinen dickverbundenen Händen nach dem Störenfried; blind wie ich verschlafen war, schmiss ich dabei meine halbe Blumensammlung von meinem Nachttischchen herunter. Dies sah wahrscheinlich relativ seltsam aus, denn das Verstummen des Weckers und das darauffolgende Ertönen von Gelächter waren Zeugnis genug. Schläfrig streckte ich meine müden Glieder und erschrak. Meine Zimmergenossin saß lachend an unserem gemeinsamen Gemeinschaftstisch und schmierte sich ein Butterbrot. Die Jalousien waren vollkommen aufgezogen; Folge war, dass ich hab blind wegen des grellen Lichts wie eine Irre blinzelte. Das Ergebnis meines Blinzelns fiel dann doch nicht so sonderlich positiv aus, denn keine zwei Sekunden nach Beschmieren des Brots legte sie das fertige Frühstück auf den anderen Teller und brachte ihn an mein Bett. Ich seufzte. »Anstatt mich zu füttern, solltest du selbst mal was essen.« »Kein „Hey! Warum lässt du mich nicht länger schlafen?" oder so?« »Lenk nicht ab!« Sie lächelte mich schief an. »Ich hol mal 'ne Schwester um die Sauerei hier zu beseitigen.« Ehe ich mich versah, verließ sie fluchtartig den Raum und ließ mich mit meinem Butterbrot zurück. Ich seufzte genervt und betrachtete das Brot, bevor ich es mir stückchenweise in den Mund schob. Sie aß schon wieder nichts. Wir hatten die ganze Nacht bis früh zum Sonnenaufgang über ihre Essgewohnheiten diskutiert. Während sie meinte, sie war alt genug um zu wissen, was gut für sie war, wollte ich, dass sie sich wieder einigermaßen normal benahm. In meinen Augen war sie zwar so schön, wie sie war; doch mir war bewusst, dass ich nicht ihr Aussehen, sondern ihren Charakter aus Gold befürwortete. In Gedanken an die gestrige Auseinandersetzung zwischen ihr und mir versunken und den Blick nach draußen in den strahlend blauen Himmel gerichtet, bekam ich nicht mit, wie sie die Zimmertür wieder ins Schloss fallen ließ und sich auf ihren Platz am Tisch fallen ließ. »Nachher kommt 'ne Schwester. Mann, haben die mich blöd angemacht, als ich das denen gesagt hab!«
Ich erschrak. Und verschluckte mich prompt. Wild hustend wedelte ich mit meinen Händen hektisch in der Luft herum um sie auf mein Problem hinzuweisen. Meine Freundin war in einem Satz neben mir und klopfte mir mehr oder weniger stark auf meinen geschundenen Rücken. Ohne Erfolg. Stattdessen verschlechterte sich mein Zustand immer mehr. Vollkommen panisch drückte sie den Notfallknopf um Hilfe zu holen. Meine Augen tränten, mein Rücken schmerzte, meine Luftröhre war wie abgekappt und meine Lungen, sowie mein gesamter Körper schrien nach Luft. Innerhalb eines Wimpernschlags wurde die Tür aufgerissen und meine Psycho-Tante stürmte in den Raum. Während meine Freundin weinend und wimmernd meinen Rücken grün und blau schlug, war sie so vernünftig und fragte erst einmal, was passiert war. War ja selbstverständlich. Ich meine, die eine Patientin hatte ein rotes Gesicht, das sich langsam aber sicher blau färbte; die andere Patientin schlug die Erste und schrie heulend um Hilfe. War ja auch kaum ersichtlich, dass Patientin Eins - also ich - gerade fast aufgrund eines Butterbrots in der Luftröhre erstickte. Sehr vernünftig, wirklich. Irgendwann fiel der Ärztin anscheinend auf, dass weder ich noch meine Freundin etwas sagen konnten; sie griff nach meiner Zimmergenossin und riss sie regelrecht von mir weg. Psycho-Tante schlang ihre dünnen Arme um mich und drückte mich fest. Allem Anschein nach wollte sie mich zerdrücken oder zerquetschen. Mein Schicksal musste ich wirklich hassen. Hatte der LKW es nicht geschafft mich umzubringen, so würden ein Butterbrotstück und eine Ärztin eben die Drecksarbeit erledigen und mich ins Grab befördern. Warum nicht. Gerade als ich die mir wohlbekannten schwarzen Flecken wieder sah, musste ich husten. Befreiend und helfend, aber sehr stark husten.
So stark, dass das halbzerkaute Brotstück in hohem Bogen auf meiner weißen Bettdecke landete. Ich keuchte, fuhr mir durch die Haare und rang nach Luft. Vollkommen außer Atem, mit klopfendem Herzen und noch immer mit Tränen in den Augen umarmte ich meine Freundin so gut es in meiner Position ging. »Sue... ich... sorry«, nuschelte sie in meine Haare und drückte mich fest an sich. »Mädels, macht sowas nie wieder ja? Gott, habt ihr mich erschreckt.« Die Ärztin sah uns ernst an und kniff ihre Lippen zu einem Strich zusammen. »Tut mir unendlich leid! Ich hätte das nicht tun dürfen!«, wimmerte das Mädchen neben mir und strich sich die letzten Tränen aus dem Gesicht. »Na gut, passt schon. Denke ich. Es ist ja niemand gestorben«, brummte die Ältere. Es ist niemand gestorben. Beinahe aber schon. »Ich hoffe, ihr habt daraus gelernt. Bis nachher.« Und nun verschwand sie genauso plötzlich, wie sie gekommen war. »Sue, es tut mir leid. Ich...« »Ich hab's verstanden, okay? Don't panic, Mädchen. Das kann Jedem mal passieren. Ich hau mich auf jeden Fall nochmal aufs Ohr.« »Ja, tu das. War eindeutig zu anstrengend, sorry. Schlaf gut«, murmelte sie und strich mir sanft durch meine Haare, ehe ich wieder ins Land der Träume sank.

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Komplett

[25.11.15] ~Mα∂αмєPσттιηє.


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