3. Erleuchteter Wald, eine Flucht ins Nirgendwo

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Sophie sprang mit einem schrillen Schrei zur Seite und sprintete in den Wald hinein. Nach einigen Minuten erschien erneut ein grelles Licht. Sophie kniff ihre Augen zusammen. Es war sowieso schon dunkel, jedoch sah sie nun überhaupt nichts mehr. Prompt stieß ihr Fuß gegen eine Wurzel und sie fiel vornüber in den Schnee, der im Wald besonders hoch lag. Sie stand auf und öffnete wieder ihre Augen. Das Licht war verschwunden. Wo war es hergekommen und wo befand sich Sophie überhaupt? Sie blieb stehen und drehte sich ein paar Mal um ihre eigene Achse. Dann hörte sie irgendwo in ihrer Nähe Stimmen.

„Wie dauert unsere Schicht jetzt?", fragte eine weibliche Stimme.

„Zweieinhalb Stunden", antwortete eine männliche Stimme.

„Ich habe das Gefühl, dass die Schichten immer kürzer werden."

„Werden Sie auch. Weil jedes Jahr immer mehr Erben den Wächtern zugeteilt werden."

„Das stimmt", stellte die weibliche Stimmen fest. „Aber warum so viele? Befürchtet die Monarchie etwa einen Angriff der Menschen? Ich dachte sie wissen gar nichts über uns."

„Ein Angriff könnte möglich sein. Man hört, dass Kepheus jetzt dreimal pro Woche ein Treffen der Obersten einberuft."

Sophie drehte sich in Richtung der Stimmen.

„Entschuldigung? Ich weiß nicht, wo ihr seid, aber könnt ihr mir vielleicht helfen?", rief Sophie. Sofort verebbten die Stimmen und es wurde still.

„Hallo?", fragte Sophie. „Ich habe mich verirrt, außerdem..."

Die Stimmen fuhren ihr Gespräch fort. Doch diesmal flüsterten sie und Sophie konnte nur Wortfetzen verstehen.

„Sie ... Eindringling."

„Ich weiß ... König ... vermutet."

„Was sollen wir machen?"

„Wir ... Maßnahmen ... ich habe ... Idee ... Notfallmaßnahmen ... wir haben ... Feuerball."

Sophie beschloss die beiden nicht weiter zu stören. Zum einen, weil sie beschäftigt waren, zum anderen, weil ihr Verfolger wieder in Sichtweite war. Also setzte sich Sophie wieder in Bewegung. Sie stapfte durch den Schnee und mit jedem Schritt fiel ihr das Gehen schwerer, da sie im immer tiefer werdenden Schnee versank. Nach einigen Minuten wurde Sophie urplötzlich so warm, als befinde sie sich seit Stunden in einer Sauna. Sie zwang sich stehen zu bleiben und ihre Handschuhe auszuziehen. Dann riskierte sie einen Blick über ihre Schulter, um festzustellen, ob sie immer noch verfolgt wurde. In der Tat. Der fremde Mann stapfte mit entschlossenen Schritten auf Sophie zu. Jedoch blickte er immer wieder nach hinten und Sophie bemerkte, dass er fast rannte. Er taumelte durch den Schnee. Der Mann hatte Angst. Aber wovor? Mit Schrecken musste Sophie feststellen, dass hinter dem Mann eine riesige Feuerwand auftauchte, die alles vernichtete, was ihr in den Weg kam. Sophie bemerkte den Rauch, der vom Feuer ausging und hielt sich den Ärmel ihrer Jacke vor ihren Mund. Unfähig sich zu bewegen, starrte sie auf das Feuer. Wer hatte es entzündet? Waren es die beiden Personen gewesen, die Sophie um Hilfe gebeten hatte? War das Feuer eine der Maßnahmen, von denen sie gesprochen hatten? Der fremde Mann lief immer noch auf Sophie zu. Jetzt erkannte sie, dass er seine Augen weit aufgerissen hatte. Panisch wedelte er mit seinen Händen in der Luft, um den Rauch, der sich um ihn gebildet hatte zu vertreiben. Sophie hörte das Rasseln seines Atems und das erstickende Husten.

„Was stehst du da rum, Mädchen? Lauf, lauf um dein Leben!", rief er Sophie zu.

Ohne zu zögern lief sie los und ließ ihre Handschuhe fallen. Diese waren nur unnötiger Ballast, der sie aufhalten würde. Doch Sophie hatte nicht damit gerechnet, dass es so schwer sein würde im Schnee zu laufen. Sie kam nur langsam von der Stelle und die Feuerwand bewegte sich immer weiter auf sie zu. Plötzlich trat Sophie auf etwas Hartes. Es war wahrscheinlich ein kleiner Stein. Sie wollte gerade weiterrennen, als sie bemerkte, dass unter ihrem Fuß gar kein Stein lag, sondern eine blaue Perle. Sophie hob die Perle auf, denn es war keine normale Perle. Im Inneren befand sich eine Art Nebel, der sich im Sekundentakt lichtete und wieder verdichtete. Sophie hatte jedoch keine Zeit sich die Perle genauer anzusehen. Also warf sie sie wieder auf den Boden. Doch die Perle landete nicht im Schnee, sondern blieb regungslos in der Luft stehen. Sophie starrte die Perle mit großen Augen an. Nun fing die Perle an zu Leuchten. Das Leuchten war nicht mit dem zu vergleichen, das Sophie gesehen hatte, als sie in den Wald gelaufen war. Es war ein angenehmes Licht. Sophie spürte, wie eine Schneeflocke auf ihrer Hand landete. Sie sah zum Himmel und erschrak. Der Schnee bildete sich aus einer einzigen Wolke, die sich über ihr befand. Außerdem war er nicht weiß, sondern blau und schimmerte leicht. Der blaue Schnee wurde stärker und bildete eine Art Wasserfall. Die blaue Farbe setzte sich auf dem Boden ab. Sie sah aus, wie eine Pfütze aus Wasser. Sophie ging einen Schritt nach vorne. Sie wollte testen, ob die Pfütze wirklich aus Wasser bestand. Doch ihr Fuß trat ins Leere. Sophie strauchelte, verlor ihr Gleichgewicht und stürzte in die Pfütze. Nur fühlte es sich nicht so an, als würde sie fallen, sondern fliegen. Sophie wurde immer höher getragen, aber sie sah nicht wohin, denn alles um sie war schwarz.

Winternacht - Das Geheimnis der ErbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt