4. Dezember
Der Donnerstag kroch nur so dahin. Wenn es nach Draco gegangen wäre, könnte jeglicher Unterricht dieses Jahr ausfallen. Was war der Sinn? Er hatte bereits das Dunkle Mal angenommen, er wusste, wo seine Zukunft lag. Dass er überhaupt nach Hogwarts zurückgekehrt war, hatte nur mit seinem Auftrag zu tun - und dem Wunsch seiner Mutter.
Finster starrte er zu der anderen Hälfte des Klassenraums hinüber, wo die Gryffindors begierig jedes Wort ihrer Lieblingslehrerin McGonagall aufzusaugen schienen. Auch Granger war wie immer hochkonzentriert, offensichtlich kein Stück irritiert durch ihr Gespräch am Vortag. Fiel es ihr wirklich so leicht, alles zu vergessen und am Alltag festzuhalten? Er wusste, sie war Zeuge seines fehlgeschlagenen Versuchs geworden, ein verzaubertes Amulett in Dumbledores Hände zu schmuggeln. War selbst der Beinahe-Tod ihrer Hauskameradin Katie Bell nicht genug, um sie nervös zu machen?
Er selbst war jedenfalls nervös. Im Moment war das Mädchen noch bewusstlos in St. Mungos, doch wer wusste, wann sie erwachen würde und woran sie sich dann erinnern konnte. Wenn auch nur der geringste Verdacht auf ihn fiel, wäre jegliche Hoffnung, entweder den Auftrag erfolgreich auszuführen oder das Verschwindekabinett zu reparieren, definitiv dahin.
Erleichtert registrierte er, dass McGonagall die Stunde gerade für beendet erklärt hatte. Unmotiviert packte er seine Sachen zusammen und achtete nicht darauf, dass seine Freunde ohne ihn aus dem Raum eilten. Wenn er ehrlich zu sich war, konnte er sie nicht einmal Freunde nennen. Gewiss, Blaise und Theodore waren gute Gesprächspartner und sie verstanden sich auf Ebenen, die er mit sonst keinem teilen konnte. Doch seit er den Auftrag angenommen hatte, seit er das Dunkle Mal trug, musste er ihnen einen Teil über sich verschweigen, musste sie anlügen. Das taten Freunde einfach nicht.
Gerade wollte er um die Ecke des Ganges biegen, da hörte er die wütende Stimme von Hermine Granger. Stritt sie mit jemandem?
"Du machst dich lächerlich, Harry!"
Offensichtlich war es Potter, mit dem sie eine Meinungsverschiedenheit hatte, denn der klang nicht weniger genervt: "Ich hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet du ihn für unschuldig hältst!"
Angespannt kniff Draco die Augen zusammen - worüber sprachen die beiden? Mit angehaltenem Atem lauschte er der weiteren Unterhaltung, die sich hier mitten auf dem Schulflur zutrug.
"Ich habe nie gesagt, dass ich Malfoy für unschuldig halte!"
Beinah hätte Draco einen Laut von sich gegeben. Es ging um ihn? Verkrampft presste er seine Schultasche gegen seine Brust und zwang sich, nicht sofort um die Ecke zu stürmen, um Antworten zu fordern.
"Also denkst du auch, dass er es war, der das Amulett verzaubert hat! Wieso tust du so, als ob du das nicht glaubst?"
"Hier geht es nicht um Glauben, Harry!", kam die leise Antwort von Hermine, die sich offensichtlich inzwischen bewusst geworden war, dass man sie leicht belauschen konnte: "Du beschuldigst hier gerade jemanden, einen Mordversuch begangen zu haben. Da brauchst du Beweise."
"Was wir im Sommer gesehen haben..."
"... kann alles Mögliche bedeuten! Das ist nicht stichhaltig!"
"Du bist blind!", brüllte Harry wütend, ehe seine sich entfernenden Schritte davon kündigten, dass er Hermine alleine auf dem Gang hatte stehen lassen. Langsam atmete Draco aus. Also war Potter ihm auf der Spur, auch wenn er offensichtlich keine Beweise hatte. War ja klar, dass er ihn verdächtigen würde, einfach nur, weil er Draco Malfoy war. Aber Granger? Er hatte mehr von ihr erwartet. Wütend trat er um die Ecke und schleuderte ihr seine Tasche vor die Füße.
"Malfoy!"
Ihre Stimme klang genauso erschrocken und entsetzt, wie er es sich erhofft hatte. Mit einem bösartigen Lächeln auf den Lippen baute er sich vor ihr auf: "Na, schmieden wir Pläne mit unserem auserwählten Helden, wie wir auch den letzten Malfoy hinter Gitter bringen können?"
"Du hast gelauscht", hauchte Hermine völlig überrumpelt. Draco konnte deutlich sehen, dass sie sich unwohl in ihrer Haut fühlte und das geschah ihr Recht. Ohne auch nur einen Schritt zurückzuweichen, fuhr er fort: "Wie war das gestern? Du dachtest, wir hätten das alles hinter uns gelassen? Das waren doch deine Worte, oder? Oder galt das nur für mich, dass ich meine Verachtung für dich aufgeben soll, du aber weiterhin von mir als dem bösen Schwarzmagier denken darfst?"
"So ist das nicht!", verteidigte sie sich, doch ihre Worte klangen schwach. Mit mühsam unterdrückter Wut legte Draco seine Hände rechts und links von ihr an der Wand ab, um ihre keine Fluchtmöglichkeit zu geben: "Das ist so typisch für euch Gryffindor. Immer redet ihr von Moral und erwartet, dass alle sich an eure Maßstäbe halten, dass alle immer ehrlich sind, aber selbst? Wer weiß, wie oft Potter schon die Schulregeln gebrochen hat, aber er wurde nie dafür bestraft. Und das hier jetzt? Was gibt euch das Recht, so über mich zu reden?"
Jetzt wurde auch Hermine wütend. Mit vor der Brust verschränkten Armen gab sie zurück: "Schön, wenn du Ehrlichkeit willst, bitte. Dann sag mir doch mal, was du im Sommer bei Borgin und Burkes gekauft hast. Da war nicht zufällig eine verfluchte Halskette dabei?"
Draco erblasste: "Was soll ich bei Borgin und Burkes wollen?"
"Keine Ahnung, das frage ich ja dich", schoss Hermine zurück: "Fakt ist, du warst da. Wir haben dich gesehen. Und wir wissen beide, dass es in dem Laden kaum ein legales Objekt zu kaufen gibt."
Draco schluckte. Er hatte nicht erwartet, dass sein Besuch in der Nokturngasse ausgerechnet von Potter und Granger gesehen worden war. Er spürte förmlich, wie die Schlinge sich enger um seinen Hals zog.
"Malfoy", riss ihn da Hermine aus seiner paralysierten Starre: "Wenn du... wenn du Hilfe brauchst... ich weiß, dass du kein böser Mensch bist, okay? Es ist mir egal, wer dein Vater ist oder was deine Tante getan hat. Wenn du in irgendetwas verwickelt bist, das dir nicht gefällt..."
Der unerklärliche Hass kroch wieder in ihm hoch. Grangers Worte gingen ihm unter die Haut. Was bildete sie sich ein, ausgerechnet sie? Außer sich vor Wut packte er ihre Kehle und trat noch näher an sie heran. Beinahe unhörbar zischte er ihr zu: "Spar dir dein Mitleid, Granger. Ich brauche keine Hilfe. Was ich tue, tu ich freiwillig. Und ganz sicher brauche ich kein Schlammblut, das seine Nase in diese Dinge steckt!"
Kaum waren die Worte gesagt, bereute Draco sie bereits. Er hatte sie Schlammblut genannt, obwohl sie Waffenstillstand geschlossen hatten. Er sah, wie der Zorn in ihren Augen unendlicher Enttäuschung Platz machte. Frustriert ließ er von ihr ab und hob seine Tasche hoch.
"Schade", flüsterte sie mit eisiger Stimme, "und hier dachte ich, dass wir das wirklich hinter uns gelassen hätten. Aber so kann man sich irren. Wer weiß, was aus dem netten Jungen geworden ist, den ich vor einem Jahr geküsst habe. Wirklich schade."
Er konnte ihr nicht einmal widersprechen. Stumm blickte er ihr nach, während sie von ihm weg eilte. Er hatte sie nicht Schlammblut nennen wollen, wirklich nicht. Es war nur dieser Hass, den sie in ihm auslöste, diese Abscheu und Verachtung. Vielleicht war es besser so. Es wäre sowieso zu kompliziert, eine neutrale Beziehung zu Granger zu haben, während er gleichzeitig daran arbeitete, Todessern den Zutritt zu Hogwarts zu ermöglichen. Es war definitiv besser, wenn er sie vergessen würde und sich nicht darum sorgen musste, was jemand wie seine Tante mit Granger anstellen würde, wenn es erstmal soweit war.
Es war definitiv besser so.
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Für immer ihr Geheimnis - Teil 2: Der Unbrechbare Schwur ✔️
Fanfic[Harry Potter Fanfiction] In diesem Dezember ist Draco kein Stück nach weihnachtlicher Stimmung. Sein Auftrag, für Voldemort den großen Dumbledore zu töten, ist ebenso wahnsinnig wie unmöglich. Und dann ist da noch Granger, mit der er vor einem Jahr...